Corporate Social Responsibility liegt im Trend. Heute herrscht nicht nur ein Wettbewerb um die besten Produkte und Dienstleistungen. Die Unternehmen messen sich auch bei den Werten, die sie vertreten, sprich den sozialen, gesellschaftlichen und ökologischen Errungenschaften.

Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler war auch diesbezüglich ein Visionär. Für erfolgreiche Konsumgüterfirmen wie DM oder Alnatura war er ein Vorbild. Auch jene Unternehmen, die sich jahrzehntelang auf den Shareholder Value fokussierten und die Genossenschaftsidee belächelten, haben inzwischen umgedacht. Nicht nur der Staat soll es richten, auch die Unternehmen wollen im Interesse ihrer Anspruchsgruppen einen Sondereffort für Gesellschaft und Umwelt leisten.

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Bei der Urabstimmung zum Thema Alkohol geht es um mehr als eine blosse Sachfrage – es geht um einen Eingriff in die DNA der Migros. Das wäre gefährlich, denn sie lebt nicht zuletzt von ihrer Andersartigkeit und Unverwechselbarkeit.

HERBERT BOLLIGER war von 2005 bis 2017 Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes.

Während die Konkurrenz neue Werte sucht, um sich zu profilieren, rückt die Migros von einem ihrer wichtigsten Werte ab, dem Alkoholverbot. Jedes Kind weiss, wodurch sich die Migros von anderen Läden unterscheidet – es gibt keinen Wein, kein Bier und auch keine Zigaretten.

Gleichzeitig setzt sich die Migros von der Konkurrenz ab, weil sie nicht nur an den Umsatz denkt. Sie hat eine klare Haltung, die ihr ein unvergleichliches Profil verleiht. Fällt das Alkoholverbot, bliebe als letztes Alleinstellungsmerkmal praktisch nur noch das Kulturprozent.

Migros und die Gesundheit

Auch geschäftspolitisch ist das Thema von Bedeutung. Die Migros expandiert seit Jahren im Gesundheitsbereich, wo sie ein neues Standbein mit Arzt- und Zahnarztzentren und Apotheken entwickelt. Zudem wirbt sie für gesunde Produkte, für vegetarische und vegane. Verkauft die Migros künftig alkoholische Getränke, kommt sie vom Gesundheitspfad ab, macht eine Spitzkehre.

Richtig ist, dass der Migros-Konzern alkoholische Getränke anbietet, denn er ist heute ein Konglomerat verschiedenster Firmen. Schon die Giro-Läden der selbstständigen Detaillisten boten in den 1930er Jahren neben Migros-Produkten auch alkoholische Getränke an – Duttweiler war eben nicht dogmatisch. Denner verkauft seit jeher Alkohol, logischerweise blieb dies auch so, als die Migros den Discounter übernommen hatte.

Ihr deswegen Scheinheiligkeit vorzuwerfen, ist falsch. Unter dem breiten Migros-Dach haben viele unterschiedliche Firmen Platz. Doch die über 600 Supermärkte der orangen Migros sowie die Migros-Restaurants und Take-aways sind alkohol- und tabakfrei und sollen es bleiben.

Konkurrenz zu Denner

Ob Alkohol in der Migros zum Renner würde, ist nicht so sicher. Der Konsum ist in der Schweiz schon lange rückläufig, zudem würde die Migros ihre Tochter Denner mit deren über 800 Läden kannibalisieren. Praktisch an allen MMM- und MM-Standorten sind Denner-Filialen integriert. Diese langjährige Strategie der Kooperation hat sich bewährt und würde über den Haufen geworfen. Wie sieht die Zukunft von Denner aus, wenn beide Anbieter alkoholische Getränke verkaufen?

«Die Migros lebt nicht zuletzt von ihrer ­Andersartigkeit und Unver­wechselbarkeit.»

Hier bestünde Klärungsbedarf. Die Motivation der Befürworterinnen und Befürworter ist klar: Die regionalen Genossenschafts-Chefs schielen auf die Umsätze der prosperierenden Migros-Tochter Denner. Doch dieses interne Konkurrenzdenken ist kurzsichtig. Vielmehr müsste sich die Migros auf ihre Werte besinnen und diese strategisch weiterentwickeln.

Das ist anspruchsvoll. Die zehn regionalen Migros-Genossenschaften entscheiden autonom, ob sie Wein und Bier verkaufen wollen. Sollten sie zu unterschiedlichen Erkenntnissen kommen, droht ein Flickenteppich, die Migros würde unübersichtlicher. Ein Beispiel: Die Genossenschaft Ostschweiz stimmt zu, Zürich lehnt jedoch ab. Dann würden in Winterthur alkoholische Getränke ins Sortiment aufgenommen, in der Stadt Zürich hingegen nicht. Wer sollte das verstehen?

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