Führende Spieler im Markt haben es längst erkannt: «Wir befinden uns in den letzten zehn Jahren des Venture Capital, wie wir es kennengelernt haben», meint James Currier, Gründer des erfolgreichen, auf die Seed-Phase spezialisierten Fondmanagers NFX. Das ausgerechnet die durch VCs finanzierte Technologie im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) die Branche disrumpiert, ist Ironie des Schicksals. «Besonders in der Venture-Capital-Branche steht eine erhebliche Transformation bevor», meint Tina Dreimann, deutsche Investorin des Jahres 2023.

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Aber natürlich. Die technischen Innovationen der KI sind so erstaunlich, dass man sich kaum noch traut, verlässliche Prognosen abzugeben. Klar ist jedoch, dass wir uns inmitten einer waschechten technischen Revolution befinden. Das vergangene Jahr brachte uns smarte KI-Chatbots, die jetzt schon ein fester Bestandteil vieler Alltagsprozesse sind. Es brachte uns KI-Künstler, deren Bilder Millionenwert haben, und KI-Agenten, die unsere Termine vereinbaren. Die KI «AlphaFold 2» verhalf Demis Hassabis, dem Leiter des KI-Teams bei Google, gar zum Nobelpreis für Chemie.

Und aufgrund der atemberaubenden Fähigkeiten der führenden KI-Modelle sind die Prognosen zu deren Weiterentwicklung exponentiell. Diesem Gedankengang folgend wird es eher Monate als Jahre dauern, bis der Zeitpunkt erreicht sein wird, an dem Intelligenz fast nichts mehr kostet und unendlich skalierbar ist. Wie passt nun der Beruf des Venture-Capital-Managers in eine Welt, in der bahnbrechend intelligente Modelle Investmententscheide treffen können?

Max Meister ist General Partner von Koyo Capital mit Sitz in Baar, ZG.

Bisher ist alles gut. Bereits 2023 prognostizierte die Recherchefirma Gartner, dass 75 Prozent aller VC-Manager künstliche Intelligenz in ihren Investmentprozessen nutzen. Mittlerweile erscheint diese Zahl relativ tief, denn die Nutzung von KI zur Automatisierung von Datenanalysen, zur Erhöhung der Effizienz in der Datenverarbeitung, zum Erkennen von Mustern innerhalb der Daten von Start-ups und zu deren Einordnung in die aktuelle und prognostizierte Marktlage ist extrem verbreitet. Insbesondere in der Prognose – durch das Erstellen von modellhaften Zukunftsszenarien – haben sich KI-Tools bewährt. Auf der einfachsten Ebene nutzen viele Firmen noch immer allgemein zugängliche generative Modelle wie ChatGPT (oder seit Neustem DeepSeek), um simple Datensätze zu analysieren. Einen Schritt weiter sind Firmen wie Earlybird, die proprietäre Technologien entwickeln: Earlybird entwickelte die KI «Eagle Eye», die insbesondere in der Suche nach neuen Unternehmen Massstäbe setzen soll – so war die Nutzung der Technologie etwa ein wichtiger Bestandteil des Investments in die deutsche KI-Firma Aleph Alpha. Auch die Intermediäre gehen mit der Zeit. Die Recherche- und Analyseplattform Pitchbook bietet seit Neustem den «VC Exit Predictor» an, der die erfolgreichsten Start-ups gemäss ihrem prognostizierten Erfolg in einem Ranking zusammenfasst.

Allgemein sind die derzeitigen Modelle jedoch eher Hilfsmittel als eine ganzheitliche Lösung. Es ist zwar evident, dass die Modellierung potenzieller Chancen und Risiken sowie die datengetriebene Entscheidungsfindung durch die aktuellen KI-Modelle verbessert wird. Für einen guten VC brauche es jedoch mehr, meint Samuel Widmann, Unternehmer und Gründer von Endoxon, der Schweizer Firma, welche die Erfinderin von Google Maps war und von Google gekauft wurde: «KI wird VCs nicht ersetzen, aber sehr schnell viele wichtige Entscheidungsgrundlagen schaffen. Am Schluss entscheidet jedoch der Mensch. Bei guten Investoren beeinflusst immer auch eine gute Portion Bauchgefühl den Entscheid.»

