BILANZ: Herr Vasella, wie erklären Sie einem siebenjährigen Kind, was Sie als Novartis-Konzernchef den ganzen Tag so tun?

Daniel Vasella: Einem Siebenjährigen? Das musste ich schon seit einigen Jahren nicht mehr tun. Meine Kinder sind 13-, 16- und 21-jährig.

Sie sind seit der Geburt der Novartis im Jahre 1996 Konzernchef. Damals dürfte es zu Hause auch Fragen gegeben haben.

Wenn mir die Kinder Fragen stellten, habe ich diese immer beantwortet. Die Kinder interessierte es allerdings weniger, was ich genau bei Novartis mache, als die Frage, was denn Novartis mache. Heute, da die Kinder auch Medien konsumieren, fragen Sie eher: «Stimmt das, was über dich und Novartis berichtet wird?»

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Und? Was sagen Sie dann?

Ich antworte differenziert. Und ich sage auch, wenn etwas nicht stimmt. Hie und da kommen die Kinder auch lachend: «Jeeh, hast du das gesehen?» Sie nehmen mich dann auch hoch. Es kommt eben darauf an, wie wir als Familie mit der Berichterstattung umgehen. Vor allem, wenn es Kritik gibt. Wobei Lobhudeleien ebenso unangenehm sind wie bösartige Kritik. Beides ist ja überzeichnend und geschieht mit einer gewissen Absicht.

Diesen exponierten Job wollen Sie noch bis 2008 machen. Zwei Drittel der Zeit seit 1996 sind vorbei. Was haben Sie gut gemacht, was weniger?

Ich denke nicht in den Kategorien «mein Erfolg» oder «mein Misserfolg». Novartis ist eine komplexe Organisation mit vielen Menschen, die Verantwortung mittragen. In diesem Sinne ist es unser Erfolg und unser Misserfolg.

Trotzdem: Was bleibt an Positivem?

Am Anfang stand die Integration von Ciba-Geigy und Sandoz. Die ist uns gut gelungen. Das ist ein wichtiger und keinesfalls selbstverständlicher Erfolg. Die Zusammenarbeit zwischen Alex Krauer als Verwaltungsratspräsident und mir war sehr gut. Dies war ein entscheidendes Signal für alle, die von der Fusion betroffen waren.

Das war eine wichtige Voraussetzung für Ihre erfolgreiche Wachstumsstrategie.

Die Verselbstständigung des Agrobereiches und die Fusion mit jenem der Astra Zeneca zur Syngenta waren nicht nur für den Standort Basel und die Schweiz ein Erfolg, diese Transaktionen legten auch den Grundstein für unseren Erfolg im Pharmageschäft. Eine weitere Fokussierung auf das Medikamentengeschäft erfolgte durch den Verkauf grosser Teile des Ernährungsgeschäftes. Allerdings hätten wir das Letztere damals gerne ganz verkauft. So gesehen ist dies ein gewisser Misserfolg. Aber wir lassen uns nicht dazu drängen, ein Geschäft um jeden Preis zu verkaufen oder zu kaufen. Wir sind pragmatisch.

Sehen Sie etwas, was Sie im Rückblick hätten anders machen sollen?

Gewisse Personalwechsel hätte ich früher treffen sollen. Aber es ist mir ein Anliegen, solche Entscheide über eine gewisse Zeit gründlich zu prüfen.

Personalfragen sind ja stets emotional befrachtet. Aktuelles Beispiel ist etwa der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, der unter starker öffentlicher Kritik steht, weil er in grossem Stil Personal abbauen will.

Es gibt zwei Arten von Schnitten beim Personal. Einmal sind es Menschen, bei denen der Vorgesetzte zum Schluss kommt, dass diese nicht am richtigen Posten sitzen oder nicht zu einem passen. Hier geht es um individuelle Trennungen. Ein ganz anderer Fall ist es, wenn Strukturen anzupassen sind, weil sich beispielsweise Marktbedingungen dramatisch verändern oder die Firma um ihr Überleben oder ihre Konkurrenzfähigkeit kämpft. Dann ist der Personalabbau keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Wir sahen uns nach der Fusion ebenfalls mit dieser Notwendigkeit konfrontiert.

