Es war ein Paukenschlag, als die chinesische Regierungsführung bekannt gab, dass private Bildungsanbieter künftig weder Gewinne machen noch Kapital über die Börse aufnehmen dürfen. Durch die Massnahme wird das Geschäftsmodell der betroffenen Unternehmen stark beeinträchtigt, ein ganzer Sektor quasi zu «non-profit» gezwungen.
Denn Analysten beziffern das Umsatzpotenzial der momentan 100 Milliarden Dollar schweren Bildungsindustrie nur noch auf rund 25 Milliarden Dollar pro Jahr. Entsprechend heftig waren die Kurseinbrüche bei den betroffenen Unternehmen, die um 70 bis 80 Prozent nachgaben.
Eingriffe des Staates häufen sich
Der Schritt reiht sich ein in zahlreiche Regulierungsaktivitäten, von denen börsennotierte Unternehmen zuletzt hart getroffen wurden. In Erinnerung ist der kurzfristig gestoppte Börsengang der Ant Group Anfang November 2020. Seitdem greift die chinesische Zentralregierung hart durch: Einzelunternehmen werden untersucht, komplette Sektoren wie die Tech-Branche werden reguliert.
Ein prominentes Beispiel war der Eklat um den geplanten Börsengang des Fahrdienstvermittlers Didi Chuxing Ende Juni: Das Unternehmen liess sich in New York an der Börse listen, obwohl die chinesischen Behörden Didi zuvor warnten, mit dem IPO fortzufahren. Prompt kündigte Peking zwei Tage nach dem Börsengang eine Überprüfung Didis zum Thema Cybersicherheit an. Die Aktie brach ein.
Chinas Agenda: Mehr Staat, weniger Marktwirtschaft
Die Treiber dieser Regulierungsschritte liegen in Chinas langfristiger Agenda. Das Reich der Mitte befindet sich in einer kritischen Entwicklungsphase. Unter der Ägide von Präsident Xi Jinping vollzieht das Land eine Kehrtwende hin zu mehr Staat und weg von marktwirtschaftlichen Prinzipien.
Andreas Döring ist Portfoliomanager von Union Investment.
Es geht der Pekinger Führung darum, China in einem schwierigen aussenpolitischen Umfeld – insbesondere mit Blick auf die USA – zu stärken. Gleichzeitig will man einer, durch zunehmende Ungleichheit ausgelösten, wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung entgegenwirken. Wirtschaft und Gesellschaft sollen robuster gegenüber externen Schocks werden.
Konkret heisst das: Die Wirtschaft soll unabhängiger vom Ausland werden, indem Digitalisierung und Innovationen gefördert werden. Das kann auch bedeuten, dass Privatunternehmen verstärkt im nationalen Interesse handeln sollen, also «zum Wohle des Landes» in vielleicht wenig profitable Bereiche investieren. Und Monopole und unvorteilhafte Marktstrukturen können aufgebrochen werden.
Kluft zwischen Arm und Reich vermindern
Ein Augenmerk liegt besonders darauf, die Kluft zwischen Arm und Reich zu schliessen und die breite Bevölkerung am Wohlstand zu beteiligen: Hier liegt auch der Grund für das Aufbrechen des Nachhilfesektors, den Xi als «chronische Krankheit» bezeichnet; Nachhilfe ist teuer und kann nur von Kindern reicher Familien in Anspruch genommen werden. Wer Nachhilfe bekommt, dürfte einen besseren Schulabschluss machen und kann bessere Universitäten besuchen. Die Chancengleichheit geht also verloren, jetzt soll sie wiederhergestellt werden.
Verunsicherung bei Anlegern wächst
Die regulatorischen Eingriffe verunsichern aber die Anleger. Internationale Investoren fragen sich, inwiefern China noch als sicheres Zielland für Investitionen gelten darf. Die Sorge nicht nur vor wegregulierten zukünftigen Gewinnen, sondern auch vor einer Aushöhlung von Unternehmenssubstanz ist deutlich gestiegen. Das gerade in einer Phase, in der sich auch die Wachstumsdynamik in der Volksrepublik verlangsamt.
China könnte die Rekordstimmung an den Aktienmärkten in europäischen Ländern und den USA bald stören. Ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Die Analyse.
Zwar hat sich China mit fiskal- und geldpolitischen Massnahmen als erste grosse Volkswirtschaft wieder aus der Corona-Krise herauskatapultiert. Der Wachstumshöhepunkt wurde aber bereits Ende 2020 erreicht, seitdem schwächen sich die Wirtschaftsdaten ab. Nahezu parallel dazu nahm das Wachstum in den USA und Europa wieder Fahrt auf. Investoren haben daher massiv Geld aus China abgezogen und in den US-amerikanischen und europäischen Markt investiert. Für chinesische Unternehmen ist das eine schwierige Situation.
Qualität des Wachstums entscheidend
Man sollte China dennoch nicht vorschnell abschreiben. Dafür gibt es gute Gründe: Zwar ist der Wachstumspfad der Volkswirtschaft nicht mehr so steil wie früher. Aber: Die Verlangsamung ist gesund und auch Ausdruck einer bereits stark gestiegenen Wirtschaftsleistung. Zudem ist das Wachstum im internationalen Vergleich immer noch hoch. Und nicht zuletzt hat die Regierung selbst auf eine Verlangsamung des Wachstums hingewirkt, zum Beispiel durch eine straffere Geldpolitik.
Entscheidend ist die Qualität des Wachstums. Und hier sehen wir positive Trends und erwarten, dass beispielsweise die Einzelhandelsumsätze und der Konsum in den kommenden Monaten zunehmen werden. Zudem hat die Zentralbank angedeutet, dass sie ihre Geldpolitik wieder lockern könnte. Dagegen könnten die USA die Zinsen 2023 anheben. Dies könnte China als Anlageregion wieder attraktiver machen. Bleibt die Unsicherheit bezüglich der Regulierung: Die chinesische Finanzmarktaufsicht betont, es gebe daraus abgeleitet kein systematisches Risiko für chinesische Aktien.
Kleinere und inlandorientierte Unternehmen bevorteilt
Doch für Anleger gewinnt die Bewertung der Regulierungsrisiken bei der Analyse von Einzeltiteln an Bedeutung. Es stellt sich jetzt bei jeder Anlageentscheidung verstärkt die Frage, ob ein Unternehmen im Sinne der langfristigen Agenda Chinas agiert. Firmen in wenig regulierten oder von der Regulierung sogar begünstigten Bereichen werden für Investoren interessant.
Auch für kleinere chinesische Unternehmen wird das Umfeld womöglich attraktiver, weil Monopole aufgebrochen werden und sie daraus Wettbewerbsvorteile ziehen. Anleger sollten China also nicht abschreiben und die Chancen am Aktienmarkt mit interessanten Unternehmen genau im Blick behalten.