Bis vor knapp einem Jahr arbeitete Reto Gentinetta bei der Post; er führte zeitweise 150 Leute. Dann machte er sich als SAP-Berater selbständig. An seine Zeit im Middle Management beim gelben Riesen erinnert er sich mit gemischten Gefühlen: «Vieles, was nichts mit der Aufgabe einer Führungskraft zu tun hat, bleibt an einem hängen.»

In den sieben Jahren, die er bei der Post war, hat der Kostendruck enorm zugenommen und damit auch die Anforderung an das mittlere Management. «Vor lauter administrativen Aufgaben ist die Arbeit, die das Unternehmen wirklich voranbringt, immer mehr in den Hintergrund geraten», so Gentinetta.

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Das Kader wird kurgehalten

Diese Erfahrung teilt er mit vielen Vertretern der mittleren Ebene. Denn trotz steigender Belastung wird das Kader oft kurzgehalten. Wer im Mittelbau heute noch ein eigenes Sekretariat hat, gehört zu den Glücklichen. Der Rest verbringt einen grossen Teil seiner Arbeitszeit mit Tätigkeiten, die nicht zu den Kernaufgaben einer Führungskraft gehören: selber in die Tastatur greifen, um E-Mails zu beantworten, Berichte und Protokolle tippen, Präsentationen erstellen oder Termine für Meetings finden. In Zeiten des Kostendrucks wird rasch am Support gespart, und das Delegieren von Aufgaben, die andere besser machen könnten, ist schwierig.

Um nicht unterzugehen, hat Gentinetta in seinem Job bei der Post auf drei Dinge gesetzt: aufs Priorisieren, aufs Fokussieren und auf ein gutes Team. Seine Rolle als Middle Manager befriedigte ihn dennoch je länger, desto weniger – für ihn mit ein Grund für seinen Entscheid, sich beruflich zu verändern.

Klassische Sandwich-Position

Das Grundproblem eines Middle Managers ist, dass er sich in einer klassischen Sandwich-Position befindet – zu der Flut an Aufgaben kommt die Belastung durch die Ansprüche von oben und von unten hinzu. «Als Middle Manager hat man immer zwei Rollen», sagt Bernhard Bohnenberger, Group Manager Approval Engineering & Testing bei Hilti in Kaufering in Bayern. «Man hat einen Chef mit Erwartungen und wird geführt. Gleichzeitig ist man selber Chef und führt.» Damit umzugehen, sei nicht leicht.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele in der Sandwich-Position schlecht darauf vorbereitet sind, Veränderungen voranzubringen. Das zeigt eine Untersuchung des Beratungsunternehmens Capgemini Consulting: Knapp 80 Prozent des Topmanagements wird Veränderungswille bescheinigt, vom mittleren Management hingegen nur bescheidenen zehn Prozent. Vor Angst gelähmt, etwas Falsches zu tun, verharrt es beim traditionellen «So haben wir es schon immer gemacht».

Die Heerscharen von Gruppen- und Abteilungsleitern, Directors und Vice Presidents vor allem in den Grossunternehmen werden auch wenig geschätzt. Für Daimler-Chef Jürgen Schrempp war die Konzernzentrale des Autobauers schlicht das «Bullshit Castle». Anerkennung klingt anders.

Zeit also für eine Bestandesaufnahme der Situation des mittleren Managements: Wie effizient arbeitet es? Wie stark ist es belastet? Was können die Chefs tun, damit es die Leistungen bringt, zu denen es in der Lage ist?

Inkompetenz kostet

Um die Effizienz ist es schlecht bestellt, wie Studien aus dem Ausland zeigen. Sie machen deutlich, dass die Inkompetenz eine Menge Geld kostet: In Grossbritannien geht jedes Jahr ein Produktivitätsverlust im Wert von astronomisch hohen 350 Milliarden Franken auf das Konto unfähiger Manager, wie das Arbeitsministerium in London schätzt. Das Königreich verliert jährlich Arbeitsstunden im Wert von 30 Milliarden Franken durch ineffizientes Management.

Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie des Australian Institute of Management bescheinigt dem Middle Manager gar pauschal, ein Produktivitätshindernis zu sein. Von oben verordnete Programme zur Effizienzsteigerung und zur Verbesserung der Leistung, die essenziell für eine Firma wären, scheiterten an einem wirkungslosen und inkompetenten Management.

Eine der wichtigsten Stellschrauben

«Der Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens hängt von den Middle Managern ab», sagt Leigh Funston, Head of Policy des Australian Institute of Management. Für eine Studie befragte er mehr als 2000 Unternehmenslenker. Über 70 Prozent glauben, dass die Hierarchiestufen unter ihnen nicht in der Lage seien, die strategischen Ziele im Tagesgeschäft durchzusetzen. Das ist fatal, denn die Effizienz des mittleren Managements ist eine der wichtigsten Stellschrauben, mit der sich der Erfolg einer Organisation beeinflussen lässt. In der Realität meist negativ, denn fast 60 Prozent aller gescheiterten Unternehmen stürzten ab, weil das Management falsche Entscheidungen getroffen hatte.

Das ist das Ergebnis einer Untersuchung über «Leadership and Management in the UK. The Key to Substantial Growth», welche die Regierung Cameron in Auftrag gegeben hat. Deren Experten schätzen, dass Best-Practice-Techniken in der Führung die Produktivität um fast 25 Prozent steigen lassen. Experten sind überzeugt, dass sich solche Erkenntnisse aus ausländischen Erhebungen auch auf die Schweiz anwenden lassen.

Oberste Management in der Verantwortung

Viele sehen das oberste Management in der Verantwortung für die unbefriedigende Situation. «Das Topmanagement hat genau das mittlere Management, das es verdient», sagt der Ex-McKinsey-Mann und heutige unabhängige Managementberater Raymond Hofmann aus Basel. «Wer von oben nicht klar sagt, was er will, kann auch nicht erwarten, dass unten alles so läuft, wie er es wünscht.» Hofmann berät in Unternehmensleitungen das C-Level und konzentriert sich dabei auf Prozesse, die nur ein Ziel haben: die Effizienz des Managements zu verbessern. Für ihn ist klar, dass das mittlere Management nur dann effizient sein kann, wenn das Unternehmen für die richtigen Rahmenbedingungen sorgt: «Chefs müssen Klarheit schaffen.»

Beim Zürcher Vermögensverwalter RobecoSAM läutete der Antritt des neuen CEO Michael Baldinger einen Strategieentwicklungsprozess ein, der stark auf Ergebnisse ausgerichtet war. «Wir haben dafür gesorgt, dass wir nicht nur Ziele festlegten, sondern auch definierten, wie wir sie umsetzen wollen», sagt Ruud Wilders, der die Geschäftsleitung von RobecoSAM bei der Entwicklung unterstützt hat und ihr jetzt als Head Corporate Services angehört.

Klare Zielvorgaben

Die Besonderheiten bei der Umsetzung des Effizienzprogramms: Die Ziele sind bei allen Mitarbeitern immer «top of mind» und dadurch Richtschnur des täglichen Handelns. «Für mich als Middle Manager war das sehr hilfreich», sagt François Vetri, Head of Corporate Communications. «Durch die klar definierten Ziele habe ich ein verbindliches Entscheidungsraster.» Dient ein Projekt einem der Unternehmensziele, dann lohnt es sich, es weiterzuverfolgen und es umzusetzen. Dient es ihm nicht, ist die Entscheidung auch klar: gar nicht erst anfangen oder sofort beenden.

«Wichtig bei diesem Prozess sind Transparenz und Klarheit», sagt Wilders. Nur wenn jeder in der Firma weiss, welches die Ziele sind, die das Unternehmen erreichen will, und wie er selbst dazu beiträgt, können sich wirklich alle Kräfte auf die produktive Arbeit konzentrieren – und für überflüssige Dinge keine Ressourcen mehr verschwenden.

