Die Initiative zum bedingungslosen Grundeinkommen wurde letztes Jahr an der Urne mit 77 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Für das Zurich Film Festival ist dies jedoch kein Grund, das Thema nicht nochmals aufzuwärmen. Vielleicht stimmt man beim ZFF ja mit der Theorie überein, wonach das BGE in vierhundert Jahren sowieso Realität sei? So jedenfalls sieht es «Free Lunch Society», eine österreichisch-deutsche Wirtschaftsdoku, die das Publikum zu grundlegenden Reflexionen über Arbeit und Leben animieren will.
«Was würden Sie tun, wenn Ihre Existenzgrundlage Monat für Monat – bedingungslos – gesichert wäre? Aufhören zu arbeiten? Persönlichen Leidenschaften nachgehen? Mehr riskieren?» (Teaser zu «Free Lunch Society»)
Regisseur Christian Tod versucht, diese zu den «entscheidensten» unserer Zeit zählenden Fragen zu beantworten, indem er mit der Kamera an Orte wie Alaska, Manitoba und Namibia reist: Dorthin, wo Menschen bereits in den Genuss eines bedingungslosen Einkommens gekommen sind – sei es auf Grund von ökonomischen Glücksfällen wie einem Erdölfund oder durch soziale Experimente von Regierungen auf der Suche nach neuen Entwicklungsrezepten. Wie reagieren Menschen, wenn sie gratis Geld bekommen?
Es gibt Momente, in denen diese Fragestellung tatsächlich ihren Reiz entwickelt. Dann etwa, wenn uns der diplomierte Volkswirt in den Keller einer amerikanischen Sozialbehörde mitnimmt, wo ordnerweise archivierte Fragebogen lagern: Dokumente, in denen Forscher das Verhalten ihrer Testspersonen sezieren, um den sozialpsychologischen Effekten eines Grundeinkommens auf die Schliche zu kommen («Als wie freundlich nehmen Sie die Personen wahr, mit denen Sie im Alltag geschäftlich interagieren?»).
Spannend ist «Free Lunch Society» auch in jenen Szenen, wo der Film dokumentiert, dass die Idee vom Grundeinkommen gar nicht so neu ist. Es werden Schwarzweissaufnahmen von Martin Luther King gezeigt, in denen sich der Bürgerrechtler für bedingungslose Zahlungen an sämtliche amerikanische Bürger stark macht. Sogar der neokonservative Donald Rumsfeld scheint ganz zu Beginn seiner Karriere an einer neuen Armutspolitik beteiligt gewesen zu sein, die den Gang zur Sozialbehörde obsolet machen sollte.
Zu viel Sermon und zu wenig Fleisch am Knochen
Doch die vielversprechenden Ansätze werden nicht konsequent verfolgt. Was ist in Manitoba wirklich geschehen? Welchen Hintergedanken hegte Rumsfeld mit seiner Politik? Bis auf ein paar oberflächliche Statements von Wissenschaftlern bleiben die eigentlichen Recherchen des Filmemachers seltsam ergebnislos. Dies, weil die gefühlte Hälfte der Zeit für Grundeinkommens-Aktivisten wie den DM-Gründer Götz Werner draufgeht, der in gefühlvoll inszenierten Zugfahrten seinen Sermon zum besten gibt.
Unklar bleibt, was ein BGE überhaupt ist. Handelt es sich um eine Auszahlung von 2000 Franken im Monat, die den Anspruch auf Gesundheits-, Sozial- oder Ausbildungsgeld ersetzt? Oder ist es ein kompletter Lohnersatz über 5000 Franken, der zusätzlich zu Sachleistungen wie kostenlosen Arzt- und Universitätsbesuchen entrichtet wird? Eine weitere Schwäche ist, dass in «Free Lunch Society» auch die Finanzierungsseite des BGE bis auf ein paar banale Aussagen («das Geld ist vorhanden») ausgeblendet wird.
Neben Allgemeinplätzen («die Ungleichheit hat in den USA extrem zugenommen») wird kaum Ökonomie geboten. Essenzielle Punkte wie die Vor- und Nachteile konventioneller Einkommens- und Vermögenssteuern gegenüber dem BGE werden nicht einmal gestreift. Die Auslassungen wären verzeihbar, hätte Tod im Stile eines echten Entdeckers agiert. Leider hat er seinen Film zum Propagandastreifen gemacht. So bleibt «Free Lunch Society» schale Theorie – die Umsetzung scheitert auf der Leinwand ebenso klar wie an der Urne.
«Free Lunch Society» (Englisch, Deutsch, Damara), 95 Minuten. Aufführungsdaten am ZFF: 30. September, 16:30, Arthouse Piccadilly; 4. Oktober, 18:00, Corso 4; 6. Oktober, 16:30, Arena 7; 8. Oktober, 12:00, Riffraff 3.