Warum also die Sorge der Branchengrössen? Klar, wenn man den Effizienzgedanken weiterspinnt, dann bedeutet die stetig wachsende Nutzung von KI sicherlich, dass gerade dort, wo eine breite Datengrundlage besteht, immer weniger menschliche Analysen sinnvoll sein werden. Dies betrifft natürlich insbesondere Late-Stage-Transaktionen ab der Series B und Investoren, die mit Vorliebe in diese späten Phasen investieren.

Und was die Rendite anbelangt, so ist die Technologie den Menschen vielleicht doch nicht so weit hinterher. Ein in der «Harvard Business Review» durchgeführtes Experiment verglich die Rendite eines durch einen Algorithmus gesteuerten VC-Investmentportfolios mit der Rendite von 255 frühphasigen Angel-Investoren. Der Algorithmus gewann mit einer jährlichen Rendite von sieben Prozent gegenüber zwei Prozent.

Der Gedanke ist schon einleuchtend. Warum auch sollten quantitative Hedge Funds Milliardentrades dem Computer überlassen können, die Algorithmen im VC-Business dagegen nicht funktionieren?

Der Faktor Mensch

Erfolg in der VC-Branche wurde oft aus denselben Zutaten gemacht: einem glasklaren Verstand, harter Arbeit, einem guten Netzwerk zu Geldgebern und Gründern gleichermassen, operativem und finanziellem Wissen, einer Prise Glück, einem goldenen Näschen und einem unbändigen Willen, den Erfolg heraufzubeschwören. Vielleicht ist es doch nicht so einfach, den menschlichen Faktor aus der VC-Gleichung zu streichen. Insbesondere in einer Welt, in der hohe Risiken auf der einen Seite stehen und wenig Daten auf der anderen, ist die Intuition der Kompass, um durch schwer prognostizierbare Situationen zu navigieren. Die menschliche Fähigkeit, über das Zahlenwerk hinauszuschauen und gemeinsam mit Entrepreneuren Träume abzuwägen, ist bisher nicht maschinell replizierbar. Zudem ist im Venture Capital das Networken, das enge Mentoring mit zwischenmenschlichem Wissenstransfer, elementar.

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Der Faktor Mensch sei der entscheidende im VC, meint auch Philippe Bubb, Founding Partner von Session.vc: «Gründer mit herausragenden Projekten wählen ihre Investoren, nicht umgekehrt. Wer bei solchen Investitionsrunden dabei sein will, braucht ein starkes Netzwerk, einen überzeugenden Track Record und viel persönliches Engagement – die KI allein reicht nicht.» 

Bisher ist KI tatsächlich eher ein Hochleistungswerkzeug als ein Ersatz. Vermutlich wird es künftig eine Verschmelzung von KI mit dem Faktor Mensch geben, denn dieser ist einfach kaum wegzudenken. Eines ist klar: Die VC-Branche wird sich in den kommenden Jahren stark verändern, und die technologische Revolution wird den Wettbewerb verstärken. In dem ohnehin stark fragmentierten Markt werden diejenigen Investoren erfolgreich sein, die die beste Integration mit künstlicher Intelligenz haben werden. In einer Welt, in der die Grenzkosten für Intelligenz gegen null tendieren, liegt in der KI die Chance begründet, an den Grundfesten des «Power Law» zu rütteln – also der Idee, dass nur die Erfolgreichen immer erfolgreicher werden. Das bedeutet, dass gerade kleinere Venture-Capital-Firmen verstärkt Chancen haben werden, im harten Wettbewerb um die Suche nach dem nächsten Unicorn zu reüssieren.