Konzentration auf ein Motto

Bei RobecoSAM hat die Geschäftsleitung fünf Felder festgelegt, die sie für den Erfolg für wichtig hält. Jedes Jahr wird eines davon zum Motto erhoben, und die Organisation konzentriert sich darauf, es umzusetzen. «Für uns ist es entscheidend, dass wir uns am Ergebnis orientieren und alle Prozesse und die Organisation danach ausrichten», sagt Wilders. Der Vorteil des RobecoSAM-Ansatzes: «Im Tagesgeschäft geht sonst schnell der Sinn für das verloren, was wirklich wichtig ist», sagt Raymond Hofmann. Für Aktionismus hat es keinen Platz mehr.

Beim mittleren Management macht Hofmann ein grosses Ausbildungsdefizit aus. In den MBA-Programmen fänden sich zwar die klassischen Themen der Betriebswirtschaft, doch das A und O der Führung und die Grundlagen für erfolgreiches Selbstmanagement kämen zu kurz, meint er. Es fehle am handwerklichen Rüstzeug, um zielgerichtet zu arbeiten; Ineffizienz sei die Folge. Die klassischen Rezepte für den Erfolg im Management würden kaum umgesetzt – weder Peter Druckers Grundsatz «First things first, second things not at all» noch Tom Peters Erkenntnis «Good managers have a bias for action».

Überforderte Manager

Kein Wunder, sürzt sich das mittlere Management meist ohne klare Zielorientierung auf alles, was nach einer Herausforderung aussieht – und leidet unter einer immensen Belastung. Die Cologne Business School hat über 500 Middle Manager nach ihrer Befindlichkeit befragt. Mehr als die Hälfte fühlte sich von der Komplexität der Aufgaben überfordert. Zwei Drittel der 40- bis 49-Jährigen und über 80 Prozent der über 50-Jährigen waren überlastet. Jeder Fünfte arbeitete mehr als 50 Stunden in der Woche. Das grösste Hindernis für wirksame Arbeit war für sie der Personalmangel – es sind zu wenige Leute da, um Aufgaben delegieren zu können, um wirkungsvoll zu arbeiten.

So werden die Middle Manager zwischen den verschiedenen Ansprüchen aufgerieben. «Viele wissen nicht, wo sie stehen», sagt der Berater und Coach Wolfgang Schmitz, CEO der European Academy for Executive Education im liechtensteinischen Triesen, der sich des gebeutelten mittleren Managements angenommen hat.

«Führen in der Sandwich-Position»

Am Zentrum für Unternehmensführung (ZfU) in Thalwil bietet er das Seminar «Führen in der Sandwich-Position» an. Das Problem der unteren Führungsebenen: Sie stehen unter dem ständigen Druck, Forderungen von oben nach unten weitergeben zu müssen und von unten Leistungen einzufordern. Schmitz setzt in seinen Seminaren darauf, die Rahmenbedingungen herauszuarbeiten, unter denen das Management agiert. «Nur wenn man weiss, welche Wertesysteme hinter den Entscheidungen der einzelnen Player in einem Unternehmen stehen, hat man eine Chance, richtig zu agieren», sagt er.

Im Klartext: Geht es der oberen Etage um sachliche Ziele oder um «Politik»? Will das Team keine Veränderung, oder ist es wirklich am Anschlag? Wer in der Sandwich-Position effizient führen will, muss nicht nur transparent agieren und Konflikte lösen, sondern auch die andere Seite durchschauen. «Deshalb ist es hilfreich zu verstehen, wieso sich der Chef oder das Team gerade so und nicht anders verhält», sagt Schmitz. «Vielen Sandwich-Managern ist ihre Rolle oft nicht klar, und häufig fehlt es ihnen auch am Verständnis für den Sinn bestimmter Leistungen, die sie von ihrem Team erwarten sollen», sagt er. Wenn Klarheit herrscht, verringert sich der Druck – und die Effizienz der Führung steigt.