Ein 32-jähriger Experte in Rechnungslegung und Controlling mit KV-Abschluss, anschliessend höherer Fachschule und zuletzt höherer eidgenössischer Fachprüfung – dem höchsten Diplom in der Bilanztechnik – arbeitet bei einer grossen Zürcher Versicherungsgesellschaft in der Konzernbuchhaltung. Nach drei Jahren wird ihm ein 23-jähriger deutscher Bachelor in Betriebswirtschaft, direkt aus der Uni und ohne Berufspraxis, als Chef vor die Nase gesetzt. Die deutsche HR-Verantwortliche, die diesen Bachelor als Teamchef auswählte, wollte partout jemanden mit akademischem Titel in der Kaderposition platzieren.

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Eine Gastro-Betriebsleiterin mit eidgenössischem Fachausweis und einer höheren Berufsprüfung als diplomierte Gastro-Unternehmerin bewirbt sich in Abu Dhabi bei einem internationalen Hotel. Doch der englische Hotelmanager wählt einen jungen Bachelor direkt von einer zweitklassigen englischen Privatuniversität.

Der erstgenannte Experte in Rechnungslegung und Controlling wird vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung, Innovation SBFI nach dem nationalen Qualifikationsrahmen NQR fachlich auf der Stufe 8 eingereiht, äquivalent zu einem Uni-Doktorat. Die diplomierte Gastro-Unternehmerin auf NQR-Stufe 7, äquivalent zu einem Uni-Master.

Rudolf Strahm

Der Gastautor

Rudolf Strahm ist ehemaliger Preisüberwacher und Ex-SP-Nationalrat.

Die Fachkräfte mit einer höheren Berufsbildung sind heute statistisch die vom privaten Arbeitsmarkt am meisten begehrten Fachkräfte. Sie hatten mit einer Berufslehre begonnen und dann zäh nach mehrjährigen, berufsbegleitenden Kursen eine Berufsprüfung (BP) oder eine höhere Fachschule oder sogar eine höhere Fachprüfung (HFP) absolviert. Sie sind die meistbegehrten Techniker, Teamchefs und mittleren Kader in der Privatwirtschaft; für Führungsfunktionen sind sie mehr gefragt als Uni-Abgänger, weil sie sowohl über Berufspraxis (Skills) als auch über das innovativste höhere Fachwissen (Knowledge) verfügen.

Diese Kaderkarriere, die für unser Land matchentscheidend ist, hat leider ein Stigma: Die Branchen kennen zwar die technischen Berufsbezeichnungen – es gibt 430 solcher Abschlüsse. Aber es gibt keinen übergeordneten Titel. Deshalb steht seit Jahren die Forderung im Raum, als übergreifenden Titel den «Professional Bachelor» und den «Professional Master» zusätzlich zu den Berufsbezeichnungen anzuerkennen. Beim entscheidenden Berufswahlgespräch fragen die Eltern für ihren Sohn oder die Tochter: Was ist man nach dem Abschluss? Wie lautet dann der Titel? Titel sind für die gesellschaftliche Reputation und das Prestige heute oft Berufswahl-entscheidend.

Deutschland hat den Titel Professional Bachelor seit 2020 anerkannt; Österreich kurz danach. Jetzt erst soll auch in der Schweiz die Titeläquivalenz eingeführt werden. Seit diesem Monat läuft ein Bundes-Vernehmlassungsverfahren für die gesetzliche Anerkennung. Die Wirtschaftsverbände sind alle dafür. Hingegen wehren sich die Hochschulen vehement. Professoren sprechen von «Vermischung» oder von «Verwässerung» ihrer Hochschultitel. Aber im Grunde sind es rein standespolitische Interessen.

Der Nationalrat hat bereits zweimal die Anerkennung des Professional Bachelor eingeleitet, im Ständerat haben jüngst zwei von Swissuniversities montierte Votanten die Zustimmung erneut verhindert. Die Vernehmlassung wird die Wirtschaft und die Bildungspolitik dazu zwingen, jetzt Farbe zu bekennen.