Wer einmal im Vallée de Joux war, versteht, dass die Schweizer Uhrmacherei hier ihre Wurzeln hat: Dieses Hochtal auf rund 1000 Metern ist weit weg vom Rest der Welt. Die Autofahrt ab Zürich dauert gleich lang, wie der TGV nach Paris braucht. Die Gegend ist karg und rau, im Frühling und Sommer ist alles grün und ab Herbst stillgelegt vom Schnee. Wo, wenn nicht hier, hätte dieses verrückte Handwerk entstehen können?
Rund 20 Uhrenmarken sind hier heute noch ansässig, darunter Jaeger-LeCoultre, Blancpain, Breguet und Audemars Piguet (AP). Dank AP gibt es im Tal seit Sommer 2022 auch ein Hotel, für das allein es sich lohnt, nach Le Brassus zu reisen. Es heisst «Hôtel des Horlogers», also Hotel der Uhrmacher, und nicht AP-Hotel. Der Grund: Es ist in erster Linie konzipiert als Gasthaus und nicht als Marketinginstrument.
Nichts ist AP-gebranded. Die Luxusmarke ist nur in einem Regal gegenwärtig, als einer unter zig anderen Schunken über Schweizer Uhrenmarken in der Hotelbibliothek. Der Kaffee kostet bescheidene 3.40 Franken und das Zwei-Gang-Mittagesmenü in der Brasserie Le Gogant 29 Franken. Diese Preise sind die Botschaft «Alle sind willkommen» ans Tal – und wird offenbar verstanden: In der Hotelbar wimmelt es an diesem späten Nachmittag jedenfalls von Menschen aus der Gegend.
Grosser Wurf
Viel Holz, viel Glas, das die Gegend widerspiegelt – von aussen sieht das Gebäude aus, als wäre es mit der Idee erbaut worden, unsichtbar zu sein, Teil der Scholle. Die Lobby ist durchgestylt – und ebenfalls erdverbunden. Da hängen entwurzelte Bäume kopfüber von der hohen Decke, es gibt Eistee aus Kräutern des Tals und Bänke, die aussehen wie Flusskiesel. «Alles hier drinnen ist inspiriert von dem, was uns umgibt», sagt André Cheminade, der Hoteldirektor, «kommen Sie, ich zeige Ihnen noch mehr.»
Zu allem und jedem, was das Auge auf der Runde durch das Hotel erblickt, kennt der Chef eine Geschichte. Mindestens. So werden aus der geplanten Stunde zwei, und es hätten auch vier werden können oder ein ganzer Tag.
Cheminade hat hier 2021 angefangen, ein Jahr vor der Eröffnung. Das Hôtel des Horlogers, muss man wissen, gab es schon, genau an dieser Stelle. Aber ausser dem Namen ist davon nichts übrig. Der dänische Architekt Bjarke Ingels (der bereits das AP-Museum gleich nebenan so in die Landschaft gepflanzt hat, dass es mit ihr verschmilzt) hat das Viersternehaus von Grund auf neu gebaut.
Für ihn war es das erste Hotel, in seinem Konzept, das wird bei der Besichtigung sonnenklar, steckt enorm viel Kopfarbeit: Alles ist ineinander verzahnt und als Ganzes komplex – wie ein Uhrwerk. Die grossen, hochfeinen Zimmer mit Blick ins Tal (Preise ab 400 Franken) sind beispielsweise in der Zickzackkonstruktion des Gebäudes versetzt angeordnet, «niemand schläft über Ihrem Kopf und niemand unter Ihren Füssen», sagt Cheminade und immer wieder den Satz: «Bjarke hat uns das beste Tool gegeben, um damit zu arbeiten.»
Es ist dies nicht nur das Statement einer Verkäuferseele, sondern von berufener Seite bereits mehrfach bestätigt: Das Hotel war seit der Eröffnung im Sommer 2022 bereits 19-mal im Final für einen Branchen-Award und hat 15 auch gewonnen. Der aktuellste ist eine Krone: Das «Horlogers» ist das nachhaltigste Hotel der Welt.
Für Gäste, die es superexklusiv wollen, gibt es das Separée «La Table des Horlogers» mit sechs Plätzen und einem Menü, das der französische Dreisternekoch Emmanuel Renaut konzipiert hat – erdverbunden natürlich auch das. Es heisst «Eine Wanderung durch den Wald von Risoud» (der das Tal dominiert), changiert mit den Jahreszeiten.