Bei diesen Gelegenheiten beziehen die verantwortlichen Firmenchefs regelmässig Prügel.

Je schneller und fairer solche Trennungen und Restrukturierungen vollzogen werden, desto besser ist es. Für solche Entscheide wird ein Manager natürlich nie geliebt, geschweige denn gelobt. Doch sie sind Teil seiner Verantwortung zum Wohle des gesamten Unternehmens.

Trotzdem ist das Image des Managers an einem Tiefpunkt. Wieso?

Da gibt es viele Gründe. In der Vergangenheit wurde der Chief Executive Officer idealisiert, heute hat das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen. Das ist teilweise selbst verschuldet, da sich zu viele Manager falsch oder nicht gesetzesgetreu verhalten haben. Mangelnde Transparenz bis hin zu Zahlenmanipulationen, um gut dazustehen oder hohe Boni zu erhalten, gehören in dieses Kapitel. Hinzu kommt die Börsenkorrektur nach der Dotcom-Euphorie der neunziger Jahre, als viele Spekulanten glaubten, der Aufschwung werde ewig dauern. Und schliesslich kam hinzu, dass etliche Manager trotz Misserfolg gut bezahlt wurden. Dieses Amalgam kommt in der Öffentlichkeit verständlicherweise sehr schlecht an.

Leiden Sie persönlich unter dem schlechten Image?

Die Frage ist, ob man sich betroffen fühlt oder nicht. Wesentlich sind die Introspektionsfähigkeit und der Wille, einen persönlichen Standpunkt einzunehmen, um sich bewusst für ein bestimmtes Verhalten zu entscheiden. Dafür trägt jeder die Verantwortung selbst. Bei Novartis wollen wir aus Prinzip gegen innen und aussen transparent sein.

Ist das bei einem Konzern Ihrer Grösse nicht ein Ding der Unmöglichkeit?

Sie haben insofern Recht, als wir alle wissen, dass es bei einem Konzern mit über 80 000 Mitarbeitenden immer einen gibt, der sich nicht korrekt verhält. Trotzdem gilt auch hier das Gebot der Transparenz: Wir kommunizieren intern Fälle von klarem Fehlverhalten via Intranet mit dem Ziel einer kontinuierlichen Verbesserung. Der Konzern muss sich weltweit gesetzestreu verhalten. Dies bedingt entsprechende Ausbildung und Kontrolle.

Kürzlich, anlässlich eines Vortrags über Young Leaders, den Sie in New York gehalten haben, machten Sie sich Sorgen über den schlechten Ruf der Pharmabranche. Fühlen Sie sich persönlich betroffen?

Ich identifiziere mich mit der Pharmaindustrie und frage mich angesichts der öffentlichen Kritik, ob wir uns richtig verhalten und ob diese Kritik gerechtfertigt ist. Ich verstehe gut, dass steigende Gesundheitskosten viele Menschen beunruhigen. Doch das ist nur ein Aspekt dieser Problematik.

Was meinen Sie damit?

Die Medikamente sind nicht die wirklichen Treiber explodierender Gesundheitskosten. Das ist ein Trugschluss, ganz besonders auch im Hinblick auf die Schweiz. Erstens beträgt der Anteil der Medikamente an den gesamten Gesundheitskosten weniger als zwölf Prozent. Zweitens werden die höheren Kosten innovativer Medikamente durch die raschere Genesung und kürzere Spitalaufenthalte mehr als wettgemacht, und schliesslich sind die Medikamentenpreise in der Schweiz unter dem Konsumentenpreisindex gestiegen. Kostentreiber sind vor allem die Spitäler.

Ist das alles?

