Avenue de France 114 in Annecy: Der Asphalt des Vorplatzes ist ausgefahren, die Parkplatzmarkierungen sind ausgebleicht, das Grünzeug in den sechs hüfthohen Töpfen steht vor dem Eingang Spalier. Für Besucher gibt es einen einzigen Hinweis auf das, was sich im grossen einstöckigen Gebäude hinter der verspiegelten Glastür verbirgt: einen Sticker, leuchtend rot-weiss-blau, frisch aufgeklebt.
Willkommen am Hauptsitz von Fusalp, einer der derzeit exklusivsten und spannendsten Sportswear-Marken überhaupt. «Bonjour!», ruft Sophie Lacoste, im Gesicht ein breites Lachen, und eilt uns entgegen. Ihr Händedruck ist fest, die Stimme weich: «I’m very happy to have you here today.» Ihr gehört Fusalp. Sie hat die Marke zusammen mit ihrem Bruder Philippe im Dezember 2013 akquiriert, die beiden teilen sich das Präsidium. Das Geld dafür hatten sie aus dem Verkauf von Lacoste, der Marke, die ihr Grossvater René Lacoste gegründet hatte, an Manor. Die Akquise von Fusalp entsprang dem Frust darüber, dass ihr Vater Michel die Marke mit dem Krokodil lieber versilbert als an sie weitergegeben hat.
Den Frust von einst hat der Erfolg längst erstickt. Alexandre Fauvet, den Sophie Lacoste als CEO von Fusalp vorstellt, wartet im Showroom vor Leinwand und Beamer mit ein paar Slides auf seinen Auftritt. Besonders eindrücklich: Damals beim Kauf erzielte Fusalp einen Umsatz von 6,5 Millionen Euro. Für das laufende Geschäftsjahr, das im Mai 2023 endet, sind 53 Millionen Euro budgetiert. Damit ist das Label aus der Haute-Savoie, verglichen mit Konkurrenten wie Moncler mit 1,2 Milliarden oder Bogner mit 122 Millionen Euro Umsatz, zwar nach wie vor ein Winzling. In Sachen Dynamik aber gehören die Franzosen aufs Podest: Den Faktor acht in ihrer Umsatzstatistik macht ihnen so schnell keiner nach.
Das Kunststück verdankt die Marke einer weiteren Lacoste, Mathilde. Sie ist mit Philippe verheiratet und seit 2015 die Chefdesignerin. Von ihr stammt der Satz «Design is like sport: no matter how high you aim, it’s still a game». Die Leichtigkeit dieser Attitüde ist der rote Faden in ihren Entwürfen. So ist aus dem Wintersportausrüster Fusalp die Sportswear-Marke Fusalp geworden mit Teilen, die nicht nur für die Corviglia taugen, sondern auch für die Zürcher Bahnhofstrasse. «Die meisten Leute gehen eine Woche pro Jahr auf die Piste», erklärt Fauvet, «wir haben daran gearbeitet, unsere Skijacken auch für andere Gelegenheiten passend zu machen.» Die Idee: Volltreffer und Wegweiser zugleich. «Als wir hier angefangen haben, war der Bestseller eine Damenjacke für 199 Euro», erzählt der CEO, der seit 2013 dabei und ebenfalls am Unternehmen beteiligt ist, «zwei Jahre später war der Bestseller eine Jacke für 1500 Euro.» Upgrade preislich wie qualitativ, vom Schnitt über das Material und die Verarbeitung bis zum Namen. Der Bestseller heisst Montana («Weil ich dort Ski fahre», so Fauvet) und ist aktuell als Montana III das Signature Piece von Fusalp, kostet schlappe 1990 Franken und ist nach wie vor Bestseller. Topseller ist inzwischen aber Gezi, ein höchst unscheinbarer, aber laut Fauvet materialtechnisch ungemein sophistizierter Herrenmantel. Kostenpunkt: 1150 Franken.
Perfekte Schnitte
Fusalp-Kunden sind gemäss Fauvet etwa gleich viele Männer wie Frauen im Alter zwischen 25 und 55 Jahren. Finanziell sind sie dick gepolstert, sonst von Vorteil eher mager: Madame Lacoste designt nah am Körper. Eingequetscht – das ergibt die Anprobe – fühlt man sich in den Hosen und Jacken aber nicht. Und das hat System: Die Teile sind aus Hightech-Materialien, die warm geben, ohne die Bewegungsfreiheit einzuschränken. Wichtigster Lieferant: Schoeller aus der Schweiz.