Es ist eine Hommage an einen Flecken Erde, wo nicht nur grossartige Uhrmacher beheimatet sind, sondern auch hervorragende Lebensmittelproduzenten, die von Kaffee über Fleisch bis zu Edelbränden alles bestens können.
Zwei vom selben Schlag
Seine Lieferanten zu kennen, gilt auch als A und O eines anderen grossen Sternekochs im Dienst einer Uhrenmarke: Dominique Gauthier. Er, der 30 Jahre lang in der Küche des Genfer Fünfsternehotels Beau-Rivage das Sagen hatte, steht seit ein paar Monaten in der Küche des Restaurants von François-Paul Journe: Der viel bewunderte Ausnahmeuhrmacher mit einer Manufaktur im Herzen von Genf hat letzten Herbst an der pompösen Rue du Rhône, zwischen Prada und Bally und gegenüber Gucci, ein Restaurant eröffnet, das heisst wie er: «F.P.Journe Le Restaurant».
Die beiden Männer kannten sich bis vor einem Jahr nicht. Ein gemeinsamer Freund stellte sie einander vor, im goldrichtigen Moment: Der eine suchte eine Veränderung, der andere die fehlende Hälfte zu seiner Gastro-Idee «Haute Horlogerie trifft auf Haute Cuisine». «Ich habe ihm gesagt, was ich will, er hat mir gesagt, was er will, es war das Gleiche», sagt Journe. Sechs Monate später haben sie das Restaurant – grunderneuert – eröffnet.
Der Uhrmacher, der maximal 1000 Uhren im Jahr herstellt, aber ein Mehrfaches davon verkaufen könnte, ist im rustikalen Lokal (es gab viele Vorgaben von der Denkmalpflege) omnipräsent, auch ohne da zu sein: An den Wänden hängen Zeichnungen seiner Kaliber im Grossformat, es gibt seinen Bordeaux der Domaine Château Seguin. Die Menüvarianten sind nach seinen Uhrenkollektionen benannt – «Élégante», vier Gänge, 100 Franken, «Souverain», fünf Gänge, 140 Franken, und schliesslich die komplexeste, «Astronomic», ein Siebengänger für 180 Franken. Die Tische sind nicht nummeriert, sondern tragen Namen wegweisender Uhrmacher, einer heisst wie er. Und auf der Speisekarte ist sein Lieblingsgericht mit einem Stern markiert: die gerösteten Langustinen mit Artischocken, Peperoni und Favabohnen für 79 Franken.
Das Mittagessen – ein Dreigänger für 65 Franken –, das an diesem Tag serviert wird, ist grosse Kulinarik ohne Chichi, serviert von Menschen, die ihren Job ernst nehmen, ohne dabei verbissen zu wirken.
Das Kompliment freut Gauthier, «ja, eine Superequipe», sagt er. Mit den meisten arbeitet er seit Jahren zusammen. Das gilt auch für seine Lieferanten und Produzenten. Auch hier zählt für ihn: «Ich brauche die Besten.» Er kennt vom Metzger über den Gemüsegärtner bis zum Imker alle persönlich und führt sie in der Speisekarte auch namentlich auf.
Eines wie Keines
Alles, wie es sein muss, also. Nur etwas irritiert: Gauthier trägt eine Omega. Er zuckt mit den Schultern, «Sie wissen ja, wie schwierig es ist, eine F.P.Journe zu bekommen.» Etwas später fügt er an, es sei etwas im Tun, eine limitierte Edition, die seine und Journes Kunst vereint.
Sowenig AP das Hotel als Marketinginstrument konzipiert hat, so wenig will François-Paul Journe mit dem Restaurant das Begehren nach seinen Uhren zusätzlich befeuern. Sein Name dient eher als Qualitätssiegel à la «Wo F.P.Journe draufsteht, ist F.P.Journe drin». Es zeigt die gewünschte Wirkung: «Es war recht einfach, das zum Laufen zu bringen», sagt Gauthier.
Das schicke Restaurant läuft seit Tag eins prächtig, so es denn offen hat: Ab Freitagabend bis Montagmittag ist geschlossen, einer der Veränderungswünsche von Gauthier, «ich wollte mehr normales Leben».
