Nervt es Sie, dass so viele Stars von Beyoncé bis Antonio Banderas ihre eigenen Parfums auf den Markt werfen, oft nicht unbedingt wohlriechend?
Gilles Andrier*: Wir machen ja nicht nur Parfums, wir machen auch Aromen. Wir stellen viele verschiedene Düfte her, die wir mit bekannten Persönlichkeiten zusammen entwickeln. Aber das macht nur einen kleinen Teil unseres Geschäftes aus.
Was ist für Sie der perfekte Duft?
Den gibt es nicht. Mein persönliches Ziel ist es, Kundenausschreibungen, sogenannte Briefs, zu gewinnen. Ein grosser Duft ist der, welcher auf dem Markt erfolgreich ist.
Nüchtern für ein so sinnliches Produkt.
Die Antwort ist wohlüberlegt. Viele Teile unseres Geschäfts, vor allem jener der edlen Parfums, ist hochkompetitiv und lebhaft. Und der erfreulichste Teil ist nun einmal, wenn das Produkt auf dem Markt erfolgreich ist, weil wir uns dem Kunden gegenüber dafür verantwortlich fühlen.
Und der unerfreulichste Teil?
Man arbeitet zwei bis drei Jahre an einem Projekt und verliert es dann. So etwas ist schmerzhaft, aber noch verkraftbar. Richtig schmerzhaft wird es, wenn man ein Projekt gewinnt, das Produkt dann aber auf dem Markt nicht erfolgreich ist.
Geht Ihnen das persönlich nahe?
Ich personalisiere nicht. Ich bin der CEO von Givaudan seit nunmehr 13 Jahren. Wir sind Marktführer in unserer Industrie. Nicht weil wir das grösste Unternehmen in unserer Branche sind, sondern weil wir jeden Tag darum kämpfen, den Erwartungen unserer Kunden gerecht zu werden. Dafür müssen wir uns nicht verstecken.
Wie viele Düfte kreieren Sie pro Jahr?
Wir managen 60 000 Ausschreibungen pro Jahr. Manche kleiner, manche grösser, manche gewinnt man, manche verliert man. Und manche dieser Briefs resultieren in einem Produkt, einem Duft zum Beispiel. Jeder Brief steht für einen Duft oder ein Aroma.
Wer den richtigen Riecher hat, gewinnt. «Nez» (Nase) heisst der Experte, der eine Parfumkreation erschnüffelt. Wie viele Nasen braucht es für so viele Briefs?
Givaudan hat mehr als hundert Nasen weltweit. Das unterscheidet uns sehr von anderen Herstellern. Wir trainieren seit siebzig Jahren 40 Prozent aller Parfumeure rund um die Welt in der Givaudan Perfumery School. Viele davon bleiben bei uns, manche setzen ihre Karriere anderswo fort.
Die Nasen sind Ihre wichtigsten Geheimnisträger. Umso schlimmer, wenn sich eine aus dem Staub macht und Duftformeln im Wert von vielen Millionen zur Konkurrenz mitnimmt, so geschehen vor fünf Jahren in den USA. Ist der Fall mittlerweile erledigt?
Laufende Rechtsfälle kommentiere ich nicht. Was ich sagen kann: Parfumeure und Aromenentwickler sind das Herzstück von Givaudan. Was sie kreieren, gehört Givaudan und nicht dem Mitarbeiter. Unsere Verpflichtung gilt gegenüber dem Kunden. Deshalb sind die Formeln geheim und müssen es bleiben, auch weil es zu komplex wäre, Tausende Düfte und Kreationen patentieren zu lassen.
Lässt sich ein erfolgreicher Duft planen?
Das hängt von der Grösse des Brands ab, für den wir den Duft entwickeln. Und der ist kalkulierbar. Und es hängt davon ab, in welchen Märkten das Produkt gelauncht wird. Auch das kann man kalkulieren. Wie gut das Produkt beim Konsumenten ankommen wird, erfahren wir über Konsumententests. Der Test mit dem Publikum ist unsere Absicherung, ob ein Produkt gelingen oder floppen wird.
