Nach Ihrer Meinung sind Introvertierte die besseren Manager. Warum?
Susan Cain: Viele Menschen denken beim Thema Führungsstärke nicht an stille Menschen. Aber Studien zeigen, dass die Introvertierten, die es an die Spitze von Unternehmen schaffen, herausragende Ergebnisse erzielen. Introvertierte Anführer motivieren ihre Arbeitskräfte besser, formen Allianzen und bauen tiefe Vertrauensverhältnisse auf. Sie hören besser zu. Und sie geben den Ideen ihrer Mitarbeiter eine echte Chance.
Wer sind diese stillen Chefs?
Die Gesellschaft unterschätzt sie. Wenn jemand Introvertiertes es schafft, eine Führungsrolle zu übernehmen, liegt das meist nicht daran, dass sie von Anfang Chefs werden wollten, sondern daran, dass ihnen ihre Aufgabe so sehr am Herzen liegt. Sie haben Erfolg, weil sie sich sehr tief in ihr Thema eingearbeitet haben. Sie machen trotz ihrer Persönlichkeit Karriere.
Was spricht gegen charismatische Chefs?
Wer gern redet, hört oft nicht so gut zu. Der Wharton-Ökonomie-Professor Adam Grant studierte Teams bei einem Wettbewerb, wer die meisten T-Shirts faltet. In jedes Team steckte er einen Schauspieler, der eine besonders schnelle Technik kannte. Die von Introvertierten angeführten Teams schnitten deutlich besser ab, weil sie ihre Mitglieder nach Inputs fragten und auf den Rat der Schauspieler hörten. Die extrovertierten Anführer gaben ihrem Team vor, wie es gemacht wird. Sie übersahen völlig die Stärke, die in ihrem Team steckte.
Adam Grant ist ja eng befreundet mit Sheryl Sandberg...
... der extrem extrovertierten Geschäftsführerin von Facebook. Sie nahm sich Grants Studie zu Herzen: Sie arbeitete mit einem Coach daran, weniger dominant aufzutreten. Sie strengt sich an, in Meetings weniger zu sprechen. Sie weiss, dass es für jedes Team wichtig ist, so viele Ideen wie möglich am Start zu haben.
- Bestseller-Autorin Susan Cain studierte an den Eliteuniversitäten Princeton und Harvard und praktizierte Jura in einer Kanzlei an der Wall Street. Erst während einer Auszeit fand sie zum Schreiben.
- Ihr Ted-Talk zu ihrem Bestseller «Quiet» wurde 17 Millionen Mal abgerufen, ihr Buch «Still» in 40 Sprachen übersetzt. Cain gründete die Beratungsfirma Quiet Revolution, die Unternehmen in Sachen Introvertiertheit berät. Gerade erscheint ihr neues Buch «Still und Stark» im Goldmann-Verlag.
Extrovertiertheit wird in den USA geradezu anerzogen.
In Kaderschmieden für die Elite wie der Universität Harvard oder der Militärakademie West Point wird die Persönlichkeitspräferenz unserer Kultur stark sichtbar. Ein Absolvent der Harvard Business School beschrieb die Institution als «spirituelle Hauptstadt für Extrovertiertheit». Die Noten basieren zu 50 Prozent auf mündlicher Teilnahme. Erstsemester-Studenten müssen den Grossteil ihres Studiums in «Learning Teams»-Gruppen verbringen. Dazu wird von den Studenten erwartet, ausserhalb der Seminare ein geselliges Sozialleben zu führen. Ein Student sagte mir, dass er in Harvard nachts ausgehe, als sei das sein eigentlicher Beruf.
Sie sind Beraterin: Wollen Unternehmen mehr auf introvertierte Mitarbeiter hören?
Die Unternehmen sind sehr aufgeschlossen. Es sind subtile, aber starke Handwerkzeuge, die sie sehr interessieren: etwa, mit Teams darüber sprechen, wie sie zusammenarbeiten und welchen Arbeitsstil jedes Mitglied individuell bevorzugt. Da kann man schnell adjustieren – wie viele Konferenzen es gibt oder wie sie geführt werden.
Was empfehlen Sie?
Vielleicht verabredet ein Team, alle 15 Minuten eine stille Denkpause für fünf Minuten einzulegen. Das gibt jedem die Chance, über das Gespräch tiefer nachzudenken. Es kommt aber insbesondere Introvertierten entgegen, welche ihre Gedanken in Ruhe vorbereiten können. Es hilft überhaupt, wenn extrovertierte Chefs verstehen, dass sie die besten Ideen von introvertierten Mitarbeitern nicht in einer grossen Runde erfahren werden. Ihnen könnte man eine E-Mail schicken.
Wer ist ein Introvertierter, der es geschafft hat?
Mein Beispiel dafür ist immer Bill Gates. Er ist introvertiert und hat all die Dinge geschafft, die Introvertierten schwerfallen. Ihm merkt man aber auch an, dass er auf seine eigenen Bedürfnisse Rücksicht nimmt. Und er redet offen darüber. Seine Stärke ist, tonnenweise Bücher zu lesen oder wenn es ein Problem gibt, ein paar Tage abzutauchen und darüber nachzugrübeln und dann eine Lösung zu finden. Aber er muss das extrovertierte Zeug auch machen. Und andere Extrovertierte einstellen, die ihm damit helfen.
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