In den Büros des Managements herrscht reges Treiben. Und je mehr Leute hinzukommen, desto mehr gibt es offenbar zu tun. Die Anzahl der Verwaltungsangestellte in Staat und Unternehmen jedenfalls nimmt überproportional zu: Wuchs die Zahl aller Erwerbstätigen zwischen 2010 und 2016 gemäss Bundesamt für Statistik um rund 6 Prozent, betrug die Zunahme bei den «Führungskräften» und «akademischen Berufen» jeweils über 15 Prozent. 18 Prozent beträgt das Plus in der Berufsgruppe «Juristen, Sozialwissenschaftler, Kulturberufe», gar um 37 Prozent wurden die «akademischen und vergleichbaren Fachkräfte in der betrieblichen Verwaltung» aufgestockt.
Die modernen Funktionäre in der öffentlichen Verwaltung und in den Unternehmen arbeiten in der Kommunikations-, der Compliance-, der IT- oder der Personalabteilung. «In Bereichen, wo man sich mit sich selbst beschäftigen kann», sagt der emeritierte Professor Norbert Thom, Spezialist für Organisationslehre und Personalwesen.
Gut bezahlt und sinnlos
Sie tragen nicht selten englische Namen und erledigen Aufgaben, von denen niemand so genau weiss, was sie eigentlich beinhalten. Werden Lehrerinnen, Strassenwischer oder Postboten wegrationalisiert, sind die Folgen schnell sichtbar: Die Klassenzimmer sind überfüllt, die Strassen dreckig, und die Briefe werden erst am Mittag statt bereits am frühen Morgen ausgeliefert. Hingegen dürfte ein Abbau in den Kommunikations-, Rechts-, IT- oder Personalabteilungen relativ unbemerkt vonstattengehen. Sehr wahrscheinlich würden die wenigsten die Leistungen vermissen.
Der amerikanische Anthropologe David Graeber geht in seinem neusten Bestseller «Bullshit-Jobs» noch einen Schritt weiter: Er hegt den Verdacht, dass es der Welt in diesem Fall sogar besser ginge. Umso mehr, als er überzeugt ist, dass ein beachtlicher Teil der Bullshit-Job-Halter wüssten, dass sie für eine eigentlich ziemlich sinnlose Arbeit relativ gut bezahlt würden. Er stützt sich dabei auf Umfragen aus Grossbritannien und den Niederlanden, wo 37 respektive 40 Prozent der Befragten angaben, es gebe keinen stichhaltigen Grund dafür, dass ihre Stelle existiere.
«Legalistische» und «manageriale Bürokratie»
Adrian Ritz, Professor am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern, bezweifelt, dass die Arbeit heute per se sinnentleerter ist als früher. «Jede Zeit kannte ihre sinnlosen Tätigkeiten.» Aber auch Ritz beobachtet eine merkliche Ausweitung im Overhead, wobei er hier zwischen der «legalistischen» und der «managerialen Bürokratie» unterscheidet.
Erstere entsteht durch neue und mehr Gesetze. Sie ist politisch gewollt oder wird zumindest in Kauf genommen. Die «manageriale Bürokratie» hingegen weitet sich unbemerkt aus. «Sie hat stark zugenommen», sagt Ritz. Die Wirtschaft also, die so gerne mit dem Finger auf die Politik und die Verwaltung zeigt, verbürokratisiert sich auch selbst – etwa mit Standardisierungen, Compliance-Regeln oder dem Anlegen von Datenfriedhöfen. Dies auch wegen der weit verbreiteten Vollkaskomentalität und Null-Fehler-Kultur.
Leerlauf ohne Ende
«Organisierte Unverantwortlichkeit» nennt Adrian Amstutz, Mitinhaber eines Architekturbüros in Sigriswil BE und SVP-Nationalrat, das Phänomen. Keiner sei mehr verantwortlich, keiner könne Entscheidungen treffen. Und kaum einer wisse, was eigentlich seine Aufgabe sei. Deshalb würden letztlich einfach Papierhaufen im Kreis herumgereicht. Leerlauf ohne Ende. Und oft ohne Ergebnis.
Amstutz’ Kritik richtet sich primär gegen die öffentlichen Verwaltungen bei Bund, Kantonen und Gemeinden. Aber das gleiche Muster erkennt er immer häufiger auch in der Privatwirtschaft – zuerst bei den Konzernen, mittlerweile auch bei den mittelgrossen Unternehmen. «Es ist eine Seuche.» Und diese habe nichts mit neuen Gesetzen zu tun, ergänzt Amstutz und entkräftet damit die Lieblingsausrede von Wirtschaftsführern. «Das ist hausgemacht. Es ist die Folge davon, dass letztlich alle Chefs sein wollen.»