An einem Septemberabend schafft es Frédéric Arnault gerade noch pünktlich in die neue Münchner Boutique. Vergangene Woche hat er eine in Mailand eröffnet, als Nächstes folgt Bangkok, dann Berlin. Bei seinen Besuchen will Arnault, CEO des Schweizer Uhrenherstellers Tag Heuer, auch eine neue Uhr vorstellen, einen Zeitmesser, den Tag Heuer gemeinsam mit Porsche herausbringt. Den Turbogang, in dem sich der 28-Jährige gerade befindet, merkt man ihm nicht an.
Er ist der zweitjüngste Sohn von Bernard Arnault, derzeit zweitreichster Mann der Welt und Vorsitzender des französischen Luxuskonzerns LVMH. Gerüchten zufolge spielt sich in der Familie gerade ein Rennen um die Nachfolge ab.
Parallelen zur Serie «Succession» werden gezogen, der 74-jährige Arnault soll die Inspiration für den bissigen Medienhai Logan Roy gewesen sein. In der «New York Times» wies er diesen Vergleich nun zurück: «Es ist weder eine Verpflichtung noch zwangsläufig, dass ein Kind mein Nachfolger wird.»
Sicherheitshalber wurden trotzdem alle fünf auf die Karriere im Familienunternehmen vorbereitet. Frèdèric Arnault hat an der renommierten Elitehochschule École Polytechnique studiert. Seit drei Jahren lenkt er die Geschäfte bei Tag Heuer. Es heisst, er soll bald auch beim Juwelier Bulgari übernehmen.
Er sieht auf Fotos noch jünger aus als er ist, aber von Unsicherheit ist nichts zu spüren. Mit gedämpfter Stimme und seiner zurückhaltenden Art gehört er vielmehr zu einem neuen Typus von CEO, die sich nicht unnötig aufplustern. Offensichtlich ist er zudem um Bescheidenheit bemüht. Als er sein Handgelenk hervorstreckt, um die Funktion der Chronosprint Carrera zu demonstrieren, fällt der Blick auf abgenutzte Säume an den Manschetten.
Verbindung zum Motorsport
Bei dem Chronographen handelt es sich bereits um die zweite Zusammenarbeit zwischen Tag Heuer und Porsche. Die erste liegt gerade einmal zwei Jahre zurück. In einer Zeit, in der es eine beliebte Strategie ist, sich andere Marken als Sparringpartner zu suchen, kam sie trotzdem verhältnismässig spät.
Immerhin pflegt Tag Heuer seit jeher eine Verbindung zum Motorsport und war als erste Uhrenmarke Sponsor der Formel 1. 1963 kam eine Carrera-Linie auf den Markt, entwickelt vom damaligen CEO Jack Heuer als Hommage an das berühmte Carrera-Panamericana-Autorennen in Mexiko.
Im selben Jahr brachte Porsche den 911er auf den Markt. Das Jahr 2023 markiert also für beide Marken ein 60-jähriges Jubiläum. Sogar ein gemeinsames Auto deutet Arnault nun an, ein ambitionierter Plan, der verdeutlicht, wie sehr hier zwei miteinander harmonieren. «Unser Verhältnis baut auf den gleichen Werten auf», sagt Arnault, «allen voran Qualität, Langlebigkeit und Ausdauer.»
«Greys Anatomy»-Star als Kampagnen-Gesicht
Ein Wort, das der Franzose ausserdem immer wieder fallen lässt, lautet Avantgarde: Es anders als andere zu machen. Dazu zählt auch die Wahl des Gesichts für die Kampagne des neuen Chronographen. Schauspieler Patrick Dempsey wurde Anfang der Nullerjahre durch seine Rolle als charmanter Krankenhausarzt in der Serie «Greys Anatomy» berühmt. Die Fanbase: hauptsächlich weiblich und möglicherweise nicht unbedingt an Uhren oder Autos interessiert. Doch anders als andere Testimonials, die oft einfach nur bekannt und käuflich sind, verkörpert Dempsey das Produkt, das er da bewirbt, auch wirklich.
Nach seinem Ausscheiden aus der Serie im Jahr 2011 hat sich Dempsey im Motorrennsport einen Namen gemacht – die zweite Leidenschaft des 57-Jährigen. Die Begeisterung dafür war von klein auf da, sein erstes Auto war ein Porsche 356 C Cabriolet aus dem Jahr 1963. So unterschiedlich seien Autorennen und Schauspielerei nicht, sagt er bei der Shop-Eröffnung in München.
«Der mentale Fokus ist der gleiche. Man muss in der Lage sein, alles andere auszublenden und im Moment zu sein, das macht den Schauspieler aus. Das Gleiche gilt für den Rennsport. Vor dem Start spielen sich viele Szenarien in deinem Kopf ab, aber wenn du beschleunigst, reagierst du einfach und bist präsent. Dann hast du die Kontrolle.»
Ein Drittel des Zifferblattes in 9,1 Sekunden
Mit dem Prinzip der Beschleunigung im Hinterkopf leisten sich Tag Heuer und Porsche bei ihrem neuen Chronographen etwas, das man nicht unbedingt erwartet – erst recht nicht in der Luxuskategorie: ein Spiel mit der Zeit. «Das Uhrwerk spiegelt die Beschleunigung der ersten Baureihen des Porsche 911 von 0 auf 100 km/h in 9,1 Sekunden wider», erklärt Arnault.
«Startet man den Chronographen, legt der Zeiger in 9,1 Sekunden etwa ein Drittel des Zifferblattes zurück.» Auf dem Zifferblatt, das in dem Moment den Tachometer imitiert, ist der Abschnitt, der diese Beschleunigung markiert, Karminrot also im signifikanten Porsche-Rot, gekennzeichnet. Überschreitet er den Abschnitt, verlangsamt sich der Zeiger über 60 Sekunden wieder – und setzt dann schnell wieder ein.
Wenn die Funktion ausgeschaltet ist, umrundet der Zeiger der Carrera Chronosprint das Zifferblatt wieder im exakten Sekunden-Rhythmus. Einen praktischen Nutzen hat das nicht, aber die Technologie ist ein Novum. Und das ist bei Statussymbolen wie Autos und Uhren ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Erste Luxusuhr mit 11 Jahren
Frédéric Arnault hat seine erste Luxusuhr mit elf Jahren von seinem Vater geschenkt bekommen – eine Tag Heuer Aquaracer. Die Marke gehört seit 1985 zum LVMH-Konzern, aber der Zweitjüngste musste sich im Unternehmen beweisen, bevor er hier CEO werden durfte. In verschiedenen Positionen hat er sich hochgearbeitet und spielte eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung und Umsetzung der Digitalstrategie. Seitdem haben sich die Umsätze im E-Commerce verdoppelt.
Interessant ist, wie der junge CEO, ein Digital Native, die Marke in die Zukunft führen will: «Smartwatches haben einen starken Platz in unserer Kollektion.» Gleichzeitig werde altbewährte Qualität in einer Zeit, in der sich die Dinge so schnell bewegen, extrem wertgeschätzt. «In den jüngeren Generationen herrscht eine starke Nachfrage nach Uhren und ein überraschend starkes Verlangen nach langlebigen Produkten, wie mechanischen Zeitmessern», erklärt er. …Uhren haben etwas sehr Beruhigendes – wie alte Autos.» Irgendwie merkt man ihm das an.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de unter dem Titel «Uhren haben etwas sehr Beruhigendes – wie alte Autos».