Schnell oder langsam
Nachdenken ist nicht gleich nachdenken, sagt auch Nobelpreisträger Daniel Kahneman. In seinem Buch «Thinking, Fast and Slow» hat er seine Ergebnisse aus jahrzehntelanger Forschung zusammengefasst. Für ihn gibt es zwei Denksysteme, die er anders attribuiert als Torres, die aber in gleicher Weise miteinander verknüpft sind. Kahnemans System 1 ist schnell, emotional, unbewusst, immer aktiv. System 2 ist langsam, logisch, bewusst, selten aktiv. 1 hilft beim Autofahren und bei derAddition von 348 + 725, 2 beim Entwickeln von Strategien und Visionen, beim Einordnen von Erfahrung, beim Auswerten von Erkenntnis. 1 und 2 sind negativ miteinander korreliert, ist 1 «on», ist 2 «off» und umgekehrt.
Das Gros der Firmenlenker sind «Fast Thinker» à la Kahneman und kritische Denker à la Torres. Es gibt einige berühmte Methoden, der 24/7-Tretmühle effektiv zu entkommen. Bill Gates und Mark Zuckerberg etwa lesen bekanntlich Bücher, um ihren Denkmuskel zu stimulieren. Warren Buffett auch. Zudem pflegt der Investor Dienstage in seiner Agenda als Haircut-Days, als Zeit für sich, zu blockieren.
Die drei sind schöne Beispiele, eignen sich für Manager aber kaum zum Vorbild, denn alle drei sind Unternehmer. Doch es gibt inzwischen auch Topmanager, die umsetzen, was Torres fordert, und stolz darauf sind. Jeff Weiner, CEO von Linked-In, zum Beispiel blockiert täglich zwischen eineinhalb und zwei Stunden, um nachzudenken, und preist dies als «the single most important productivity tool».
Eine Frage der Übung
Die grosse Herausforderung heisst innehalten. Die Geschäftswelt ist eine Welt des Tuns. Ziele erreichen, Performance steigern, Projekte vorantreiben gehört zum Selbstverständnis jedes Topmanagers. Wer agiert, bewegt, wer bewegt, ist ein Macher, ein Macher genannt zu werden, ist ein Kompliment.
Gemäss einer Studie der Harvard Business School verbringen CE-Os 60 Prozent ihrer Zeit an Sitzungen und 25 Prozent am Telefon oder an öffentlichen Veranstaltungen. Da bleiben ganze 15 Prozent für alles andere, inklusive Reisen, E-Mail-Verkehr, Lesen und Nachdenken. Dieses dauernde Auf-Zack-Sein kommt nicht von ungefähr: Der Glaube, dass, wer nichts tut, nichts tut, ist Allgemeingut. Aber falsch: «Reflektieren ist alles andere als passiv», sagt Roselinde Torres, «es führt zu Einsichten, Aktivität, Engagement und emotionalem Commitment.» Und: Reflektieren ist nicht Typfrage, sondern eine Fähigkeit – und wie jede andere Fähigkeit erlernbar. Es gilt: Übung macht denMeister.
Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter hat Übung, ist eine routinierte Nachdenkerin. «Ich stehe sehr früh auf und mache einen Waldspaziergang», sagt sie. «Da denke ich nicht bewusst nach, sondern konzentriere mich auf die Natur, komme dabei oft auf gute Ideen oder finde plötzlich eine Lösung für ein Problem, das mich beschäftigt.» Im Alltag, wenn sie gehetzt sei, es knapp von einem Termin zum nächsten schaffe, da denke sie zwar auch nach, aber über Dinge wie: Ist dasHotel gebucht? Komme ich rechtzeitig? Welche Kleider packe ich ein? «Diese Art von Nachdenken finde ich lästig», sagt Keller-Sutter, «ist nicht produktiv, absorbiert eigentlich nur Ressourcen.»