Nein. In der Schweiz tragen wir wesentlich zum Exportüberschuss bei, sind ein wichtiger Arbeitgeber und zahlen mehr Steuern, als wir im Land verdienen. Das eigentliche Problem liegt bei der zunehmenden Alterung der Bevölkerung. Diese führt zu einer stetig steigenden Nachfrage nach Medikamenten und medizinischen Dienstleistungen. Und dies führt wiederum zu steigenden Kosten.

Wie ist das Problem explodierender Gesundheitskosten denn zu lösen?

Dieses Problem kann nicht vom Staat gelöst werden, er ginge daran Bankrott. Dies bedeutet, dass ein grösserer Teil der Gesundheitskosten vom Individuum übernommen werden muss: Der Selbstkostenanteil wird steigen. Wer mehr medizinische Leistungen beansprucht, wird wohl mehr bezahlen müssen, wie auch jene, die ein Risikoverhalten an den Tag legen, mit höheren Prämien zu rechnen haben, wobei ein Auffangnetz für Patienten in finanziellen Nöten wichtig ist. Schliesslich hat auch im Gesundheitswesen die Produktivität zu steigen. Beispielsweise muss die Informatisierung und Vernetzung von Spitälern und Arztpraxen fortschreiten. Studien aus den USA zeigen etwa, dass über 65-jährige Patienten mehr als ein halbes Dutzend verschiedene Ärzte aufsuchen, die aber meistens nichts voneinander wissen. Diagnostische Tests und Untersuchungen werden wiederholt und Krankengeschichten dupliziert. Im Medikamentenbereich sollten, wo angebracht und verfügbar, billigere Generika eingesetzt werden. Und die Patienten sollen für banale Krankheiten auf Selbstdiagnose und Selbstmedikation setzen.

Wir publizieren in dieser BILANZ-Ausgabe einen Artikel, der erstmals die Performance von Aktien über den Zeitraum der letzten dreissig Jahre misst. Wer 1975 1000 Franken in Ihre Firma investiert hat, besitzt heute 90 000 Franken. Damit ist Novartis Spitzenreiter in der Schweiz. Was denken Sie, wenn Sie dies hören?

Dass Sie zu tief liegen mit Ihrer Rechnung. Es könnte sein, dass Sie nur Novartis berechnet haben und nicht auch den Wertzuwachs von Syngenta und Ciba Spezialitätenchemie. Zählt man diese hinzu, liegt die Summe beinahe bei 100 000 Franken. Wie auch immer: Ich denke, ein langfristiges Investment in gute Unternehmen ist so falsch offenbar nicht.

Trotzdem monieren die Analysten, dass die Novartis-Titel sich kaum bewegen. Wie geht das zusammen?

Die Vergangenheit der Aktienperformance geht oft vergessen. Wer neu in einen Titel investiert, für den zählt nur die Zukunft. Zum anderen agieren Investoren meist kurzfristig.

Finden Sie das ungerecht?

Nein. Das kurzfristige Verhalten mancher Investoren ist auch ein Ausdruck der Habgier. Eine Aktie sollte jedoch nicht isoliert beurteilt werden, sondern im Umfeld der Konkurrenz. Für uns ist der Pharma-Index die entscheidende Richtgrösse. Bei dieser Betrachtung fällt unsere Performance gut aus. Nicht, dass unser Kurs nach oben geschnellt wäre – die Kurve ist tatsächlich relativ flach–, sondern weil die Titel vieler Konkurrenten massiv nachgegeben haben. Wenn Sie jetzt in Pfizer- oder Merck-Aktien investiert hätten, hätten Sie innert zwölf Monaten bis zu vierzig Prozent des Einsatzes verloren. Bei uns hätten Sie wenigstens ein bisschen dazuverdient.

Lange Zeit galt die Pharmabranche als absolut sicheres Geschäft für Investoren. Das scheint vorbei zu sein. Sind Sie mit dieser Einschätzung einverstanden?

