Seine Uhren sind Schmuckstücke. Und das ist nicht geschmeichelt, Cédric Johner war Juwelier, bevor er Uhrmacher wurde. Als 13-Jähriger war ihm klar: «Ich will Juwelier werden!» Und als 15-Jähriger begann er seine Lehre bei Chopard. Mit 24 wurde er selbstständig. Dies klingt nach einer geraden Linie, doch was danach kam, war ein heftiger Zickzack-Weg.
Heute arbeitet er allein, in einer Art Zelle, wo er es gerade noch geschafft hat, einen Hocker für den vorbeikommenden Gast hinzustellen. Er hat alles zur Hand, alle Maschinen, die er braucht, um das zu tun, was er tun will. Und das wäre so ziemlich alles von der Restaurierung bis zur Kreation: Es gibt hier Drehbänke, Fräsmaschinen, Feilen, sehr viele Feilen.
Er lebt von verschiedenen Tätigkeiten: Massanfertigungen von Uhren, Anfertigungen für andere, eigene Kreationen. Er konzentriert sich auf Einzelstücke, und wenn er Kleinserien auf den Markt bringt, bleiben sie einzigartig, werden individuell gestaltet und nach Wunsch veredelt. Das Menü ist breit gefächert, mindestens so breit wie sein Know-how als Juwelier und Uhrmacher. Und dann gibt er auch noch Kurse für die Juweliere von Cartier in Paris.
Cédric Johner sagt, er betreibe eine «intuitive Uhrmacherei» – keine Pläne, keine Zeichnungen, kein 3-D. Ein paar Masse auf ein Stück Papier notiert, und los gehts. Er baue sozusagen «endgültige Prototypen. Das hat mich schon immer angetrieben.»
Während seiner vierjährigen Lehrzeit bei Chopard war das Haus noch ein Betrieb mit 80 Angestellten. Johner nutzte die Zeit, um seine Neugierde galoppieren zu lassen, und durchlief alle Ateliers – wobei er sich in kleinen Schritten der Uhrmacherei näherte.
Es ist die Habillage, die Ausstattung der Uhr, welche ihn zur Uhrmacherei führte, und er hat eine einfache Art, die Grenze zwischen den Berufen des Uhrmachers und des Juweliers zu ziehen: «Schmuck ist ein Objekt, das getragen wird, der Ring darf nicht verletzen, die Halskette muss einen schönen Fall haben.» Die Hauptachse der Uhrmacherei sei die Funktion. Und er, Cédric Johner, wolle beides verbinden.
Anfang der 1990er Jahre machte er sich selbstständig. Er nahm Aufträge an. Er half bei Reparaturen, lernte dazu – «alle Tricks der Alten». Zu den Aufgaben gehörte das Hermès-H-Armband für die Ateliers Réunis, inzwischen von Patek Philippe aufgekauft, Stücke für Gérald Genta, oft in letzter Minute bestellt. Es gab auch Dutzende von Geschenksets: Misbaha-Gebetsketten, Kugelschreiber, Manschetten, eine passende Uhr. Und so weiter.
1997 kam der nächste Wendepunkt: Er kreierte seine eigene Marke und liess sie auf seinen Namen eintragen – was später wichtig werden sollte. Die Sache begann mit einem Gehäuse: Abyss. «Ich habe viele Kreationen gesehen, viele Uhren. Ich hatte eine Idee für eine Form, etwas, das ich noch nie zuvor gesehen hatte.» Mit den Augen eines Juweliers modellierte er sie in Wachs, schnitt die Form des Glases und des Bodens in der Werkstatt. Das Gehäuse war ein bisschen Schildkröte, ein bisschen Tonneau, ein bisschen Curvex – sechseckige Öffnung, ein sich ans Handgelenk schmiegendes Gehäuse. Die Form wurde mit der Feile realisiert.
Cédric Johner nimmt zum Beweis ein gestanztes Stück Metall aus der Schublade, spannt es in seinen Juwelierschraubstock, nimmt seine Feile und zieht die Flanken nach. Von Hand. Stück für Stück. Wie er es immer tut. Jedes Stück hat seinen eigenen Charakter, keines ist völlig identisch. Johner versteht seine Uhren als Werke, als Ausdruck seiner Kunst.
