Seit einiger Zeit glaubt man auch in der Schweiz, man könne mit künstlich inszenierten Wettbewerben die Effizienz im Gesundheitswesen steigern. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung erfolgte im Jahr 2012 mit der Einführung von Fallpauschalen. Seither werden stationäre Behandlungen in Spitälern pauschal mit einem bestimmten Betrag abgegolten. Auf diese Weise soll ein Kostenwettbewerb zwischen den Spitälern in Gang gesetzt werden. Wenn nämlich für einen bestimmten Fall, zum Beispiel eine Blinddarmentfernung, überall gleich viel Geld (die Fallpauschale) bezahlt wird, dann müsste ein Anreiz bestehen, diesen Fall zu möglichst geringen Kosten abzuwickeln beziehungsweise diesen Fall dort nicht mehr zu behandeln, wo es sich wegen zu hoher Kosten nicht mehr lohnt.
Wie schon in andern Ländern stellt man jetzt auch in der Schweiz fest, dass nicht Kostensenkungen, sondern -erhöhungen die Folge sind. Gemäss neuesten Zahlen von Santésuisse ging das Kostenwachstum in den Spitälern seit 2012 bei stationären Behandlungen munter weiter, und in den stationären Rehabilitationszentren stiegen die Kosten allein von 2012 bis 2013 um zehn Prozent. Eine Überraschung ist das keineswegs. Fallpauschalen setzen perverse Anreize, deren Folgen wir auch in der Schweiz spüren. In Wirklichkeit «sparen» die Spitäler bei der Einführung von Fallpauschalen vor allem dadurch, dass sie ihre Kosten zulasten von Rehabilitationszentren, Pflegeheimen und der ambulanten Versorgung reduzieren, wo die Kosten dann entsprechend ansteigen. Und zweitens versuchen Spitäler, möglichst viele und möglichst hohe Fallpauschalen herauszuholen.
Den zweiten Effekt kann man vor allem in Deutschland erkennen. Dort wurden die Fallpauschalen bereits im Jahr 2004 eingeführt mit zum Teil drastischen Folgen. Allein zwischen 2005 und 2011 hat die Zahl der Operationen in den Krankenhäusern um rund 25 Prozent zugenommen. Und das besonders bei den Operationen, für die es hohe Fallpauschalen gibt. Das ist etwa der Fall bei Kniegelenk- und Hüftgelenkoperationen, und auch verschiedene Herzoperationen erwiesen sich als lukrativ. Da diese Effekte dermassen offensichtlich sind, werden sie inzwischen auch von den Verfechtern der Fallpauschalen nicht mehr bestritten. Diese versuchen stattdessen, die Zunahme mit Sondereinflüssen zu erklären, um so die Idee der Fallpauschalen doch noch zu retten.
Doch das ist Augenwischerei. In Wirklichkeit kehrt man mit den Fallpauschalen die Logik des ganzen Gesundheitswesens um. Früher bestand das Hauptziel eines Spitals darin, kranke Menschen zu heilen, und als Nebenbedingung musste man schauen, dass die Kosten nicht aus dem Ruder liefen. Mit der Einführung der Fallpauschalen wird die Erwirtschaftung eines möglichst guten finanziellen Resultates de facto zum Hauptziel eines Spitals, und die Patienten werden zunehmend zu einem Portfolio, das es zu optimieren gilt. Es geht darum, möglichst lukrative Patienten zu akquirieren und ihnen möglichst lukrative Diagnosen zu stellen. Und umgekehrt werden nicht lukrative Patienten möglichst schnell weitergeschoben.
Da können wir uns in der Schweiz noch auf einiges gefasst machen.
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz.