Zareh Tahmassebian, selbst ernannter Immobilienspekulant aus den USA, hat sich verfahren. Er findet sein eigenes Haus nicht. Der 26-Jährige hat kürzlich seine mittlerweile sechste Immobilie in Phoenix erstanden und nun den Überblick verloren. Das Objekt kennt er bis jetzt nur von Bildern her, doch er weiss, dass der Wert des Hauses in den letzten Wochen bereits um 45 000 Dollar gestiegen ist (siehe BILANZ 13/2005).
In Spanien wundert sich derweil der Schweizer Immobilienmakler Peter Neff. Schon wieder hat er eine Ferienwohnung in Calpe an der Costa Blanca verkauft – nicht an einen Schweizer oder einen Deutschen wie sonst üblich, sondern an einen Einheimischen. Zwar ist er als seriöser Makler bekannt, doch dass zunehmend Leute aus Madrid und Barcelona zu ihm, einem Ausländer, pilgern, kann er sich nur mit dem Immobilienboom erklären.
Zur gleichen Zeit ärgert sich im hohen Norden Björn Johannson grün und blau. Der Schwede sieht sich gezwungen, rund 100 Kilometer von Stockholm entfernt ein kleines Reiheneinfamilienhaus zu kaufen, weil Eigentumswohnungen in und um die Hauptstadt, wo er arbeitet, teuer geworden sind. Unerschwinglich teuer.
Ein Virus hat die Welt erfasst. Nicht die Vogelgrippe, doch ein auf seine Art ebenso gefährliches, eines, das sich bereits über die halben Welt ausgebreitet und jede Menge unschuldiger Mieter infiziert hat. Europa, das noch immer staunend über den Atlantik schielt und den Tanz der Vereinigten Staaten auf dem Pulverfass verfolgt, übersieht beinahe, dass es auf dem alten Kontinent dieselben Tendenzen gibt. Und nicht nur dort. Von Australien bis nach Tahiti gibt es im Moment an zig Millionen Mittagstischen einen universellen Gesprächsstoff: den neuen Reichtum mit Betongold.
So legten die Hauspreise in den letzten drei Jahren in Frankreich um 48 Prozent zu, in Brasilien um 33 Prozent, und in Südafrika verdreifachten sie sich gar. Allein im vergangenen Jahr stiegen die Preise in Hongkong um 19 und in Bulgarien um 48 Prozent. Einzig in Japan und Deutschland sanken die Preise im letzten Jahrzehnt. Die Schweiz rangiert mit einem landesweiten Preisanstieg von elf Prozent im unteren Bereich, wenn es auch lokal einige Überhitzungstendenzen gibt.
Dass die meisten Medien dieses Thema bisher nicht aufgegriffen haben, dürfte am Fehlen von brauchbaren Statistiken liegen. Jedes Land weist mehr oder weniger detailliert die Entwicklungen am heimischen Markt aus, über den eigenen Gartenzaun hinweg wird jedoch nicht geschaut. Banken und gut bezahlte Immobilienberater produzieren zwar Unmengen von Papier, meist jedoch nur über die internationalen Büromärkte. Stellt ein Finanzinstitut dann dennoch Mitarbeiter für dieses Thema ab, wird gerade mal eine Hand voll Länder untersucht. «Wir beobachten eben jene Länder, die für uns anlagetechnisch wichtig sind», heisst es unisono. Einzig die OECD und das britische Wirtschaftsmagazin «Economist» haben sich bis dato die Mühe gemacht, Hauspreise in mindestens 20 Ländern zu erheben und miteinander zu vergleichen.
Ökonomen kommen ob der Entwicklungen in den letzten Jahren ins Staunen. «Es herrscht nicht nur in den USA eine Herdenmentalität, sondern mittlerweile auf der ganzen Welt», konstatiert Joseph Quinlan, Chief Market Strategist der Bank of America. «Es ist erstaunlich, wie die Preiserhöhungen die ganze Welt erfasst haben.» Franz Jaeger, Professor an der Universität St. Gallen, bestätigt dies und liefert die Erklärung: «Die Globalisierung führte dazu, dass mittlerweile nicht nur die Finanzmärkte synchron laufen, sondern auch die Immobilienmärkte» (siehe Nebenartikel «Interview mit Franz Jaeger: Wir müssen keine Angst vor einem Crash haben»).