Verraten Sie uns The Next Big Thing?
In reifen Märkten wie Europa geht es bei Aromen klar in Richtung Gesundheit, Wellness und Natürlichkeit. Das fragen unsere Klienten verstärkt bei uns nach.
Ich meine ein konkretes Produkt.
Ohne zu viel zu verraten, machen wir Produkte, die weniger Fett, Zucker und Salz enthalten, diätetisch sind und gesund. Und wir schauen darauf, wie wir den Geschmack dieser gesünderen Produkte verbessern können.
Und bei Düften? Welchen vermarktbaren Star haben Sie gerade an der Angel?
Bei den Riechstoffen bauen wir den Bereich Active Beauty aus. Dabei handelt es sich um einen ganzheitlichen Ansatz, der über den blossen Riechstoff in Parfums hinausgeht und viele kosmetische Inhaltsstoffe umfasst.
Was ist ein natürlicher Duft oder Geschmack? Gibt es einen Unterschied zwischen synthetischen Sandelholzmolekülen und natürlichen?
Man muss unterscheiden zwischen dem Gefühl, wie etwas riecht oder schmeckt, und der Herkunft. Wenn wir «100 Prozent natürlicher Geschmack» sagen, dann meinen wir, dass alle Ingredienzien, die den Geschmack ausmachen, aus der Natur stammen und nicht aus dem Labor. 75 Prozent unserer Aromen sind natürlichen Ursprungs. Übrigens genau spiegelverkehrt zum Duftgeschäft, wo wir mehr synthetische Stoffe verwenden.
Ihre grösste Produktion ist nicht in der Schweiz. In China, wo Sie seit den 1990er Jahren aktiv sind, investieren Sie jetzt 120 Millionen Franken in ein neues Produktionszentrum. Kommt das nicht etwas spät?
Angefangen haben wir dort damals mit 10 Leuten und einem Büro. Heute sind wir 800 mit grossen Produktionen. Man wächst mit dem Business mit.
Produzieren Sie dort nur für China?
Ja. Unser Businessmodell sieht vor, dass wir nah bei unseren Kunden sind, weil wir mit diesen zusammen Düfte und Aromen entwickeln und für diese auch mal kurzfristig mit nur fünf bis zehn Tagen Vorlaufzeit produzieren. Alle unsere Fabriken sind in unseren Absatzmärkten angesiedelt.
China saugt laufend Know-how aus Europa und den USA ab. Gibt es schon eine chinesische Kopie von Givaudan?
Das ist kein Thema für uns, weil wir selbst chinesisch sind. Was wir in China machen, ist von Givaudan in China gemacht.
China hat einen grossen Absatzmarkt und tiefe Produktionskosten. Was steuert der Mittlere Osten, der Ursprung des Parfums, im Konzern bei?
Die Region verfügt über viel Know-how mit Oud, das ist Adlerholz, ein starker, animalischer Geruch. Für diesen Geruch braucht es die lokale Expertise, um damit Düfte zu entwickeln. Für uns ist diese Region ein starker Wachstumsmarkt. Das gilt für Düfte und Aromen. Der Hauptsitz der Region ist in Dubai und wir haben von Pakistan bis Iran viele Standorte.
Apropos lokale Expertise: Seit fast zwei Jahren haben Sie ein Effizienzprogramm an allen Standorten laufen, worum sich die neue Einheit Givaudan Business Solutions (GBS) kümmert. Was genau macht GBS?
Nach dem Spin-off von Roche im Jahr 2000 und dem Börsengang befand sich Givaudan in einer dauernden Transformation. Wir hatten viele Akquisitionen, wodurch Givaudan sehr stark wuchs. Wir kauften FIS Flavors von Nestlé, dann Quest 2007, womit wir Branchenleader bei Düften und Aromen in der Welt wurden, und wir implementierten konzernweit das elektronische Verrechnungssystem SAP.
