Die Zuwanderung ist ein kompliziertes Thema. Was für Menschen wandern in die Schweiz ein? Was tun sie hier? Die Fachstelle Volkswirtschaft des Kantons Zürich hat versucht, mit einer Studie etwas Klarheit zu schaffen. Doch aus dem wissenschaftlichen Papier wurde ein kommunikatives Fiasko.

Wie das? Im September hatte das Amt in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeberverband zur Pressekonferenz geladen. Präsentiert wurde eine Methodik zur Berechnung eines Indikators für den Fachkräftemangel nach Berufen – eine Alternative zu einem anderen System des Staatssekretariats für Wirtschaft.

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«Vier von fünf Zuzügern keine Fachkräfte»

Letzte Woche entdeckte dann die «NZZ am Sonntag», dass der ursprünglichen Publikation noch weitere Seiten angehängt wurden. Darin berechnen die Zürcher Volkswirte, wie viele Zuwanderer effektiv in Berufen mit grossem Fachkräftemangel gelandet sind. Eine sexy Schlagzeile entstand: «Vier von fünf Zuzügern sind keine Fachkräfte

Über die Studie berichtete dann die NZZ am folgenden Dienstag gleich nochmals mit drei Texten und einem Frontaufriss. Nur 20 Prozent der seit 2007 zugewanderten Erwerbstätigen würden in einem Beruf mit Fachkräftemangel arbeiten. Empört schrieben die Journalisten, das Amt habe die «brisanten Erkenntnisse» unter Verschluss gehalten.

Wenn Uniprofessoren keine Fachkräfte mehr sind

Ein genauer Blick in die Studie zeigt aber, dass vieles von dem Geschriebenen fragwürdig ist. Die Schwierigkeiten beginnen mit der Berechnungsmethode: Wie genau misst sich ein Fachkräftemangel? Im Papier werden dazu vier Grössen herangezogen:

  • Die Schwierigkeiten der Unternehmen bei der Personalrekrutierung (ein Prozentsatz, der in einer Erhebung des Bundes erfasst wird und auch schon in diesem Blog thematisiert wurde)
  • Das Verhältnis der offenen Stellen zu den Stellensuchenden (es beträgt z. B. 1:4 für Ärzte und 10:1 für Drucker)
  • Die berufsspezifische Zeitdauer, während der eine Stelle im Durchschnitt ausgeschrieben ist (z. B. 5,1 Monate für Softwareentwickler)
  • Die Dauer der Stellensuche durch suchende Personen (z. B. 5,5 Monate für Krankenpfleger)

Aus den vier Variablen berechnen die Ökonomen sodann einen Indikator, der den Fachkräftemangel anzeigen soll. Der höchste Wert liegt gemäss der Auswertung bei 3,05 (für Ärzte), der niedrigste liegt bei -2,52 (für Schalterbedienstete). Die Skala hat keine fixen Schranken und auch der Nullpunkt hat keine besondere Bedeutung, schreibt die Pressestelle des Amts für Wirtschaft und Arbeit auf Anfrage.

Das offensichtliche Problem bei der Interpretation dieser Rangliste liegt bei der Abgrenzung. Im Papier, auf dem die Zeitungsberichte basieren, werden pauschal die 15 Berufe mit dem grössten Indikatorwert als «Mangelberufe» bezeichnet. Allerdings bleibt schleierhaft, warum gerade 15 Berufe (und nicht etwa 10, 20 oder 50 von insgesamt 97 untersuchten Berufen) diesen Titel verdienen.

Die Grenzziehung erscheint willkürlich: So stehen etwa auf Rang 15 die «Holzbearbeiter, Möbeltischler und verwandte Berufe» mit einem Indikatorwert von 0,95. Gemäss der Studie herrscht hier Fachkräftemangel. Auf Rang 16 stehen die «Material- und ingenieurtechnischen Fachkräfte» mit einem Wert von 0,94. Hier herrscht gemäss den Autoren aber kein Fachkräftemangel – obwohl der Indikatorwert nur ein Hundertstelprozent tiefer liegt als bei den Holzarbeitern. Und obwohl die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass diese Differenz ein reines Zufallsprodukt ist.

Weitere Fragezeichen tauchen auf. Auf Rang 28 stehen etwa «Mathematiker, Versicherungsmathematiker und Statistiker» mit einem Indikatorwert von 0,51. Auf Rang 38 stehen «Universitäts- und Hochschullehrer» mit einem Score von 0,18. Möglich, dass es in diesen Berufen einen verhältnismässig kleineren Fachkräftemangel gibt als etwa bei den Ärzten (wobei selbst dies angesichts des vermutlichen Mismatch innerhalb der Berufe etwas zweifelhaft ist – keine Uni kann einen arbeitslosen Altgriechischprofessor als Dozenten für Teilchenphysik anstellen). Darüber, ob es für diese Berufe tatsächlich einen Mangel gibt oder nicht, sagt die Zahl aber nichts aus.

Dass es sich bei einem zugewanderten Uniprofessor darüber hinaus nicht einmal um eine Fachkraft handeln soll (wie dies die «NZZ am Sonntag» behauptet), ist schlicht absurd. Entsprechend stimmt auch die Schlagzeile, wonach nur 20 Prozent der Zuwanderer Fachkräfte seien, nicht. Vermutlich liegt der Wert eher in der Nähe von 50 Prozent. Genau abgrenzen lässt sich der Prozentsatz aber ohnehin nicht.

Inländervorrang könnte für mehr Branchen gelten

Aktuell diskutiert das Parlament über den so genannten Inländervorrang. Arbeitgeber sollen bestimmte Stellen zuerst den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) melden, bevor sie einen Zuwanderer anstellen.

Vor diesem Hintergrund besitzt der Zürcher Indikator einen offensichtlichen Nutzen. Er zeigt nämlich, dass diese Pflicht nicht nur auf dem Bau, in der Gastronomie und im Detailhandel angewandt werden könnte (so, wie es aktuell angedacht ist), sondern etwa auch im Transportgewerbe (bei den «Bürokräften im Bereich Materialwirtschaft und Transport» sowie bei den «Kraftfahrzeugfahrern») oder in der Nahrungsmittelindustrie (bei den «Bedienern von Maschinen zur Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln»).

Diese genannten Berufe weisen gemäss der Studie einen verhältnismässig geringen Fachkräftemangel auf. Sanfter Nachdruck durch die Behörden könnte hier also durchaus helfen, dass Arbeitgeber den einen oder anderen Jobkandidaten anstellen – auch wenn dieser (noch) nicht perfekt zu einer ausgeschriebenen Stelle passt, sondern erst noch eingearbeitet werden muss.

Für absolute Aussagen über den Fachkräftemangel in der Schweiz oder über die Qualifikation der zugewanderten Personen eignet sich der Indikator aber nicht. Genau dies suggerieren die Zürcher Volkswirte aber in ihrem Papier. Schade, dass sensationshungrige Journalisten der Publikation nicht genauer auf den Grund gegangen sind.