Gastfreundschaft – immer mehr Luxusmarken entdecken sie als Bühne, um sich von einer anderen Seite zu zeigen und bei der Kundschaft zu punkten. Vor Kurzem eröffnete der Genfer Uhren- und Schmuckhersteller Chopard in Paris ein Boutique-Hotel und taufte es «1, Place Vendôme» und nicht «Chopard»: «Das ist eine magische Adresse», sagt Karl-Fritz Scheufele, «wir fanden es schade, eine Marke dranzuhängen.»
Der 26-Jährige, Sohn von Karl-Friedrich Scheufele, der Chopard zusammen mit seiner Schwester Caroline führt, ist der Herr im Haus. Als Absolvent der Hotelfachschule Lausanne hat er dafür den nötigen theoretischen Background, als junger Neo-Hotelier den unverstellten Blick und als Scheufele den Rückhalt einer starken Familie.
Als er damals das Studium in Angriff nahm, war zu Hause vom Einstieg ins Hotelbusiness keine Rede. Dass es so gekommen ist, war denn auch kein Plan, sondern eine Massnahme: Die Scheufeles haben die imposante Immobilie aus dem 18. Jahrhundert salopp gesagt gekauft, damit kein anderer sie kriegt – und sie dort mit ihrer Boutique eines Tages rausmüssten.
Was sie daraus gemacht haben, ist selbst für Pariser Verhältnisse hochprächtig: 15 Suiten auf sechs Etagen. Jede ist einem Edelstein gewidmet, eine subtile Anspielung auf das Mutterhaus. Jeder Raum ist von Grund auf anders und bis ins kleinste Detail durchkomponiert.
Federführend war der berühmte Innenarchitekt Pierre-Yves Rochon, der auch Edelherbergen wie George V und Shangri-La in Paris, Woodward in Genf und Kronenhof in Pontresina im Engadin vereinmaligt hat. Freie Hand hatte der Meister nicht: Das letzte Wort – und zahlreiche eigene Ideen – hatten bei allem die Scheufeles.
Auch das Gastgeberkonzept für die maximal 30 Gäste stammt von ihnen: «Wir wollten ein authentisches, ultrapersonalisiertes Hotel», so Karl-Fritz Scheufele, «wir bieten den Top-High-End-Service eines ‹Crillon› und gleichzeitig absolute Privacy und exklusive Räumlichkeiten, die nur unseren Gästen vorbehalten sind.»
Fünf Sterne Superior
Das ist Exklusivität im Wortsinn: Durch das tiefblaue Portal kommt nur, wer Gast ist. Gleiches gilt für den Grand Salon im ersten Stock, mit Bar und Kamin, mit einer angrenzenden Bibliothek und einem Salon für Zigarrenraucher.
Wer Gast ist, kann hier (oder im Zimmer) speisen, wann man will. Dinner am Morgen, Frühstück am Nachmittag – die Küchenbrigade machts, tout fait à maison. «Unsere Grösse erlaubt es, sehr flexibel auf Wünsche der Gäste einzugehen.»
Der Schlüssel zur Exzellenz, wie sie Karl-Fritz Scheufele vorschwebt, ist das Personal. Das CV spielt bei der Rekrutierung nicht die Hauptrolle, schliesslich kann man alles lernen. Bei der Selektion der 35 auffallend jungen Mitarbeitenden hatten Merkmale wie Offenheit, Aufrichtigkeit und die Lust, die klassischen Fünfsternemarker herauszufordern und etwas Einzigartiges zu schaffen, Gewicht.
Die Direktorin ist gerade mal 32 Jahre alt. Sie stand mit zwei anderen Kandidaten auf der finalen Shortlist. Sie bekam den Job, «weil sie die kreativsten Ideen hatte, wie wir uns von der Konkurrenz absetzen könnten», sagt Scheufele.
Zum scheufeleschen Exklusivitätsansatz gehört auch, dass die innere Schönheit des «1, Place Vendôme» nicht nach aussen gekehrt wird: Bilder vom wunderschönen Gesamtkunstwerk gibt es nur von Details. Gebucht wird ausschliesslich via eigene Homepage oder telefonisch. Kostenpunkt: ab 1300 Euro pro Zimmer und Nacht. Die Werbung überlässt man den Gästen – von denen dem Vernehmen nach einige bereits mehrmals hier eingekehrt sind.