Es riecht ein bisschen süss, ein bisschen sauer, ein wenig nach Ammoniak von der Käsereifung. Es ist das typische Aroma eines industriellen Milchverarbeiters, wie auch Emmi einer ist. Am Hauptproduktionsstandort in Emmen bei Luzern blinken Lämpchen, rotieren Roboterarme, es surrt und klopft in den Fabrikhallen. Computer haben die Kontrolle übernommen. Milch fliesst durch Rohre, Joghurtbecher laufen übers Fliessband – alles vollautomatisch. Emmi ist digital.
Die Automatisierung beim Emmer Unternehmen installierte die kalifornische Firma Wonderware, eine Tochter des Industrieriesen Schneider Electric. Wonderware stellte bei Emmi in den letzten zwei Jahren viele Produktionsprozesse auf neue Beine. Über 350 Anlagen wurden in ein System integriert. An die 400 Personen sind mit dem Projekt betraut. Die Kosten: 7 Millionen Franken. «In drei bis fünf Jahren haben wir die Kosten wieder eingespielt», so Projektchef Reto Stocker.
Kommunizierende Gefässe
Immer weniger Hände sind in die Herstellung von Rahm, Butter und Joghurt involviert. Von der Anlieferung der Rohmilch bis zum fertigen Joghurt im Regal regieren Bits und Bytes. Ein Rundgang auf dem Fabrikgelände zeigt, wie das vonstattengeht.
Mit 13 000 Litern im Tank fährt der Milchtransporter in die Annahmestelle ein. Alle zwei Tage macht der Fahrer eine Tour zu den Bauern, um die Milch für Emmi abzuholen.
Der digitale Produktionsvorgang beginnt bereits bei der Abholung der Milch beim Bauern. Beim Befüllen des Milchwagens zeichnen GPS, mobile Scanner und Messinstrumente auf, von welchem Bauern wie viele Liter Milch der Fahrer anliefern wird. Diese Informationen laufen in die Produktions- und Mengenplanung bei Emmi ein. Damit klar ist, wie viele Joghurts am Schluss dabei herausschauen. Und wie die Bestellungen von Kunden wie Coop und Migros zeitgerecht erfüllt werden.
Testkabine gibt grünes Licht
Bei der Milchannahmestelle pumpt der Fahrer die Rohmilch über einen Schlauch in riesige Stahltanks. Im Kontrollhäuschen nebenan werden Tourennummer und Ablademenge elektronisch erfasst.
An diesem Tag wird unter anderem Biomilch verarbeitet. Der Fahrer füllt davon eine Probe in eine Glasflasche ab und erwärmt sie in der Mikrowelle. Die erhöhte Temperatur macht die Inhaltsstoffe auf Antibiotikarückstände testbar. «Der Antibiotikatest ist wie der Schwangerschaftstest, da gibt es nur Schwarz oder Weiss», sagt Standortleiter Thomas Arnold. Wäre der Test positiv, könnte die Ladung bis zum Bauern zurückverfolgt werden.
Das Ergebnis ist gut, die Testkabine gibt grünes Licht. Der Fahrer öffnet die Schleuse, mehr als 12 900 Liter Biomilch fliessen in einen Stahltank, der das Sechsfache fasst. Auf Knopfdruck wird die Milch aus dem Stahltank gezogen. Die Milch fliesst weiter durch ein Rohrgeflecht in die Halle zur Weiterverarbeitung für Rahm und Butter.
Nur noch Knöpfe werden gedrückt
Das System zeichnet jeden einzelnen Vorgang auf. In einem Steuerungsraum reihen sich Bildschirme aneinander wie in einer Investmentbank. In diesem Fall sind es aber keine Aktienkurse, die über die Screens flimmern, sondern Fett- und Eiweissgehalt. Davon abhängig wird die Rohmilch zur Milch-, Käse- oder Joghurtproduktion weitergeleitet.
Die Mitarbeiter müssen nur noch Knöpfe drücken. Schütten, Abfüllen und Buchführen geschehen nicht mehr von Hand, sondern durch elektronische Steuerungen und Warenverzeichnisse, Sensoren, Fliessbänder und Roboter. Emmi setzt dafür ein neues System ein, das sich Manufacturing Execution System (MES) nennt - eine Wonderware-Entwicklung. MES ermöglicht es, den Warenfluss so weit vorauszuplanen, dass bei einem Ausfall der Kommunikation mit der Zentrale bis zu 48 Stunden autonom weiterproduziert werden kann. Vom System wird ein ausreichender Vorrat an Aufträgen angelegt, damit das gewährleistet ist.
Rohmilchtanks elektronisch miteinander verbunden
Anschliessend geht es zu der Joghurtverarbeitung, dem komplexesten Produktionsbereich, weil so viele Komponenten aufeinander abgestimmt werden müssen: Variierende Bechergrössen, Etiketten, Deckel, Aufdrucke, Abfüllung und so weiter. Der Rohmilch wird Zucker und Magermilchpulver zugesetzt. Sämtliche Rohmilchtanks sind untereinander elektronisch verbunden und die Mengenflüsse laufen koordiniert ab.
In einem weiteren Kontrollraum steuern zwei Emmi-Mitarbeiter die Prozesse. Ein Lämpchen leuchtet auf, das ist das Signal für die Beigabe der Bakterien zur Fermentation. Wieder genügt ein Knopfdruck. Nach sechs Stunden entsteht eine weisse Masse – fertig ist das Naturjoghurt.
Jetzt läuft die Abfüllmaschine an. 500-Gramm-Becher für Bio-Naturjoghurt rattern über das Produktionsband und werden entkeimt. 4 mal 2 Zentimeter dicke Joghurtstrahle schiesst die Maschine in jeden Becher, 1600 Becher pro Stunde gehen übers Band, bis zur Siegelstation. Dort werden die Becherdeckel aufgesetzt.
Kürzere Stillstandszeiten
Die Menge der Becher, der Grundmasse und auch die Maschinenstillstände werden von Sensoren erfasst und auf dem Zentralserver in Ostermundingen gespeichert. «Die grosse Herausforderung ist es, dass so viele Maschinen von unterschiedlichen Herstellern reibungslos miteinander funktionieren», sagt Produktionsleiter Arnold.
Stillstandszeiten kommen dennoch vor. Aber sie werden mit der neuen Elektronik schneller gemeldet und so auch schneller behoben. Auch dauerte die Datenauswertung früher eine Woche, heute nur noch einen Tag. «Dank der digitalen Technologie haben wir nun erstmals alle Produktionsdaten zur richtigen Zeit am richtigen Ort», sagt Arnold.
Zum Schluss kommt der Aromatest. Ein Mitarbeiter zückt – ganz altmodisch – den Löffel und probiert. «Es schmeckt, sagt er. Ein Verpackungsroboter stapelt die freigegebenen Joghurtbecher auf Paletten. Diese werden eingescannt und von einem Palletierroboter ins Lager zur Auslieferung befördert. Der Lagerbestand ist vom System erfasst. Vom Auslieferungslager kommt das Joghurt zum Detailhändler, der wiederum Emmi den Empfang bestätigt. Der Kreis vom Bauern bis zum Milchregal ist geschlossen - automatisiert und elektronisch.