Ist das etwas Besonderes? SAP haben viele Unternehmen im Einsatz.
Mag sein. Aber wir wurden dadurch effizienter in unserer Lieferkette und machten unser Bestellsystem auch für die Kunden transparenter. SAP zwingt einen zur Disziplin in den internen Prozessen. Inzwischen wurden wir sehr gross und mussten uns fragen, ob wir nicht zu behäbig werden. GBS ist nun die Abteilung, die helfen soll, wieder mehr Agilität reinzubringen.
Inwiefern?
GBS gruppiert gewisse Tätigkeiten entlang der Wertschöpfungskette neu, fasst Produktionen zusammen, zentralisiert unsere Verwaltung in drei grossen Hauptzentren in Budapest, Buenos Aires und Kuala Lumpur. Die Übersicht und die Verwaltung werden einfacher, wenn man drei grosse Zentren hat statt hundert kleine weltweit verstreut. Auch wenn das Programm kostenintensiv ist: Wir investieren in GBS 170 Millionen Franken, wollen dadurch aber 60 Millionen Franken pro Jahr einsparen.
Heisst das, Standorte schliessen und Jobs abbauen?
Wir wollen schlanker werden, aber nicht nur. Sie dürfen nicht vergessen, im Jahr 2000 hatten wir eine Marktkapitalisierung von 4 Milliarden Franken. Heute sind es mehr als 20 Milliarden. Wir sind fünfmal so gross wie früher. Und dazu müssen wir ständig effizienter und schlanker werden. Das ist Teil des GBS-Programms.
GBS wird Standorte schliessen?
Lassen Sie es mich so sagen: Wir verlagern einzelne Aktivitäten von bestehenden Standorten zu den drei Zentralen. Entwicklung, Produktion und Vertrieb bleiben an den jeweiligen Standorten.
Welche Aktivitäten verlagern Sie?
Die Verwaltungsaktivitäten werden zentralisiert. Unser Geschäft ist sehr komplex. Wir sourcen 10 000 Ingredienzien rund um den Globus. Wir stellen nicht einfach nur Bolzen und Schraubenzieher her.
Was lief denn bisher ineffizient, sodass dieses Programm notwendig wurde?
Einige Prozesse wie die Bearbeitungszeit für einen Kunden mussten wir von fünf auf zehn Tage herunterbringen. In dringenden Fällen sogar auf einen Tag. Wenn man diese Flexibilität hat, dann verbessert sich die Geschäftsbeziehung eminent.
Inwiefern?
Wenn man einen neuen Kunden akquiriert, dauert es zwei bis drei Tage, bis alle Daten im System eingetragen sind. Bei einem kleineren Wettbewerber von uns dauert das drei Stunden. Dieser Aufwand für einen Neukunden ist schlecht für unser Image, insbesondere bei lokalen, kleineren Kunden.
Nicht das beste Image dürften Sie auch hier in Vernier bei Ihren Mitarbeitern haben. Die Belegschaft streikte wegen zu tiefer Löhne. Zahlen Sie so schlecht?
Jedes Unternehmen hat Verhandlungen an seinen Standorten. Ich denke, das gehört dazu. Ausserdem, wenn die Leute so unzufrieden wären, wären sie schon weg.
Sind Ihre Leute jetzt zufrieden?
Ich möchte Diskussionen mit der Belegschaft nicht öffentlich führen. Aber ich versichere Ihnen, wir entlöhnen unsere Mitarbeiter auf sehr faire Art und Weise.
Nur stimmen sie Ihnen vielleicht nicht zu.
Nun ja, sie arbeiten noch hier, oder nicht?
Ein anderes Thema ist die Biotechnologie, die Einzug in Ihr Geschäft hält. Wohin geht die Reise?
Einige der Inhaltsstoffe für Düfte und Aromen machen wir selbst, einige kaufen wir ein. Und einige zugekaufte Rohstoffe wollen wir künftig synthetisch herstellen.
