Sie arbeiten seit über zwanzig Jahren als HR-Experte und hatten verschiedene Positionen inne, heute sind Sie HR-Chef von Novartis. Was motiviert Sie?
Steven Baert: Das sind viele verschiedene Dinge. Unter anderem zu wissen, dass die Arbeit, die man macht, einen Impact hat. Dass man weiss, dass die Arbeit dazu beiträgt, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ich habe einige Freunde, die mit einer Krebserkrankung konfrontiert waren. Und zu wissen, dass man in diesem Unternehmen Teil eines Teams von Menschen ist, die hier an Lösungen arbeiten, das macht einen grossen Unterschied. Es macht wirklich Spass.
Im Universum Ranking der begehrtesten Arbeitgeber weltweit sind Sie auf Platz 49 Sind Sie damit zufrieden?
Wir sind sehr froh darüber und fühlen uns geehrt. Denn der Wettbewerb um die besten Talente wird immer härter. Ich würde gerne sehen, wenn wir noch weiter aufsteigen, aber ich weiss unsere Platzierung sehr zu schätzen.
Im Bereich Naturwissenschaften stehen Sie bereits auf Platz eins.
Genau, das ist unsere Zielgruppe, wir verbreitern uns zwar auch in der Rekrutierung, aber als naturwissenschaftliches Unternehmen ist das natürlich eine wichtige Anerkennung.
Wie würden Sie gerne von Bewerbern wahrgenommen werden, neben den typischen Schlagworten Forschung, Medizin, Medikamentegeschäft?
Ich komme da wieder auf den Begriff Wirkung zurück. Wenn man eine Arbeit macht, ist es wichtig, dass man das Gefühl hat, dass diese Arbeit eine Bedeutung hat, einen Zweck. Und wozu suchen wir bei Novartis nach Innovationen? Wir wollen Medizin neu denken, wir wollen das Leben von Menschen verlängern und verbessern. Ich denke, wir müssen diese Message klar rüberbringen, unsere Innovationen haben einen starken Einfluss und verfolgen ein wichtiges Ziel, das sehr erfüllend ist.
Auch Internationalität spielt für Bewerber, nicht nur bei Novartis, eine immer wichtigere Rolle.
Ich denke, das ist positiv. Denn die Zeiten, in denen die intelligenteste Person im Raum ein Problem allein lösen konnte, sind vorbei. Alles auf eine Alleskönner-Person zu fokussieren, bringt am Ende schlechtere Resultate, als wenn sie ein Team haben, das gut interagiert, zusammenarbeitet und sich ergänzt. Es geht bei Novartis primär darum, Wissen aufzubauen - und darum, wie Menschen zusammenarbeiten, voneinander lernen, Wissen verknüpfen und sich gegenseitig herausfordern. Das bringt am Ende die besten Resultate.
Sie beschreiben damit eine Kultur, die sich wahrscheinlich mit dem neuen CEO Vas Narasimhan verändert hat?
Absolut. Er glaubt wirklich an dieses Konzept. Er hat analysiert, was Menschen wirklich motiviert. Ich glaube, die Arbeiten des Autors Daniel H. Pink beschreiben unseren Ansatz am besten. Pink hat genau analysiert, was Menschen antreibt. Dazu gehören unter anderem das Gefühl von Autonomie und ein starker Sinn in der Arbeit. Wir müssen eine Umgebung schaffen, die das ermöglicht und in der Menschen ihre besten Ideen einbringen.
Und wie wollen Sie das schaffen, vor allem bei jungen Menschen?
Zuerst müssen die Mitarbeitenden begreifen, dass die Lösung bei ihnen liegt und nicht bei ihren Vorgesetzten. Man kehrt also die Pyramide um. Sie haben nicht mehr ein Team, das den Chef unterstützt, sondern sie haben einen Chef, der das Team unterstützt. Man muss erst einmal Klarheit für alle im Team schaffen und sagen, das ist das Problem, das wir lösen wollen. Dann bauen wir eine Umgebung, die stimulierend und sicher ist, wo Menschen sich austauschen können. Man gibt ihnen die Freiheit, die Ressourcen und die Unterstützung, die sie brauchen. Und man ist da, wenn Hindernisse auftauchen.
Welche Schwierigkeiten gibt es bei dieser Umkehrung?
Es ist ein Ziel, das schwierig zu erreichen ist, aber es ist eines unserer wichtigsten Ziele in der Firma. Wir glauben daran, dass alles andere von sich aus passieren wird, wenn wir es schaffen, die Kultur so zu verändern, wie ich es geschildert habe. Aber es braucht Zeit, gleichzeitig ist es naiv, zu glauben genug Zeit bringe die Lösung. Man muss eine Menge an Schritten unternehmen und diesen Prozess begleiten. Wichtig ist beispielsweise: Jeder muss wissen, in welche Richtung wir uns bewegen. Das heisst, Ziele müssen definiert und kommuniziert werden. Der zweite Punkt ist, sicherzustellen, dass Menschen das auch umsetzen können. Es geht darum, einen neuen Leadership-Stil einzuführen. Das heisst, wir bilden unsere 300 wichtigsten Manager in diesem Bereich weiter, das dauert zwölf Monate.
Hat dieser Prozess auch Ihre Art der Arbeit verändert? Oder war dieses Denken schon in Ihnen verwurzelt?
Ich habe die Vision von Anfang an geteilt, aber es wäre falsch, zu behaupten, dass man nicht auch selbst seine Führungsqualitäten angepasst und verbessert hat im Verlauf dieses Prozesses. Es gibt keine Veränderungen in Organisationen ohne individuelle Veränderungen. Ich habe viel Feedback vom Team gesucht und viele Befragungen durchgeführt. Ich glaube, ich bin heute eine bessere Führungskraft, als ich es vor einem Jahr war. Konstantes Lernen ist ein Ziel.