In der Tat riss der Einbruch der New Economy im Jahr 2000 nicht nur die amerikanische Börse, sondern mit ihr auch die Aktienmärkte von Hongkong bis Südafrika in die Tiefe. Um die Wirtschaft nicht in einer Rezession versinken zu lassen, drehten die Zentralbanken überall auf dem Globus an der Zinsschraube. Die rekordtiefen weltweiten Zinsen waren der Startschuss für einen noch nie da gewesenen Immobilienboom.
In Spanien zum Beispiel lagen die Hypothekarzinsen in den neunziger Jahren noch bei 16 Prozent – heute finden sich Angebote für 2,2 Prozent auf dem Markt. Obwohl Spanien bereits mit einer Eigentumsquote von 80 Prozent gesegnet ist, gingen die Einheimischen noch einmal so richtig auf Einkaufstour. Trotz den günstigen Zinsen nehmen immer mehr Spanier höhere Schulden in Kauf, um grössere Häuser zu erwerben. Gemäss der Bank of Spain haben letztes Jahr die Schulden der Spanier das durchschnittliche Einkommen um das Fünffache übertroffen. Einige Ökonomen halten das enorme iberische Wirtschaftswachstum für die Ursache solcher Entwicklungen. Dieses Argument hält jedoch einer näheren Betrachtung nicht stand, konnten doch in Italien und Frankreich ebenfalls starke Preissteigerungen registriert werden – ganz ohne Wirtschaftswunder.
Benoît Marinier ist Geschäftsführer der Immobilienagentur First Address in Paris. Gerade hat er ein 167 Quadratmeter grosses Appartement im Stadtteil Ile St-Louis für 1,8 Millionen Euro zum Verkauf ausgeschrieben, und er zweifelt nicht im Geringsten daran, dass dieses Bijou sofort weggehe. Sein Büro ist im hippen fünften Arrondissement angesiedelt mit Blick auf das Panthéon, eines der Wahrzeichen von Paris. Gerne erzählt er von seinem Alltag, den vielen Anfragen von Ausländern, die ebenfalls zu gerne in der angesagten Stadt leben würden, und den Bobos («bourgeois-bohème»), den jungen Neureichen, die in Paris auf Einkaufstour gehen. «Die Bobos kaufen meist 60 bis 80 Quadratmeter grosse Eigentumswohnungen und vermieten sie an Touristen weiter», so Marinier. Mittlerweile nutzen laut Statistik des Institut national de la statistique et des études économiques (Insee) nur mehr 30 Prozent der Immobilienkäufer in Paris die Objekte für den Eigengebrauch, sind also so genannte Erstkäufer. Diese Tatsache untermauert den spekulativen Charakter der Käufe.
Obwohl der Immobilienmakler vom An- und Verkauf der Eigentumswohnungen lebt, räumt er ein, dass derzeit wohl nicht die beste Gelegenheit für einen Kauf sei. «Die meisten gehen davon aus, dass die Immobilienpreise noch weiter steigen werden, doch ich bin vom Gegenteil überzeugt», so Marinier. «Die Preise haben den Plafond erreicht.» Doch nicht nur in Paris wird gekauft, was das Zeug hält, sondern auch im restlichen Frankreich. Unter anderem haben die grosszügigen Unterstützungen des Staates die Immobilienpreise kräftig hochgetrieben. So profitierten zwischen 1995 und 2002 im Schnitt 45 Prozent aller Neubauten von staatlichen Subventionen. Im Gegensatz zu Paris jedoch wird auf dem Land weniger spekuliert: Dort sind rund 60 Prozent aller Immobilienerwerber Erstkäufer.
