Welche Alternativen zu den Aktienbörsen haben Anleger in Zeiten von Negativzinsen?
Thomas Eckert: In dem derzeitigen Marktumfeld sehen wir Bedarf bei unseren Kunden nach alternativen, unkorrelierten Anlagen. Die gösste Nachfrage erhalten wir für flexible Anleihenprodukte, also Produkte, welche aktiv verwaltet werden und auch in einem sinkenden Zinsumfeld positive Renditen erwirtschaften können. Darüber hinaus sind auch Anlagen in internationale Immobilien, insbesondere in den USA und in der EU, sowie defensivere, dividendenstarke Aktiensektoren wie Infrastruktur interessant. Auch exotischere Investments wie Private Debt oder Hypothekenpapiere mit guter Schuldnerqualität werden von Kunden derzeit in Betracht gezogen.
Die deutsche Wirtschaft leidet zunehmend unter dem Handelskonflikt. Wie stark wird die Schwäche des wichtigsten Handelspartners die Schweiz treffen – und welche Branchen kommen am stärksten unter Druck?
Gemäss der Deutschen Bundesbank könnte das BIP im dritten Quartal weiter leicht zurückgehen, was technisch gesehen einer milden Rezession gleichkäme. Auf Gesamtjahresbasis wird jedoch nach wie vor von einem leichten Wachstum ausgegangen. Laut jüngster Berichte des Staatssekretariats für Wirtschaft gingen im zweiten Quartal ungefähr 20 Prozent der Schweizer Exporte nach Deutschland. Es ist davon auszugehen, dass die schwächelnde deutsche Wirtschaft hierzulande hauptsächlich die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) treffen wird. Die Pharma- und Nahrungsmittelindustrie sowie der Dienstleistungssektor sollten relativ robust bleiben.
Die Europäische Zentralbank und die US-Notenbank dürften die Leitzinsen weiter senken. Ist ein Nachziehen der Schweizerischen Nationalbank beschlossene Sache – und halten Sie eine weitere Senkung durch die SNB für sinnvoll?
Negativzinsen sind problematisch, ein noch stärkerer Franken aber auch. Und letzteres wäre wohl das Ergebnis, sollte die SNB die Zinsen nicht weiter reduzieren. Daten für Sichteinlagen zeigen, dass die SNB kürzlich interveniert hat, um eine Aufwertung des Frankens zu vermeiden. Das heisst, eine weitere Zinssenkung wäre eine logische Konsequenz.
In den USA geht die Angst vor einer Rezession um. Was ist Ihre Einschätzung dazu und was hätte ein solcher Abschwung für Folgen für die Weltwirtschaft?
Der Investmentstratege unseres US-Aktienhauses ClearBridge, Jeff Schulze, hat viele Jahre zum Thema «Anatomie einer Rezession» geforscht. Er hat ein Ampel-System entwickelt, das auf 12 Indikatoren basiert, welche in der Vergangenheit eine drohende Rezession voraussagen konnten. Im zweiten Quartal 2019 ist die Ampel von grün (Expansion) auf gelb (Vorsicht) gesprungen. Dies war in der Vergangenheit mehrheitlich der Vorbote einer Rezession, obgleich nach einem gelben Signal typischerweise noch einige positive Monate an den US-Aktienbörsen folgen. Es ist also Vorsicht geboten. Die Fed hat indes auch schon bewiesen, dass sie schnell reagieren und mit geeigneten Massnahmen eine Rezession verhindern kann. Es bleibt also spannend, ob das Signal in den kommenden Monaten wieder auf grün springt oder sich auf rot (Rezession) verschlechtert.
Und was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte sonst?
Im Zentrum stehen Wachstumssorgen aufgrund von geopolitischen Ereignissen. Der Handelskrieg zwischen den USA und China ist der wohl wichtigste Grund, weshalb eine Rezession der amerikanischen Wirtschaft plötzlich ein Thema geworden ist. Die Investoren glauben nicht an eine baldige Lösung des Konfliktes, dementsprechend vorsichtig und unsicher sind sie. Zudem belasten diverse negative Schlagzeilen aus Europa die Stimmung: innenpolitische Turbulenzen in Italien, Hard Brexit und eine mögliche Rezession der deutschen Wirtschaft. Demgegenüber stehen die Zentralbanken, welche versuchen, mit unterstützenden Massnahmen gegen zu steuern. Wir gehen daher davon aus, dass die Volatilität an den Märkten hoch bleiben wird.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Die exportorientierte Schweizer Wirtschaft wird von den zuvor erwähnten Ereignissen vermutlich nicht verschont bleiben. Zusätzlich könnte auch der Druck auf den Franken weiter zunehmen. Da der Swiss Market Index allerdings zu grossen Teilen von defensiven Titeln getrieben wird, sollte der hiesige Markt relativ gesehen besser abschneiden als andere Regionen. Kurzfristig denken wir daher, dass sich der Schweizer Markt, wie seit ungefähr drei Monaten, weiterhin seitwärts bewegen könnte.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Das Pendel kann rasch auf beide Seiten ausschlagen. Entscheidend werden die Aktionen der Zentralbanken sein. Unterstützende Massnahmen können einen positiven Einfluss haben und die Börsen antreiben. Dabei stellt sich natürlich die Frage, inwiefern die Zentralbanken «positiv» überraschen können. Der Handlungsspielraum dürfte beispielsweise bei der EZB weitestgehend ausgereizt sein und die Erwartungen von Zinssenkungen in den USA sind grösstenteils eingepreist.