Am Schweizer Immobilienmarkt bahnt sich ein Crash der besonderen Art an. Alle sehen ihn kommen. Er vollzieht sich in Zeitlupe. Es geht dabei aber nicht um fallende Preise, sondern um eine drohende Wohnungsknappheit. Die Nachfrage nach neuen Wohnungen, angeheizt durch die anhaltend hohe Zuwanderung, übersteigt auf absehbare Zeit die Zahl der Neubauten. Steuert die Schweiz auf einen Eisberg zu, weil ihr bald die freien Wohnungen ausgehen?

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Es erscheinen zahlreiche Studien mit Vorschlägen, was zu tun ist, um dies zu verhindern. Vertreter der Verwaltung, der Bauindustrie und von Interessengruppen treffen sich an runden Tischen. Doch die Interessen sind zu unterschiedlich, wirksame Lösungen kaum politisch mehrheitsfähig.

Adriel Jost ist Ex-SNB-Mitarbeiter, Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern und Präsident des Thinktanks Liberethica.

Mehrheitsfähige Lösungen bleiben Utopie, weil jede Person selbst schon widersprüchliche Interessen aufweist. Als Sparer hofft man auf eine gesicherte Altersvorsorge dank hohen Immobilienrenditen, als Mieter auf tiefe Mietzinsen. Auf Wohnungssuche möchte man möglichst viel Auswahl haben, aber sobald man eine Wohnung gefunden hat, stört der Baulärm in der Umgebung. Man schätzt eine pulsierende und dynamische Stadt, möchte auf das gewohnte Stadtbild aber nicht verzichten. Alle profitieren von einer wachsenden Wirtschaft, wollen jedoch gleichzeitig im Heidiland leben.

Gesucht wäre also die Quadratur des Kreises. Es lohnt sich deshalb, sich auf das Szenario vorzubereiten, dass vorerst keine wirksamen Massnahmen ergriffen werden.

Zahlreiche Folgen sind zu erwarten. Erstens werden die Mietpreise weiter ansteigen, aufgrund der gesetzlichen Schranken bei bestehenden Mietverhältnissen allerdings nur bei den Marktpreisen für Neumieter. Zweitens werden sich verschiedene Akteure anders verhalten: Konsumenten werden wegen der Budgetüberschreitungen beim Wohnen weniger Geld für andere Güter und Dienstleistungen zur Verfügung haben. Die immer grössere Differenz zwischen den Mieten auf dem freien Markt und den Mieten bestehender Mietverhältnisse erhöht den Anreiz, die bisherige Wohnung nicht aufzugeben. Junge Erwachsene wohnen länger bei ihren Eltern, Wohngemeinschaften werden beliebter, und Teile der Wohnung werden vermehrt an Untermieter weitergegeben.

Bis zum Phänomen der sogenannten Schlafgänger aus dem 19. Jahrhundert, als aufgrund der Wohnungsnot das Bett tagsüber an Schichtarbeiter vermietet wurde, wird es heute kaum mehr kommen. Aber Arbeitnehmer werden längere Pendeldistanzen in Kauf nehmen, so wie auch die Zahl der Grenzgänger zunehmen wird. Arbeitgeber werden selbst mehr tun müssen, um erschwinglichen Wohnraum für ausländische Arbeitnehmer zu finden.

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Drittens führen soziale Spannungen zu Veränderungen der politischen Präferenzen. Der Anteil von subventioniertem Wohnraum nimmt weiter zu, was die Preise für diejenigen weiter erhöht, die bei der Zugangslotterie Pech haben. Der Staat wird wegen der höheren Mietkosten höhere Ausgaben für die Sozial- und Asylpolitik schultern müssen und könnte versuchen, diese Ausgaben durch steigende Immobilien- und Grundstücksteuern zu decken. Wachstumskritik wird immer salonfähiger und die Zuwanderung kritischer gesehen.

Schliesslich verändert sich die Geldpolitik: Höhere Mietpreise machen aufgrund ihrer Bedeutung im Konsumentenpreisindex der Nationalbank das Leben nicht einfacher. Es ist tendenziell mit höheren Zinsen zu rechnen.

Steuert die Schweiz also auf einen Eisberg zu? Das Bild kann täuschen, denn es wird keinen Aufprall geben. Der Mangel an Wohnraum wird die Gesellschaft dennoch signifikant verändern.