Auch das Londoner Immobilienbüro Knight Frank konnte sich in den letzten Jahren nicht über einen Mangel an Aufträgen beklagen. Kurz bevor Liam Bailey, Head of Research, zum Telefonhörer greift, muss er einem Kunden noch schnell erklären, dass dessen Preisvorstellungen für den Verkauf von dessen Wohnung selbst für Londoner Verhältnisse überzogen seien. «50 Prozent der Käufer sind Ausländer, viele davon zahlungskräftige Russen», erklärt Bailey. «Auf Grund der tiefen Steuersätze in London zieht es die halbe Welt hierher.» Auch gut betuchte inländische Manager aus der Finanz- und der Werbebranche sorgten dafür, dass die Hauspreise in Grossbritannien seit 1997 dreimal stärker gestiegen sind als die Einkommen.
Und damit nicht genug. Gemäss einem Bericht der OECD erreichen die Hypotheken mittlerweile ein Volumen, das 64 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) Grossbritanniens entspricht – im Vergleich dazu: Die Hypotheken in Italien entsprechen gerade mal elf Prozent des BSP, in Österreich sind es sogar nur vier Prozent. Man kommt nicht umhin, sich die Frage zu stellen, wie lange dieser Boom noch anhalten mag. Und, vor allem, welche Auswirkungen ein möglicher Abschwung der Immobilienpreise haben könnte.
Jeremy Grantham, Chairman von GMO, einem amerikanischen Anlageberatungsunternehmen, ist nicht der einzige Ökonom, der sich kritisch zeigt: «What goes up must come down.» Er verglich die Entwicklung der Hauspreise mit den Einkommen über die letzten 45 Jahre in den angelsächsischen Ländern und kam zum Schluss, dass sich im Lauf der Geschichte die Hauspreise mittelfristig stets den Einkommen angepasst haben. Stiegen die Hauspreise viel stärker als die Einkommen – wie in den Jahren 1973 und 1989 in Grossbritannien und 1979 in den USA –, folgte ein Crash. Grantham untersuchte auch gleich seinen eigenen Bundesstaat, Massachusetts. Ergebnis: «Als ich die Auswertung in der Hand hielt, zeigte ich sie meiner Frau, um sie zu überreden, unser Haus doch lieber zu verkaufen und in Zukunft Miete zu bezahlen», so Grantham. In der Tat haben sich die Hauspreise zum heutigen Zeitpunkt sogar noch stärker vom Einkommen abgekoppelt als zu den Höchstständen von damals.
Auch die Analysten der deutschen Deka Bank kamen in ihrer Studie vom September 2005 zu einem verblüffenden Ergebnis. Sie untersuchten die Entwicklung des Kauf-Miet-Verhältnisses bei Immobilien und kamen zum Schluss, dass dieses in allen untersuchten Ländern – also den Vereinigten Staaten, Australien, Grossbritannien, Spanien, Schweden, Frankreich und den Niederlanden – so stark gestiegen ist wie vor dem Immobiliencrash im Jahr 1990. Mit anderen Worten: Es ist um 60 bis 90 Prozent teurer geworden, ein Haus zu kaufen, als Miete zu bezahlen – trotz rekordtiefen Zinsen.
Über all diese Entwicklungen in und rund um Europa äusserte sich sogar die sonst zurückhaltende Schweizerische Nationalbank kritisch in ihrem letzten Quartalsheft: «Die hoch bewerteten Immobilienmärkte in den USA, im Vereinigten Königreich sowie in einigen Ländern der Eurozone bereiten Sorgen. Ein rascher Rückgang der Immobilienpreise dürfte den privaten Konsum in diesen Ländern empfindlich treffen.» Je schärfer die Korrektur, umso grösser der Effekt für die Gesamtwirtschaft. Sinken die Hauspreise, müssen Konsumenten ihre Ausgaben zurückschrauben und sparen mehr, um ihren Verlust bei den Häusern zu kompensieren. Niedrigere Konsumentenausgaben führen üblicherweise zu einer Verringerung des Bruttosozialprodukts.
