Die Omikron-Welle steigert für Arbeitnehmende die Belastungen im Homeoffice, weil viele Kinder wieder zu Hause betreut werden müssen. Wie geht man mit dieser Belastung um?
Katja Unkel: Tief durchatmen und sich zu positivem Denken zwingen. In der ersten Welle stiess man als alleinerziehender Elternteil noch auf Unverständnis, wenn man Zeit fürs Homeschooling oder die Kinderbetreuung benötigte. Besonders aufgefallen ist mir das bei alleinerziehenden, arbeitenden Elternteilen mit einem Kleinkind. Ein Kleinkind kann nicht einfach so «geparkt» werden, wenn das Online-Meeting beginnt. Heute bringen die Leute Verständnis dafür auf, denn mittlerweile ist allen klar, dass Familien und insbesondere Mütter vor enormen Herausforderungen stehen.
Warum der Fokus auf die Mütter?
Ich möchte Väter nicht von dieser Verpflichtung ausnehmen. Aber ein Grossteil sind noch heute Mütter, die zu Hause bleiben und die Betreuung übernehmen. Aber betroffen sind natürlich beide Elternteile.
Zurück zu der Eingangsfrage, wie gehen Betroffene mit der Belastung um?
In meinen Coachings helfe ich Betroffenen, dass sie trotz der neuen Belastung zu Hause einen Rhythmus finden. Zusammen bauen wir Strukturen und klare Organisationen auf. Alle müssen mithelfen und einen Beitrag leisten. Wie in jeder Belastungssituation ist es wichtig, mit den eigenen Kräften klug umzugehen und zu haushalten. Die Doppelbelastung ist kein Dauerzustand, aber da muss man im Moment durch. Während der Belastung sollten regelmässige, bewusste Pausen eingelegt werden. Die Forschung zeigt, dass sogenannte Mini-Breaks, kurze Pausen, in denen man sich aktiv etwas anderem widmet, einen Erholungswert haben. Zum Beispiel eine kurze Runde an der frischen Luft, eine frisch aufgebrühte Tasse Kaffee, deren Duft man tief einatmet, oder abends ein heisses Bad. Wichtig ist, dass wir dabei mit den Gedanken im Hier und Jetzt sind. Diese Achtsamkeit hilft und kann in viele Tätigkeiten eingebaut werden.
Welche Möglichkeiten haben Firmen, um Mitarbeitende mit Doppelbelastung zu unterstützen?
Flexible Arbeitszeiten und Stundenkonten geben Spielraum, genauso wie Abstimmungen im Team. Ein temporäres Defizit soll genauso erlaubt werden wie Überstunden. Die Abstimmung wie auch das Zeitmanagement hängt schlussendlich auch davon ab, ob eine Führungskraft zuvor einen guten Job gemacht hat. Wenn ja, dann sind klare Ziele und vor allem Vertrauen vorhanden. Die Führungskraft steht im Kontakt mit den Mitarbeitenden und weiss zumindest im Grundsatz, wer welche Belastung hat. Zusammen mit ihnen setzt sie klare Prioritäten und schafft Nachrangigkeiten; sprich, was machen wir nicht? Es ist ein Aufgaben-Detox aus der Krisennot heraus.
Wie gestaltet sich dieser Detox; woher wissen beide Seiten, welche Ziele Priorität geniessen?
Um das zu schaffen, sind die Vorgesetzten gefordert, professionelle, hilfreiche Ziele zu formulieren. Ein gutes Ziel schafft Klarheit, was wichtig ist und welchen Handlungsrahmen jeder Mitarbeitende hat. Es ist die Basis für Selbstorganisation. Wichtig ist, dass wir das Alte und Bisherige loslassen. Sehr oft sind alte Strukturen und Abläufe verankert. Diese gilt es zuweilen aufzubrechen. Noch vor der Pandemie war beispielsweise Job-Sharing ein Exot, dem Scheitern zugeordnet. Jetzt ist es eine Lösung aus der Not heraus, da man wegen der Doppelbelastungen Aufgaben teilen muss. Ich höre von guten Ergebnissen, aber natürlich kommt es auf die jeweiligen Jobs an.
