Die Widersprüchlichkeit überrascht: Eigentlich gehören die Finanzdienstleister in der Schweiz zu den höchstentwickelten weltweit und trotzdem fristen elektronische Bezahlsysteme hierzulande bisher ein ausgesprochenes Nischendasein.
Das zeigt eine Umfrage bei verschiedenen Online-Shops. Bei der Versandapotheke Zur Rose zum Beispiel zahlen immer noch 66 Prozent der Kunden per Rechnung und 14 Prozent mit der Kreditkarte. Volle E-Payment-Methoden wie Paypal und Twint habe man erst im November 2018 eingeführt, schildert Webshop-Projektleiter Philipp Heintze.
Mobile Lösungen führen Nischendasein
Den digitalen Entwicklungsstand in Sachen Online-Bezahlsysteme zeigen auch die Angaben von Coop@home. Beim zweitgrössten Online-Food-Händler wird laut Sprecher Urs Meier am häufigsten mit Kreditkarte bezahlt. An zweiter Stelle stehe die Rechnung, die «naturgemäss» in der Schweiz immer noch sehr verbreitet sei. Zur Rolle der Banken in Sachen kundenfreundliches Online-Shopping will Coop-Sprecher Meier keinen Kommentar abgeben.
«Die Banken spielen sicherlich eine grosse Rolle. Wenn ein Bezahldienst von der jeweiligen Bank des Kunden nicht unterstützt wird, steht der User meist vor einer Barriere», stellt dagegen Rico Schüpbach von Digitec Galaxus klar fest. Mobile Bezahllösungen führten in der Schweiz im öffentlichen Bewusstsein noch ein Nischendasein. «Die Diskussion, welcher mobile Bezahlservice zum Standard wird, ist erst jetzt im vollen Gange und sicherlich nochnicht abgeschlossen», bilanziert Galaxus-Sprecher Schüpbach.
Im Online-Handel mit Waren ist laut dem Verband des Schweizerischen Versandhandels (VSV) die Rechnung mit 80 Prozent Anteil immer noch das häufigste Zahlungsmittel bei den Konsumenten (siehe Seite 45 rechts). Bei Dienstleistungen ist es nach wie vor die Kreditkarte.
Am zweitmeisten wird im Online-Shopping mit der Kreditkarte bezahlt. Die neuen Zahlungsarten wie Twint, Apple Pay oder Samsung Pay haben laut VSV nochkeine grossen Anteile, sie entwickelten sich aber kontinuierlich. Debitkarten sind im Handel praktisch inexistent, da Maestro online nicht einsetzbar ist.
Bezahlt wird beim grössten Schweizer Online-Warenhaus übrigens bisher meistens mit Kreditkarte, Vorauszahlung, Twint und auf Rechnung. Seit März akzeptiert Galaxus auch Kryptowährungen. Bisher haben immerhin gut 120 Kunden davon Gebrauch gemacht. «Das Interesse ist also vorhanden», meint Schüpbach.
Flauer Start für Google Pay
Seit Mai mischt auch Google auf dem lukrativen Schweizer Markt für Online-Bezahlsysteme mit. «Google Pay in der Schweiz, aber wahrscheinlich nicht für dich», titelt allerdings sarkastisch Galaxus-Sprecher Dominik Bärlocher in seinem neuesten Blog. Der Suchgigant sei nicht der erste, der sich auf dem Schweizer Markt beweisen wolle. Google Pay, das ähnlich wie Twint funktioniere, habe indes einen flauen Start hingelegt. «Ich träume schon lange von einer elektronischen Rechnung, die in einem einfachen Prozess zur Zahlung freigegeben werden kann.
Bislang haben Schweizer Online-Käufer meist nochMedienbrüche oder sie müssen die Bezahlung zuerst über das Online-Banking freigeben», erklärt Patrick Kessler, Geschäftsführer von VSV Verband des Schweizerischen Versandhandels. Schliesslich sollte der Zahlungsvorgang für den Konsumenten möglichst ohne Anstrengung verlaufen. «One Click und alles ist geregelt. Komplizierte Abläufe verschlechtern die Konversion auch im Check-out», sagt Kessler.
Gewillt, einen neuen Weg zu gehen?
Was aber steht der Einführung der durchgängigen elektronischen Rechnung entgegen? Wohl des Schweizers Natur und seine Banken. «Sie beherzigen immer noch die Schweizer Kulturwerte ‹todsicher› und ‹geheim›. Ich frage mich deshalb, ob die Banken, aber auch die Konsumenten wirklich gewillt sind, neue Wege zu gehen», bringt es Kessler auf den Punkt. Angesichts des extrem hohen Sicherheitsdenkens sei es fraglich, ob die Schweizer Banken das Bezahlen im Online-Zahlungsverkehr wirklich revolutionierten oder ob das nicht andere ausländische Anbieter sein würden, die den Online-Zahlungsverkehr vereinnahmen könnten.
Und dann macht Kessler eine grundsätzliche Feststellung, die den Banken tatsächlich zu denken geben sollte: «Ich wage zu behaupten, dass das Banking in Form von Kreditvergabe und Anlegen einerseits und der Zahlungsverkehr anderseits zwei völlig unterschiedliche Kernkompetenzen sind, die in der digitalen Welt fast auseinanderdriften müssen», prophezeit Kessler. In der alten Welt des Bargeldes habe die Kombination von Banking und Zahlungsverkehr wohl noch gepasst. Aber ob sie in fünf Jahren auch noch gelten werde, wagt Kessler zu bezweifeln.
Politisch kommen die beiden Schweizer Kulturwerte «todsicher» und «geheim» übrigens auch in der bisherigen Nicht-Übernahme der seit Januar 2018 geltenden EU-Zahlungsrichtlinie PSD2 (Payment Services Directive 2) innerhalb des Europäischen Zahlungsraums (Sepa) zum Ausdruck. Mit der PSD2 hat die EU die Banken verpflichtet, ihre Infrastruktur in den nächsten Jahren für neue Anbieter zu öffnen.
Damit wird grundsätzlich allen Anbietern, also auch bankfremden Unternehmen, die im Rahmen ihres Geschäftsmodells Finanzdienste wie zum Beispiel Bezahlsysteme Dritter anbieten möchten, Zugang zu Bankprozessen und zu Kundendaten der Banken ermöglicht. Bankkunden können dann ihre Rechnungen beispielsweise über Google oder Facebook per One Click begleichen oder Finanz-Startups mit der Aggregation ihrer Kontodaten beauftragen.