Material- und schnitttechnische Brillanz sind in der DNA von Fusalp. 1952 von zwei skibegeisterten Schneidern gegründet, berühmt geworden mit innovativer Skibekleidung, war die Marke Ende der 1960er Jahre Weltmarktführerin auf ihrem Gebiet. Die Highlights aus dieser Ära sind in der «Museum-Ecke» in der Annecy-Halle ausgestellt. Die Exponate: Skihosen und -jacken, Overalls aus elastischen Stoffen mit Polstern an Knien und Ellbogen, windschlüpfrig, körperbetont, funktional und meist rot-weiss-blau. Auch dabei die «Fuseau des Alpes», kurz Fusalp, die erste Skihose, die über den Skischuhen getragen wurde und mit der die Füsse auch bei Pulver- und Tiefschneeschwüngen im Trockenen blieben. Die Hose hat gross Karriere gemacht mit den französischen Teams in den Sechzigern.
Skidresses gehören auch heute noch fix ins Sortiment. Mathilde Lacoste verpasst den historischen Codes mit ihrem Savoir-faire und ihrem Goût Zeitgeist in Form von Modernität und – das Wort fällt unzählige Male im Verlauf der Besichtigung – Langlebigkeit. Aufs Material gibt es fünf Jahre Garantie, und die Schnitte sind so, dass sie nicht aus der Zeit fallen. Dafür haben die Lacostes eine «Director of Collection», Elisabeth Malcor, zur Seite. Sie ist neu bei Fusalp und bezüglich Schnitten höchst erfahren, sie war bei Christian Dior, Sonia Rykiel und Nina Ricci. Als wir in Mathilde Lacostes Abteilung ankommen, ist sie gerade am Finetuning der Linien einer dunkelblauen Daunenjacke. Nicht am Computer, nicht an einer Puppe, sondern an einem Model aus Fleisch und Blut. «Der Schnitt muss funktionieren, auch in Bewegung», sagt sie. Funktionierts, wird hier der Prototyp hergestellt, genäht wird in Portugal und Südkorea.
Was Fusalp heute ausmacht – schöne Zahlen, dazu Ernsthaftigkeit ohne Verbissenheit, Bewusstsein ohne Mission sowie das Bekenntnis der Lacostes zu Nachhaltigkeit –, hat jüngst Investoren angelockt, die ihrerseits höchst wertaffin sind. David Wertheimer, Spross der Chanel-Dynastie, und Renaud Dutreil beteiligten sich via die von ihnen geführten Fonds Mirabaud Patrimoine Vivant und Mirabaud Lifestyle Impact & Innovation, um, wie sie sagen, «das bemerkenswerte Wachstum seit dem erfolgreichen Neustart zu begleiten und Teil des Fusalp-Abenteuers zu werden».
Coole Kollaborationen
Das neue Geld fliesst in Läden und ins Marketing. Noch ist Fusalp in Frankreich zwar jedem, ausserhalb der Grande Nation aber nur Connaisseurs ein Begriff. Branchenprimus Moncler setzte für mehr Bekanntheit auf aufwendige Werbekampagnen und auf Kollaborationen mit wechselnden Designern. Mathilde Lacoste hat für die letzten beiden Wintersaisons mit Chloé zusammengearbeitet und insbesondere für einen absolut pistenuntauglichen, aber höchst fotogenen Poncho viel Applaus gekriegt. Für diesen Winter hat sie zwei Kollaborationen in petto – eine im Bereich Fashion, eine im Bereich Kunst. Was und mit wem? «Das Geheimnis wird im Dezember gelüftet», sagt Fauvet und lässt so ganz nebenbei noch fallen, dass es auch eine Watch-Collab geben werde.
Bislang besitzt Fusalp 50 Läden in 25 Ländern. Es stehen Door Openings an in New York und im November in Zürich. Heisst: Fusalp schwingt synchron mit jenen High-End-Modelabels, die eigene Skikollektionen lancieren, einfach in umgekehrter Richtung: Dior, Chanel und Louis Vuitton drängen mit eigenen Skijacken auf die Piste. Fusalp expandiert derweil ins Städtische, nicht nur mit strassentauglichen Skijacken: Gerade werden Mathilde Lacostes Blazers, Trenchcoats und Jeans lanciert.