Sollten Firmen Entlastungen für Mitarbeitende prüfen, die durch solche Ausfälle betroffen sind?
Ja. Wir müssen alle zusammenhalten. Das gilt für beide Seiten. So wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Hause vor Herausforderungen stehen, so stehen auch Unternehmen vor neuen Hürden: Lieferengpässe, turbulente Märkte, wechselnde politische Bestimmungen oder fehlende Planungssicherheit. Gute Kommunikation der Schlüssel. Natürlich sollten Firmen ihr Bestes geben, um ihre Arbeitnehmenden zu entlasten. Niemandem ist geholfen, wenn Fachkräfte ausfallen, sie überlastet sind oder in Quarantäne müssen. In der Praxis zeigt sich, dass ein gesunder Pragmatismus gefragt ist. Führungskräfte, die das Vertrauen ihres Teams haben, erzählen mir, wie gut und offen sie die Situation diskutieren und Lösungen, manchmal auch unkonventionelle, finden. Jeder leistet einen Beitrag und man hilft sich gegenseitig. Das schweisst zusammen, denn am Schluss sitzen alle im selben Boot.
«Es ist ein Aufgaben-Detox aus der Krisennot heraus.»
Katja Unkel
Wäre es denkbar, dass Unternehmen stärker bei Mitarbeitenden nachfragen oder prüfen, wie die Belastungen durch Betreuungspflichten aussehen?
Eine Überprüfung durch das Unternehmen halte ich für unangebracht und könnte als Schnüffelei ausgelegt werden. Es sollte hingegen normal sein, dass im Team darüber gesprochen wird. Auch das zeugt vom gegenseitigen Vertrauen in Krisenzeiten. Bei Kunden von mir hat die Geschäftsleitung klar kommuniziert, dass Familien und Alleinerziehende nicht im Stich gelassen werden. Schliesslich sind sie keine Einzelfälle. Ein solches Vorgehen sollte «top down» mitgetragen werden. Zudem ist es eine Chance, die Unternehmenskultur zu verbessern, sodass der vielgepriesene «Teamgeist» oder die Parolen «Respekt» und «Wertschätzung» nicht nur auf glänzenden Postern im Korridor stehen, sondern gelebt werden.
Müssen Angestellte Karrierenachteile in Kauf nehmen, weil sie durch Betreuungspflichten weniger Zeit für den Beruf haben?
Nein, das sehe ich nicht so. Zum Glück ändert sich unsere Geschäftswelt und so auch die verschiedenen Karrierepfade. Die Pandemie fördert «New Work» und zeigt neue Karrierewege auf. Zudem hat uns der Fachkräftemangel erreicht. Da werden auch die konservativsten Personaler offener für neue Arten und Formen der Leistungserbringung. Und weniger Zeit heisst nicht automatisch weniger Ergebnisse. Wir alle wissen doch, dass wenn wir um 15.00 Uhr den Flieger erreichen oder das Kind abholen müssen, wir fokussierter und effizienter arbeiten.
Können sich auch Topmanager darauf berufen, dass sie durch mehr Betreuungspflichten weniger Leistung erbringen können?
Auch Topmanager sind Mütter und Väter, die von geschlossenen Schulen und Kitas betroffen sind. Nicht jeder hat Oma oder Opa zur Hand, die aushelfen können. Prinzipiell ist das für mich ein persönliches Grundsatzthema; welchen Stellenwert hat die Arbeit für mich und wie viel Raum und Zeit soll sie beanspruchen? Wir beobachten einen sozialen Wandel: Väter wünschen Vaterschaftsurlaub, die regelmässigen Auszeiten und Sabbaticals sind schon Standard und der Ruf nach einer Vier-Tage-Woche nimmt zu. Auch möchten Mitarbeitende vermehrt sinnvolle Tätigkeiten ausüben und nicht nur Stunden abarbeiten, um ihren Lohn zu erhalten. Firmen, Topmanager, aber auch die Mitarbeitenden sind in der Pflicht, zu reagieren und die Wünsche gemeinsam umzusetzen.