Die Aktienperformance von Pharmaunternehmen widerspiegelt die erhöhte Wahrnehmung von Risiken. Bei Investoren hat sich der Eindruck festgesetzt, dass Pharmatitel nicht mehr in jedem Fall eine sichere Performance darstellen. Das ist unter anderem eine Folge der grossen Prozessfälle innerhalb der Branche, die Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe nach sich gezogen haben.

Trotzdem bleibt der Konsolidierungsdruck innerhalb der Branche bestehen?

In der Vergangenheit ist pro Jahr ein grosses Unternehmen durch Fusion oder Übernahme verschwunden. Der Konsolidierungsprozess hängt mit dem Druck auf die Margen zusammen. Die Unternehmen sind mit steigenden Kosten für Forschung und Entwicklung, aber auch für Marketing konfrontiert. Dieser Margendruck führt zu intensiverem Wettbewerb und Konsolidierung mit dem Ziel, durch Kostensynergien die Produktivität zu steigern.

Gilt der Konsolidierungszwang auch für Novartis?

Ich sehe es nicht als einen Zwang, sondern als Tendenz, welche die gesamte Industrie betrifft. Wie stark man diesbezüglich unter Druck ist, hängt davon ab, ob eine Firma ein dynamisches, organisches Wachstum aufweist und Marktanteile gewinnt. Bei uns ist das der Fall: Wir hatten noch nie einen so hohen Marktanteil wie heute.

Wollten Sie deshalb Aventis nicht um jeden Preis kaufen?

Bei einer Akquisition muss nicht nur die Strategie, sondern auch der Preis überzeugen.

Die Schweiz ist international als Nichtmitglied der Europäischen Union isoliert und innenpolitisch zerrissen.

Die Schweiz ist weder international isoliert noch zerrissen. Die Situation heute ist überhaupt nicht mehr zu vergleichen mit der Zeit, als die Holocaust-Gelder international diskutiert wurden. Wir sind zwar nicht in der EU, und ich glaube auch nicht, dass wir in absehbarer Zeit zur EU gehören werden. Deshalb gilt es, die Vorteile zu pflegen, die sich aus unserer besonderen Schweizer Situation ergeben. Unsere Stabilität, unser Steuersystem, der hohe Ausbildungsstandard, das Gesundheitswesen – das alles sind Trümpfe, die wir behalten müssen.

Also ist alles perfekt?

So einfach ist es natürlich nicht. Der Staatshaushalt muss saniert werden, und das nicht nur vorübergehend durch einmalige Zahlungen aus den Goldreserven. Man kann, darf und soll nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. Wir können auch nicht einfach die staatlichen Einnahmen erhöhen, um das Defizit zu beheben. Dies würde dem Standort Schweiz massiv schaden. Wir müssen schlicht und einfach sparen. Auch gilt es, die Subventionspolitik zu überdenken. Wir geben Milliarden aus, für Landwirtschaft zu viel, für Forschung und Ausbildung zu wenig.

Und für die Fluggesellschaft Swiss? Würde Novartis nochmals Geld investieren?

Wenn wir nochmals gefragt würden?

Ja, wenn Sie gefragt würden.

Dann ist die Antwort klar: Nein! Wir haben damals beim Start der Swiss einen grossen Schritt getan. Und zwar in der Überzeugung, etwas zu tun für den Flugverkehr, die Stabilität der Schweiz und für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Basel. Um überlebensfähig zu bleiben, musste die Firma restrukturiert werden, aber dass die Swiss jetzt permanent an eine finanzielle Infusion angehängt werden könnte, ist für uns kein Thema.

Sind Sie von der Leistung des Swiss-Managements enttäuscht?

Noch fliegt die Swiss, und dass die Basler mit dem Zug bis Kloten fahren müssen, wenn sie einen Flieger der Swiss besteigen wollen, das ist doch in Ordnung. Die Zugverbindungen sind ja schliesslich ausgezeichnet.

Wo sehen Sie den Exit für die Swiss-Aktionäre der ersten Stunde?

Es gibt ein Stillhalteabkommen, und wenn man den grössten Teil der Investition schon abgeschrieben hat wie wir, steht man unter keinem Termindruck.