Er greift in seine Taschen: «Ich hatte genug Geld, um drei Golduhren und eine Palladiumuhr zu finanzieren.» Sein Mentor, der Uhrendesigner Jean-Claude Gueit, sah das Stück, betrachtete die Details. «Die Form wird lange währen», meine er. Er hatte recht: Sie ist immer noch da. Seit 1997 wurden gut 1000 Exemplare hergestellt. Die Kunden bestellen sie spontan. Sie ist das Herzstück der Chronographenserie zum 30-Jahr-Jubiläum seiner Selbstständigkeit.
Abyss verdankt seinen Namen einem Bild: eine unbekannte Form, die wie ein Geschöpf aus den Gewässern der Ozeane aufsteigt; sie sind so tief, dass man nicht genau weiss, wer sie bewohnt.
Der Name kommt aus dem Wasser. Und das ganze Gehäuse scheint aus dem Wasser zu kommen. Wenn man sie unter Licht dreht, erwacht die kleine Skulptur zum Leben. Sie ist für das Auge und für die Hand gemacht – dick, rund und üppig, Reflexionen von Kurven und Gegenkurven. Einige sanfte Winkel sorgen für die Übergänge zwischen den Ebenen. Das Licht fliesst über die polierte Schale, als wärs ein flüssiger Spiegel. Das Gehäuse ist organisch, tierisch fast, das Metallskelett eines unwahrscheinlichen Stachelhäuters.
1999 wurde seine Marke zur Aktiengesellschaft, ein Teilhaber kam dazu, Jérôme de Witt, 50 zu 50. Der einsame Handwerker wurde zum Unternehmer. Und zum Chef: Mehr als ein Dutzend Angestellte gab es, darunter einen Gehäusemacher und einen Goldschmiedelehrling. Die Werkstatt war plötzlich wie eine Manufaktur ausgestattet, mit einer Elektroerosionsmaschine, einer hydraulischen Presse und den Stanzwerkzeugen, die nötig sind, um Gehäuserohlinge zu produzieren.
Das Volumen stieg auf bis zu 300 Uhren pro Jahr. Die Marke glänzte. Sie hatte ihren Platz in der Halle 1 der Baselworld und zählte zu den führenden unabhängigen Unternehmen der damaligen Zeit. Anfang 2000 bildete Cédric Johner sogar ein Trio mit François-Paul Journe und Maximilian Büsser, damals Leiter von Harry Winston Timepieces, um das Unternehmen Les Cadraniers de Genève in Meyrin zu gründen. Er nutzte die Gelegenheit, um sich im Guillochieren weiterzubilden, einem Handwerk, welches er wieder in seine Werkstatt integrieren will.
Seine Abyss fand man jetzt an den richtigen Handgelenken und in den besten Schaufenstern. Die Marke war stark genug, um gute Margen auszuhandeln, der Katalog barock: drei Gehäusegrössen, alle Goldsorten, Palladium, Stahl, etwa fünfzehn Motorisierungen, alle möglichen Komplikationen – Tourbillons, Repetitionen. Und Werke aller Kaliberhersteller: Jaquet, Agenhor, Christophe Claret. Johner gelangt sogar das Kunststück, hundert L.U.C-Kaliber zu bekommen, welche Chopard gerade eingeführt hatte. Ein Privileg des alten Hasen, Chopard verkauft ihre L.U.C-Werke nicht an Dritte. Johner setzte das Modul des Ewigen Kalenders von Agenhor darauf.
Das Jahr 2002 geriet zum Fiasko: Jérôme de Witt wollte investieren und stark wachsen. Der Absturz begann: Massiver Kauf von Rohstoffen, der Tresor war voller Gold, aber die Liquidität gleich null. De Witt liess die Sache fallen. Johner hatte es nicht kommen sehen, die Zange schloss sich, er ging unter, musste alles aufgeben. Alles, ausser seinem Namen, der privat hinterlegt war.
«Das hat meinen Elan gebrochen.» Cédric Johner verbachte sechs Jahre damit, Wunden zu lecken, «sechs Jahre voller Stress». Karriere, Familienleben, Gesundheit – alles zerbröselte. Ein Herzinfarkt setzte 2009 den Irrungen und Wirrungen ein Ende. Dann kam er aus dem Spital, er habe den Himmel gesehen, die Vögel, und sich gesagt: «Okay, ich mache etwas Eigenes.»
