In Chinas Topetagen arbeiten wesentlich mehr Frauen als in Europa. Herrscht in Asien nicht eine Männerkultur?
Asien ist nicht gleich Asien! Für Japan mag das mit der Männerkultur noch stimmen. Dort sind Frauen in Führungspositionen tatsächlich nur schwach vertreten. Doch auf den Philippinen und in Thailand sieht das schon völlig anders aus – und in China erst recht! Die erste und zweite Führungsebene ist dort zu 38 Prozent mit Frauen besetzt. Im Finanzressort liegt der Anteil sogar bei 61 Prozent. Die Schweiz kommt hier auf 5 Prozent, soweit ich weiss. In Asien vertraut man das Finanzielle traditionell gerne einer Frau an.
Woher kommt der hohe Frauenanteil im chinesischen Management?
Zunächst einmal ist es in China völlig normal, als Frau berufstätig zu sein. Die weibliche Vollzeitbeschäftigungsquote liegt bei 89 Prozent – so hoch wie in kaum einem anderen Land. Das ist eine Spätfolge der Kulturrevolution, in der die Geschlechtergleichheit massiv vorangetrieben wurde. Hausfrau zu sein und sich ausschliesslich um die Kinder zu kümmern, ist in China fast verpönt, zumindest in den Metropolen. Ich war letztens auf einem Symposium in China, wo das regelrecht als Problemthema behandelt wurde. Ausserdem ist es dort gesellschaftlich akzeptiert, dass Frauen im Beruf die Führungsrolle einnehmen. Als die Zeitung «China Daily» unlängst fragte, wie das Idealbild einer Frau aussehe, sagte die Mehrheit: die erfolgreiche Businessfrau und Mutter.
Und wer kümmert sich um die Kinder, während die Mutter Karriere macht?
Das übernimmt die Familie, vor allem die Grosseltern. Chinesische Frauen gehen in der Regel weiterhin mit 55 Jahren in Rente; die meisten Grossmütter sind also fit und können sich voll der Betreuung der Enkel widmen. Das System Familie ist entscheidend für den Erfolg chinesischer Managerinnen. Es wird meist durch Haushaltshilfen ergänzt, die zum Teil rund um die Uhr verfügbar sind.
In Ihrem Buch berichten Sie von einer Managerin, die ihr Kind mehrere Jahre nicht gesehen hat. In westlichen Ohren klingt das grausam …
Keine Frau tut so etwas gerne. Doch in China ist es möglich und gesellschaftlich eher akzeptiert. Niemand würde die Managerin deshalb als Rabenmutter bezeichnen oder ihr einen Vorwurf machen. Man muss verstehen, dass der Erfolg einer weiblichen Führungskraft in China auch immer einen Erfolg für die ganze Familie darstellt. Und für den müssen alle Opfer bringen.
Sie haben mit vielen chinesischen Managerinnen gesprochen, die in westlichen Unternehmen arbeiten. Was ist ihr Erfolgsgeheimnis?
Ihre Doppelkompetenz: Sie bringen ein tiefes Verständnis für den chinesischen Markt mit und haben gleichzeitig gelernt, sich perfekt an die Kultur des Arbeitgebers anzupassen. Die Chinesinnen haben zum Teil jahrelang im Ausland studiert, gelebt und gearbeitet. Dieses tiefe Eintauchen in eine andere Kultur ist in keiner anderen Managerinnengruppe zu beobachten. Dadurch sind die Chinesinnen in der Lage, mühelos zwischen den Welten zu wandern. Sie können an einem Tag ein rein chinesisches Team führen, am nächsten eines, das komplett mit Ausländern besetzt ist. Ich bezeichne das als Global Mindset. Diese Anpassungsfähigkeit haben sie nicht nur den europäischen Managerinnen voraus, sondern auch den chinesischen Männern. Diese streben nicht so sehr danach, sich an fremde Kulturen anzupassen, sondern wollen lieber ein eigenes Unternehmen gründen.
Sie haben herausgefunden, dass chinesische Managerinnen in Europa oft Karriereunterbrechungen hinnehmen müssen. Woran liegt das?
Diese sogenannten Stop-and-Go-Karrieren entstehen meist, wenn die Betroffene einen Ausländer heiratet. Bekommt das Paar dann Kinder, fehlt den Frauen die Familie als Unterstützungssystem und ein Teil entscheidet sich dann, beruflich kürzerzutreten und sich den gesellschaftlichen Erwartungen im Gastland anzupassen. Andere lösen das Problem dadurch, dass sie Eltern oder Geschwister einfach in die neue Heimat holen.
In den Medien taucht immer wieder das Klischee von der «Tiger Mom» auf, von der asiatischen Mutter, die ihr Kind auf Hochleistung trimmt. Ermöglicht das den Erfolg von Töchtern?
Die Leistungsprägung ist in chinesischen Familien auf jeden Fall da. Und auch das Bildungssystem in China verlangt den Kindern einiges ab. Die Schule geht jeden Tag bis 16 Uhr, danach büffeln viele beim Nachhilfelehrer weiter. Bildung ist ein hohes Gut und chinesische Eltern investieren hier viel. Wer es sich leisten kann, bezahlt den Kindern ein Studium im Ausland oder an einer Top-Uni des Landes. Töchter werden dabei genauso gefördert wie Söhne. Aussagen wie «Die Kinder sollen auch Zeit für ihre Hobbys haben» hört man in China eher nicht.
Was denken die Chinesinnen von ihren Kolleginnen in Europa?
Ich habe vor kurzem mit einer aus China stammenden Aufsichtsrätin gesprochen, die mir schilderte, wie schwer es ist, in Europa den weiblichen Nachwuchs zu fördern – weil manche einfach ein ruhiges Familienleben wollen. Viele Chinesinnen können das nicht verstehen. Sie sind im Schnitt ein bisschen erfolgshungriger als europäische Kräfte. Dabei spielt sicher auch der Umstand mit hinein, dass die derzeitige Generation der Führungskräfte noch die Öffnung des Landes miterlebt hat und sich den Wohlstand erst erkämpfen musste. Doch auch in China rücken Jüngere nach, die schon im Wohlstand aufgewachsen sind – zudem meistens als Einzelkinder. Wie leistungshungrig diese Generation sein wird, bleibt abzuwarten.
Sie schreiben in Ihrem Buch, Chinesinnen würden konfuzianisches Management betreiben. Was heisst das?
Ihr Stil ist auf das Harmonisieren von Diversity, auf Langfristigkeit von Beziehungen und auf die Gruppe ausgerichtet. Die Führungskraft strebt nicht danach, den eigenen Ruhm zu vermehren, sondern will die Fähigkeiten der Einzelnen kombinieren, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Gleichzeitig legen die Managerinnen grossen Wert auf lebenslanges Lernen. All diese Werte gehen auf die Philosophie von Konfuzius zurück – und entsprechen in einigen Punkten dem modernen transformationalen Führungsstil.
Welche Schwächen haben chinesische Managerinnen?
Viele geben an, dass sie zu Beginn ihrer Karriere Probleme mit der Selbstdarstellung und -vermarktung hatten. Doch damit hadern weibliche Führungskräfte generell. Was die Chinesinnen mitunter lernen müssen, ist der westliche Umgang mit Konflikten. In China ist die Grundkultur von Harmonie geprägt; kommt es zu Konflikten, versucht man sie zu lösen, ohne dass ein Beteiligter sein Gesicht verliert. Im Westen dagegen werden sie auch mal direkt ausgetragen. Damit tun sich junge Managerinnen aus China mitunter schwer.