Wo macht das Givaudan bereits?
Sowohl innerhalb des Konzerns als auch mit Partnern. Beispielsweise um Wege zu finden, wie man Zucker durch neue Enzyme in einen Inhaltsstoff und Molekülbestandteile umwandeln kann, die im Endprodukt als natürlich empfunden werden, auch wenn sie künstlich hergestellt sind. Wir machen das bereits bei unseren zugekauften Unternehmen Soliance in Frankreich und Induchem in der Schweiz.
Sie sagten einmal, Sie wollen nicht als Chemiefirma bezeichnet werden. Nun ist nicht zuletzt die zugekaufte Induchem ein Chemieunternehmen und entwickelt Düfte und Aromen auf chemischer Basis. Was passt Ihnen an dieser Zuordnung nicht?
Es ist nicht unser Geschäftsmodell.
Wie definieren Sie Givaudan dann?
So gesehen müsste man uns über das definieren, was wir nutzen und verarbeiten. Schon 2000 war die Frage, wie man den Aromen- und Duftsektor überhaupt klassifizieren kann. Viele steckten ihn in die Chemieschublade, weil wir chemische Stoffe benutzen. Aber die Chemiebranche verkauft Standardprodukte. Wir entwickeln kundenspezifische Produkte.
Aber immer noch chemische Produkte.
Das Geschäftsmodell ist komplett verschieden von der klassischen chemischen Industrie. Der Punkt dabei ist nicht, ob wir natürliche oder synthetische Ressourcen verarbeiten, sondern was wir damit tun. Die Hälfte unserer 11 000 Mitarbeiter arbeitet an neuen Düften und Aromen. Die anderen 5000 produzieren das, was zuvor entwickelt wurde. Dieses Geschäftsmodell finden Sie so nicht in der chemischen Industrie. Man könnte eher fragen, ob wir zum Konsumgütergeschäft gehören.
Das stiftet noch mehr Verwirrung.
Sie könnten uns wohl am ehesten noch dem Werbebusiness zurechnen. Unsere Produkte, insbesondere Düfte, sind stark im Kreativ- und Werbegeschäft verankert.
Sie investieren massiv in Forschung und Entwicklung bei Winterthur. Was entsteht dort?
Wir investieren mehr als 100 Millionen Franken in Kemptthal, wo ein neues Forschungszentrum entsteht, das für die Bereiche Aromen und Düfte neue Moleküle und Biotech-Produkte entwickeln wird.
Vor einigen Jahren haben Sie diesen Standort fast komplett abgebaut. Jetzt investieren Sie dort wieder im grossen Stil. Warum dieses Hin und Her?
In Kemptthal waren mehrere Aktivitäten angesiedelt. Wir hatten dort einmal eine Aromenproduktion, die aber nur einen Teil des Standortes ausmachte. Diese haben wir aus Kostengründen nach Makó in Ungarn abgezogen. Wir reinvestieren jetzt in Winterthur, weil der Standort über eine sehr gute Infrastruktur, gut ausgebildete Leute und die Nähe zu den Forschungsinstitutionen verfügt. Deshalb haben wir Forschungsaktivitäten aus Dübendorf in Kemptthal zusammengezogen.
Wo sehen wir die nächsten Akquisitionen?
In den letzten vier Jahren haben wir insgesamt mehr als 700 Millionen Franken in Unternehmenszukäufe investiert. In den Kategorien Gesundheit und Riechstoffe wollen wir klar Marktführer werden. Wir haben eine grosse Pipeline von Firmen, die wir uns anschauen, im Bereich natürlicher Inhaltsstoffe und in Bezug auf die regionale Erweiterung und die Nähe zum Kunden.
* Gilles Andrier ist seit 2005 Konzernchef von Givaudan. Zuvor war der 56-Jährige bereits viele Jahre als Manager beim Unternehmen beschäftigt. Seine Ausbildung im Ingenieurwesen absolvierte er an der Grande École ENSEEIHT in Toulouse.