Er gründete sein heutiges Atelier und änderte den Kurs, den Rhythmus: allein, keine Belastung, kein Druck, Einzelstücke, Massanfertigungen. «Vorher war ich nicht in einer Situation, die mir entsprach, heute bin ich mit mir im Reinen.» Wenn man alles habe, grosse Projekte, hohe Gehälter, sei es eine Utopie zu glauben, die Leute kämen wegen eines Projekts vorbei. Cédric Johner hat sich dazu eine Metapher zurechtgelegt: «Gehalt, Arbeit, Respekt. Das ist ein Hocker mit drei Beinen. Und wenn ein Bein fehlt, fällt der Hocker um.» Zufall oder Absicht, in seinem neuen Atelier haben die Stühle nur noch ein Bein in der Mitte.
Seit 2009 arbeitet er also auf seine Weise. Mit seinen Entscheidungen, seinen Optionen. Auch bei externen Aufträgen, die es immer wieder gibt: Vielseitigkeit und Flexibilität machen ihn zum perfekten Feuerwehrmann, und dafür ist seine Werkstatt bekannt.
Seit 2009 hat er vier eigene Kreationen geschaffen. Drei Einzelstücke und eine Serie von dreissig Jubiläumsuhren, die nach den Wünschen des Kunden fertiggestellt wurden.
Abgesehen von Expressreparaturen arbeitet er in der Regel nur an langen, sich entwickelnden Projekten, bei denen der Kunde in den gesamten Prozess einbezogen wird. Das längste Projekt dauerte zwei Jahre: «Maestria». Normalerweise geht er vom Werk aus, und seit 2009 hat er nur mit speziellen oder sehr speziellen Kalibern gearbeitet. Er ist nicht von der Technik an sich fasziniert, seine Beziehung zur Mechanik sei eher «intuitiv und ästhetisch».
Er sucht nach schöner Architektur. Ein Material oder das Gleichgewicht eines Räderwerks können ausreichen, um ihn zu überzeugen. Vorausgesetzt, es handelt sich um «schöne, klassische Uhrmacherkunst», denn er «mag keine abgefahrenen Sachen». Cédric Johner funktioniert ein bisschen wie Manufakturen bis in die 1960er Jahre, als die Marken rohe Kaliber kauften, welche sie modifizierten, personalisierten und verzierten.
Die Maestria-Uhr ist das perfekte Beispiel dafür. Alles begann mit einem Minutenrepetitionswerk aus dem Jahr 1910, einem weissen Rohkaliber, neu, nicht dekoriert, signiert von der Manufacture Duret, Plainpalais, Genf. Cédric Johner fügte ein Modul mit Ewigem Kalender hinzu. Er übernahm das Uhrwerk, dekorierte es, fertigte das Gehäuse an und liess es gravieren. Er erzählte niemandem davon. Zwei Jahre später fotografierte er die fertige Uhr, schickte die Aufnahmen nach Singapur, sein Geschäftspartner rief ihn eine halbe Stunde später zurück. Man traf sich nach ein paar Tagen in Hongkong, nach einer Stunde war die Uhr verkauft.
Für sein Stück «Sculpture» ging er von einem Kaliber der Genfer Uhrmacherschule aus den 1960er Jahren aus. Er behielt die Platine, machte die Brücken neu und verlieh ihnen ein mattes Finish. Er erneuert alle Schrauben und versah sie mit runden, gewölbten Köpfen. Und auf dem Zifferblatt gestaltete er alle Anzeigen in Relief-Technik neu: vertiefte kleine Sekunde, erhöhter Minuteriebereich, alte Chronographenzeiger. Dazu ein Bronzegehäuse, graviert von Olivier Roux in Genf – das Restaurierungsatelier des Musée Rodin in Paris sorgte für eine passende Patina.
Für sein Jubiläumsstück verwendete Johner ein Chronographenkaliber Valjoux 23. Er hat davon eine ganze Reihe aus einem alten Lagerbestand. Denn er liebe Chronographen.
Parallel dazu stellt er eine Minutenrepetition für einen Privatkunden fertig – mit einem in seinem Atelier restaurierten Breguet-Kaliber in seinem Abyss-Gehäuse. Oder er arbeitet an zwei Stücken aus Titan, die nach Deutschland gehen sollen, darin ticken alte automatische Piguet-Werke. Kürzlich klopfte Christie’s an seine Tür: Die Achse einer Patek Philippe wäre zu reparieren. Drei Jahre Wartezeit habe die Manufaktur angekündigt, hier dauerte es eine Woche.
Jeder hat einen Rhythmus. Und auch Cédric Johner hat seinen gefunden.