Künstliche Intelligenz (KI) hat das Potenzial, Volkswirtschaften umzukrempeln. Für einige Staaten hat die Technologie daher eine strategische Bedeutung. US-Technologiekonzerne werben Talente rund um die Welt an und US-Universitäten sind Weltklasse. China hat gar einen Masterplan: Das Reich der Mitte will weltweit führend im KI-Bereich werden.

Europa hingegen muss noch einiges tun, um im Wettbewerb mit den USA und China bestehen zu können. Dazu müsse mehr in die Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz investiert werden, fordern führende Wissenschaftler und Experten aus Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, der Schweiz, Israel und den Niederlanden in einem offenen Brief, den der britische «Guardian» Anfang der Woche veröffentlichte. Zu den Unterzeichnern gehören auch Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich und weitere ETH-Professoren.

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Die Forscher schlagen die Einrichtung eines Europäischen Labors für Lernende und Intelligente Systeme (Ellis) nach dem Vorbild des CERN vor. Das Genfer Zentrum wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um den Exodus von Forschern und Wissenschaftlern in die Vereinigten Staaten aufzuhalten und Europa mit einem Kernforschungszentrum von Weltrang zu versorgen.

Mittel zur KI-Forschung bündeln

In gleicher Weise soll Ellis die Bemühungen und Mittel in Europa zur Erforschung der Künstlichen Intelligenz bündeln. Die KI-Forschung wird heute von grossen amerikanischen und chinesischen Unternehmen und Institutionen dominiert. Ausserdem soll der «Braindrain» aus europäischen Forschungseinrichtungen in die private Forschung begrenzt werden, denn keine der besten Universitäten in Europa kann mit den Löhnen der grossen US-Internetgiganten im Silicon Valley wie Google, Apple mithalten. 

«Das maschinelle Lernen ist das Herzstück einer technologischen Revolution und einer Gesellschaft, die viele Disziplinen umfasst und enorme Auswirkungen auf die Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit in Europa hat», heisst es in dem Dokument. «Europa hält nicht Schritt: Die grossen Labore sind in Nordamerika und die Investitionen in China und Nordamerika sind deutlich höher als in Europa

Die beste Grundlagenforschung müsse in Europa stattfinden, denn nur so könne es gelingen, dass Europa Einfluss darauf hat, wenn maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz die Welt verändern. Zudem könne das Zentrum zur Schaffung neuer Jobs beitragen. Die Forschung müsse unabhängig von unternehmerischen Interessen sein, fordern die Unterzeichner. 

Dennoch wollen die Forscher auf das Know-how in grossen Unternehmen und Startups zurückgreifen. «Es wäre wünschenswert auch Partnerschaften mit kommerziellen Partnern zu entwickeln, welche einen Teil der Mittel bereitstellen und die über eigene Forschungslabs vor Ort das wissenschaftliche Ökosystem bereichern,» sagt Thomas Hofmann, Professor für Datenanalytik an der ETH Zürich. So wurde der Aufruf beispielsweise von der Google-Forschungsgruppe in Zürich unterzeichnet. Weitere Fragen zu dem Vorhaben wollte ein Google-Sprecher auf Anfrage der «Handelszeitung» allerdings nicht beantworten. 

Vision eines europäischen Forschungslabs

Von ihrem Aufruf erhoffen sich die Forscher «mit den wichtigen Entscheidungsträgern ins Gespräch zu kommen und einen konkreten Plan entwickeln können, wie wir die Vision eines europäischen Forschungslabs umsetzen können. Die Zeit drängt, was ja auch der Hauptgrund ist, warum wir diese Initiative ergriffen haben,» erklärt der ETH-Wissenschaftler.

Konkret schlagen die Unterzeichner vor, das Ellis noch in diesem Jahr zu gründen. Es solle nicht in einem bestimmten Land angesiedelt sein, sondern als länderübergreifender Verbund von mehreren Forschungszentren. Die Einrichtung der einzelnen Labore solle 100 Millionen Euro kosten und in den ersten zehn Jahren über ein jährliches Budget von bis zu 30 Millionen Euro verfügen – die Höhe der Finanzierung könne aber jedes Land entscheiden.

Dass das KI-Lab nicht wie das Cern an einem zentralen Ort entstehen soll, sondern als Verbund verschiedener Zentren, hält Thomas Hofmann für realistischer – zumindest als ersten Schritt. Zudem gebe es für eine solche Kooperation Beispiele wie das EMBL (European Molecular Biology Laboratory), das über sechs Standorte verteilt ist.