Frau Stöckli, Sie haben gleich zwei namhafte Verwaltungsratspräsidien inne. Wie kamen Sie dazu?
Am Kantonsspital Baselland und bei der Büchi Labortechnik AG war ich bereits im Verwaltungsrat tätig, als ich von den Eigentümern angefragt wurde, ob ich das Präsidium übernehmen möchte.
Ein Präsidium ist eine viel grössere Nummer als ein einfaches Verwaltungsratsmandat.
Das ist so. Für mich kam ein Präsidium erst dann in Frage, nachdem ich als CEO des Medizinaltechnikkonzerns B. Braun Medical aufgehört hatte. Ein VR-Präsidium und eine operative Kaderfunktion gehen für mich nicht zusammen. Das Präsidentenamt braucht viel Zeit und Flexibilität, um auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Man muss jederzeit einspringen können, wenn einen die Geschäftsleitung, die Aktionäre oder die Medien brauchen.
Viele Frauen trauen sich solche Funktionen nicht zu, Sie schon. Warum?
Ich habe es mir auch gut überlegt, aber nicht, weil ich es mir nicht zugetraut hätte, sondern vor allem darum, weil ich Spass an operativen Tätigkeiten hatte. Dann merkte ich, wie privilegiert ich bin von meiner Ausbildung her, meinen Erfahrungen, meinem Alter und meinem Geschlecht, und fand es einen guten Zeitpunkt, um voll auf die Karte Verwaltungsrätin zu setzen.
Welche Fähigkeiten sind in dieser Rolle von Ihnen gefragt?
Es braucht Durchhaltevermögen, kommunikatives Geschick und die Fähigkeit, zum richtigen Zeitpunkt wichtige Interessengruppen einzubinden. Als VR-Präsidentin bin ich auf dem Servierteller, damit muss ich umgehen können. Das habe ich besonders während der umstrittenen Reorganisation des Kantonsspitals Baselland gesehen.
Madeleine Stöckli ist Verwaltungsratspräsidentin bei Büchi Labortechnik in Flawil SG und beim Kantonsspital Baselland. Dazu hat sie ein Verwaltungsratsmandat bei der Belimed AG.
Wie gross war für Sie der Schritt von der operativen zur strategischen Arbeit?
Sehr gross. Die meisten Verwaltungsräte kommen aus dem operativen Geschäft und laufen Gefahr, die strategische und die operative Ebene zu vermischen. Ein Verwaltungsrat muss sich immer wieder auf die strategischen Aufgaben und die oberste Führung besinnen. Das ist mir sehr wichtig, das thematisiere ich auch immer wieder. Man muss das Management auch mal machen lassen.
Warum gibt es bei uns so wenige Frauen an der Spitze von Firmen?
Meiner Erfahrung nach sind es nicht die Firmen, die hohe Anforderungen an Frauen stellen, sondern es sind die Frauen, die hohe Anforderungen an sich selbst stellen. Sie glauben, sie müssten alle Anforderungen eines Profils nicht nur erfüllen, sondern diese auch noch übertreffen. Männer sind da viel lockerer, bewerben sich auch, wenn sie nur 80 Prozent mitbringen. Mehr Selbstvertrauen würde Frauen guttun. Sie müssen sich mehr zutrauen.
Was raten Sie Frauen sonst noch, die eine VR-Laufbahn anstreben?
Wichtig ist, dass sie sich positionieren. Dazu gehört eine Analyse der Erfahrungen, Kompetenzen und Stärken. Zudem müssen sie sich sichtbar machen, auf Plattformen und in gemischten Netzwerken, nicht nur in reinen Frauennetzwerken. Sie sollten Augen und Ohren offenhalten und Kontakte pflegen.
Welche Bedeutung haben Netzwerke in Ihrer Laufbahn?
Ich habe Netzwerke nie systematisch oder aktiv gesucht, sondern einfach aus Freude und Interesse Kontakte gepflegt.
Haben Quereinsteigerinnen Chancen, in Verwaltungsräte hineinzukommen?
Warum nicht? Wenn explizit eine Person gesucht wird, die eine Aussensicht vertritt und einen anderen Blickwinkel in ein Gremium bringt. Querdenken ist immer gut, vor allem in Verwaltungsräten. Aber als Quereinsteigerin ist es sicher nicht einfach. Man fühlt sich sicherer und wohler, wenn man sich in einer Branche oder einem Umfeld bewegt, wo man schon Erfahrungen gesammelt hat.
Wie gehen Sie bei der Auswahl Ihrer Mandate vor?
Die Verantwortung und die Pflichten von Verwaltungsräten haben stark zugenommen. Darum bin ich überzeugt, dass ein Verwaltungsrat nicht zu viele Mandate ausüben soll. Ich suche darum auch nicht aktiv, sondern bin selektiv und konzentriere mich auf meine Erfahrungen in den Branchen Gesundheitswesen, Pharma und Medizinaltechnik.
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Was halten Sie von Frauenquoten?
Ich habe lange Zeit nichts von Quotenregelungen gehalten. Aber der Prozess, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, geht so langsam vor sich, dass ich mittlerweile Quoten eher befürworte. Wir müssen den Prozess beschleunigen.
Welches ist, in wenigen Worten, der Reiz des Berufs Verwaltungsrätin?
Es ist als Aufgabe abwechslungsreich, spannend, anspruchsvoll und fordernd. Ein Unternehmen auf seine Stärken und auf den Markt auszurichten, ist extrem befriedigend, wenn es klappt.