In Australien konnte diese Sogwirkung in den letzten zwei Jahren beobachtet werden. Down under, wo die Hauspreise vor allen anderen Ländern durchstarteten, wurde zinstechnisch die Bremse betätigt. So erhöhte die Reserve Bank of Australia im Mai 2002 schrittweise die Leitzinsen. Seither konnte das Preiswachstum gestoppt werden; es ist mittlerweile sogar leicht rückläufig. Mit ihm allerdings auch der Konsum, der sich 2005 gegenüber dem Vorjahr um 2,3 Prozent reduzierte. Speziell die Bekleidungsindustrie und Konsumprodukte waren davon stark betroffen. Der Aktienkurs beispielsweise von Australiens grösstem Elektronikhandelsunternehmen, Harvey Norman, ist innerhalb von nur einem Jahr um 20 Prozent gesunken. Auch der ganze Bankensektor, der traditionellerweise stark mit dem Immobilienmarkt verbunden ist, hatte gegenüber dem Gesamtmarkt eine Underperformance von sieben Prozent.
In Grossbritannien zeichnen sich nun ähnliche Entwicklungen ab. Die Bank of England erhöhte im November 2003 schrittweise die Zinsen. Wie in Australien sank auch im Vereinigten Königreich mittlerweile der Konsum. Noch scherzt man in London: «Es gibt mittlerweile so viele Crash-Prophezeiungen wie ausländische Restaurants in London. Doch bislang erhöhten sich nach jeder Prophezeiung die Verkäufe.» Dass das Wachstum der Immobilienpreise gegenüber dem Vorjahr von 19 auf 2 Prozent zurückging, wird dabei geflissentlich übersehen.
Welch fatale Auswirkungen ein Immobiliencrash auf die Wirtschaft haben kann, zeigte sich in Japan. Dort brach der Markt 1991 wie ein Kartenhaus zusammen. Zu Beginn wurde dies als Korrektur der Seifenblasenwirtschaft aus den achtziger Jahren gelobt, doch allmählich realisierte man die gesamtwirtschaftliche Tragweite des Ganzen. Das allgemeine Preisniveau fiel, und mit ihm fielen die Löhne sowie das Bruttosozialprodukt. Erst heute, 15 Jahre später, scheinen die Investoren wieder Vertrauen in Immobilienwerte gefasst zu haben: Sie investieren kräftig. Wie häufig und vor allem mit welch fatalen Auswirkungen Immobiliencrashs auftreten können, zeigte der Internationale Währungsfonds (IMF) in einer Studie auf (siehe Nabenartikel «Bärenmärkte: Hartnäckige Besucher»). So findet man an den Immobilienmärkten starke Preisrückgänge zwar seltener als an den Aktienmärkten, dafür sind sie wesentlich schmerzhafter und halten länger an. Mit einer 40-prozentigen Wahrscheinlichkeit folgt auf einen Anstieg der Immobilienpreise ein Crash.
Wo also sollte man heute noch investieren? Wer gegen den Trend schwimmen will und einen langen Atem hat, sollte Japan und Deutschland ins Auge fassen. Die Preise in unserem Nachbarland sind mittlerweile auf einem Niveau, auf dem sich ein Einstieg lohnen kann. Nachdem die Hauspreise zwischen 1989 und 1995 auf Grund der Wiedervereinigung stark angestiegen waren, sanken sie seit dem Ende der Förderungsmassnahmen im Jahr 1995 und bewegten sich seither seitwärts. Während die Deutschen selber noch nicht an einen Preisanstieg glauben, sind ausländische Investoren fest davon überzeugt: Private-Equity-Gesellschaften und Opportunity-Funds wie etwa Blackstone, Oaktree, Deutsche Annington und oder das Investment-Haus Morgan Stanley erwarben im Jahr 2004 rund 300 000 vermietete Wohnungen für 15,5 Milliarden Euro. Und der Trend hält an.