Welche Dinge haben Sie denn konkret verändert?
Wir haben alle unsere HR-Prozesse verändert. Während wir alle die Pflicht haben, ständig dazuzulernen, ist heute gleichzeitig Technologie vorhanden, um Dinge einfacher zu machen. Die Zeiten, in denen man irgendwo hingeflogen ist, einen Kurs belegt hat, vom Chef dafür nominiert wurde und tagelang dort sitzt, die sind vorbei. Heute ist es Echtzeit- und On-demand-Lernen. Menschen können wählen, was sie lernen wollen. Wir müssen diese Dinge einfach und zugänglich machen. Wenn jemand denkt, er müsse etwas lernen, sagen wir, er solle es versuchen.
Die Digitalisierung hat die Profile von Mitarbeitern, nach denen Sie suchen, verändert?
Ja, es ist in gewisser Hinsicht aber auch eine evolutionäre Entwicklung. Wir glauben nicht daran, dass die digitale Welt Menschen total aus dem Arbeitsleben hinausdrängt. Wir haben alle in Erinnerung, wie ein intelligenter Computer den besten Schachspieler der Welt geschlagen hat. Aber was wäre rausgekommen, wenn Computer und Schachspieler ein Team gewesen wären? Wir kämpfen gegen Krankheiten und glauben nicht daran, dass Maschinen Menschen in dem Kampf verdrängen, sondern dass sie sich ergänzen müssen. In unseren Forschungsabteilungen bilden wir wirklich grosse Datenpools und führen strukturierte und unstrukturierte Analysen durch, um Lösungen für Gesundheitsprobleme zu finden. Im Verkaufsbereich geht es darum, Einblicke in Echtzeit bereitzustellen, damit bei einem Verkaufsgespräch aktuellste Informationen zur Verfügung stehen. Das ist der Weg, den wir gehen wollen.
Sie haben vor wenigen Monaten 2000 Angestellte in der Schweiz entlassen. Wie gehen Sie mit solchen Massnahmen um?
Das sind sicher nicht Dinge, die man gerne macht. Solche Entscheidungen fällt man nicht nebenbei. Wir wollen uns in solchen Prozessen um jeden Einzelnen kümmern. Die rund 2000 Stellen werden über vier Jahre abgebaut, in anderen Bereichen wird aufgebaut, in einem Bereich etwa entstehen rund 500 neue Stellen. In den vier Jahren arbeiten wir mit den betroffenen Menschen, um sie beispielsweise in andere Richtungen auszubilden, für andere Stellen, eventuell auch intern, zu qualifizieren. Und man schaut darauf, wie es Leuten geht, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben. Hier suchen wir Lösungen, die den Prozess abfedern. Eine innovative Firma kann nur bestehen, wenn sie sich verändert, wenn sie Strukturen anpasst und aufbaut, und man muss Angestellte bei diesem Übergang von alten zu neuen Jobs begleiten.
Welche Rolle spielt Diversity bei Novartis? Wir haben bei anderen Interviews, etwa mit dem UBS-HR-Chef, gehört, wie schwierig es ist, Frauen in Führungspositionen zu bringen.
Unser wichtigstes Kapital sind unsere Leute. Diversität ist nicht nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit. Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir Vielfalt in der Firma verankert haben. Das beinhaltet geschlechtliche, ethnische, sexuelle Diversität. Wir haben heute 42 Prozent Frauen im Management. 28 Prozent der Top-Führungskräfte sind Frauen. Das ist noch nicht genug, das wollen wir ändern.
Wie?
Wir sehen, dass interne Karrierepfade oft der beste Weg sind. Wir wollen jungen Talenten so viel Unterstützung geben wie möglich, etwa durch Senior-Mentoren. Wir müssen transparent machen, was es braucht, um einen Job auf einem gewissen Level zu machen. Denn wir sehen, dass manche Menschen ihre Karrierepfade verlassen, weil sie gewisse Annahmen über eine Stelle, den weiteren Aufstieg oder Berufsbilder haben. Hier versuchen wir, Flexibilität zu gewährleisten. Unsere Talente in verschiedenen Momenten des Lebens zu unterstützen, ist entscheidend für uns.
Wie hat sich diese Debatte in den letzten zwanzig Jahren verändert?
Wenn man sich nur auf einzelne Jahre fokussiert, glaubt man, dass nur wenig Veränderung passiert. Blickt man auf fünf Jahre zurück, sieht man starke Veränderungen. Zugespitzt gesagt: Früher haben weisse Männer über die Wichtigkeit von Diversität geredet. Heute ist das ein offenerer Dialog. Und das geht, wenn man die Vielfalt im Führungsgremium der Firma hat. Dadurch räumt man auf mit unbewusster Voreingenommenheit, die man hat, oder mit stereotypen Annahmen, die Karrieren verhindern.
Was sagen Sie Ihren Kindern, wenn sie sich auf die Arbeitswelt vorbereiten?
Ich versuche, sie mit Geschichten zu inspirieren, mit Beispielen. Ich versuche, meine guten und auch die schlechten Momente zu teilen und zu sagen, was ich gelernt habe. Ich versuche, ein Coach zu sein und sie gleichzeitig vielen Eindrücken auszusetzen. Die Kernwerte Respekt und Vorurteilsfreiheit versuche ich zu vermitteln.
Das Interview führte Ana Maria Montero von CNN Money Switzerland. Es ist Teil einer Serie, bei der die Personalchefs der grössten Schweizer Unternehmen wie UBS, ABB und Novartis Einblick in ihre Arbeitsweise und ihre Rekrutierungsstrategie geben. Kooperationspartner für das Projekt ist der Sender CNN Money Switzerland.