Frau Yvonne Seiler Zimmermann, wer wird schlussendlich von der 13. AHV-Rente profitieren?

Ohne Kenntnis der Finanzierungsmethoden für die 13. AHV-Rente ist es schwierig, diese Frage zu beantworten. Falls die Finanzierung über Lohnprozente erfolgt, wären eindeutig die «jungen Rentnerinnen und Rentner» die Gewinner. Sie könnten mit einer 13. AHV-Rente rechnen, ohne dafür einen Franken bezahlt zu haben. Wenn hingegen die Finanzierung über die Mehrwertsteuer erfolgt, würden nicht nur die aktiv Versicherten, sondern auch die Rentner bezahlen.

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Die Mehrwertsteuer ist vom sozialen Aspekt her wohl eher problematisch ...

Ja, denn wird über die Mehrwertsteuer finanziert, sind die tieferen Einkommen relativ stärker belastet. Dies ist aber auch bei einer Finanzierung über Lohnprozente der Fall. Sozialpolitisch problematisch ist, dass so oder so Familien und Personen mit tiefen Einkommen für Renten von Personen aufkommen müssen, die keine Hilfe benötigen.

Wie beurteilen Sie den Zustand des Schweizer Vorsorgesystems?

Der demografische Wandel und das anhaltend niedrige Zinsumfeld stellen bekannte Herausforderungen dar: Die Bevölkerung wird immer älter, tiefe Realzinsen sind eine Konsequenz davon. Durch Reformen in die richtige Richtung besteht jedoch die Möglichkeit, den Zustand des Schweizer Vorsorgesystems weiter zu verbessern.

Welches sind die «richtigen» Reformen?

Bei Reformüberlegungen ist es wichtig, die Vorteile unseres Vorsorgesystems beizubehalten. Die erste Säule basiert auf dem Umlageverfahren, wodurch die Kosten bekannt sind. Die zweite Säule hingegen umfasst individuelles Sparen über den Kapitalmarkt, was sich nicht für sozialpolitische Entscheidungen eignet. Die dritte Säule ermöglicht privates und individuelles Sparen. Alle drei Säulen können dazu beitragen, die verschiedenen Herausforderungen abzufedern.

Bei den Herausforderungen wird auch die Altersarmut in der Schweiz immer öfter genannt. Ist dies ein Märchen oder harte Realität?

Die Altersarmut kann je nach Definition bereits bei 10 Prozent liegen. Es ist unbestreitbar, dass Altersarmut existiert. Eine ganz andere Frage ist, ob die 13. AHV-Rente eine angemessene Lösung für dieses Problem darstellt. Alle sind sich einig, dass solche sozialen Probleme in der Schweiz nicht auftreten sollten.

Zur Person

Yvonne Seiler Zimmermann, Professorin am IFZ der Hochschule Luzern
Quelle: ZVG

Yvonne Seiler Zimmermann hat ander Universität Bern Wirtschaftswissenschaften studiert und an der Universität Basel promoviert. Während ihres Doktorandenstudiums erlangte sie zudem das Certificate in Economicsder University of Chicago (USA).

Nach ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Finma im Risikomanagementteam ist sie seit 2008 Dozentin und Projektleiterin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ)der Hochschule Luzern. Ihre Schwerpunkte liegen in der empirischen Finanzforschung, in den Fragen zur kapitalgedeckten Altersvorsorge sowie in der Immobilienfinanzierung. Sie hat zu diesen Themen zahlreiche Forschungsprojekte geleitet, Praxispartner beraten und Publikationen verfasst. So hat sie zusammen mit Prof. Dr. Heinz Zimmermann im Jahr 2021 das Buch «Finance Compact Plus» publiziert. Sie ist zudem  Co-Leiterin des Weiterbildungslehrgangs MAS/DAS «Pensionskassenmanagement» und Vorstandsmitglied der Luzerner Pensionskasse (LUPK).

Gäbe es hier denn einfache Lösungen?

Es gibt auch Uneinigkeit darüber, was das Existenzminimum bedeutet. Dies ist eine sozialpolitische Frage, und die Finanzierung muss im Umlageverfahren erfolgen. Bei Ergänzungsleistungen, die speziell für arme ältere Menschen konzipiert sind, sollte ein automatisches System eingeführt werden, um Ansprüche basierend auf Steuerdaten anzuerkennen. Gerade ältere Menschen schämen sich oft dafür, Unterstützungszahlungen in Anspruch zu nehmen.

Das eine sind staatliche Leitplanken, das andere ist die individuelle Eigenverantwortung. Wie gut ist die Bevölkerung über das Vorsorgesystem informiert?

Unsere jährliche Studie «Vorsorgedialog» zur Financial Literacy mit Fokus Altersvorsorge misst unter anderem den Wissensstand der Bevölkerung. Es zeigt sich, dass das Wissen über die Altersvorsorge eher bescheiden ausfällt. Interessanterweise wissen die Menschen oft mehr über das allgemeine Vorsorgesystem als über ihre eigene persönliche Vorsorge. Was ein Umwandlungssatz bedeutet, ist beispielsweise mehrheitlich bekannt. Aber wer berechtigt ist, in die Säule 3a einzuzahlen, wird oft nicht richtig beantwortet. Natürlich kann und muss man nicht über alles Bescheid wissen, aber fehlerhaftes Wissen ist problematisch.

Auf welches fehlerhafte Wissen stossen Sie öfters?

Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass man für Einzahlungen in die Säule 3a erwerbstätig sein muss. Ein weiteres Missverständnis besteht darin, anzunehmen, dass der überlebende Partner, die überlebende Partnerin nach dem Tod der erwerbstätigen Person anspruchsberechtigt für eine Rente aus der zweiten Säule ist. Das BVG macht jedoch klare Vorgaben: Der überlebende Partner hat Rentenanspruch, wenn er für den Unterhalt von mindestens einem Kind aufkommen muss oder mindestens 45 Jahre alt und seit mindestens fünf Jahren verheiratet ist. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, erhält man keine Rente. Es ist wichtig, sich dieser Bestimmungen bewusst zu sein. Gerade für junge kinderlose Ehepaare kann das Abschliessen einer Lebensversicherung sinnvoll sein, wenn man die überlebende Partnerin finanziell absichern möchte.

Gerade für eingetragene Partnerschaften ist es ein Problem ...

Für diese Partnerschaften gelten die gleichen Vorgaben wie für Ehepaare. Zu beachten ist allerdings, dass für die Vorgaben das Reglement der jeweiligen Vorsorgeeinrichtungen entscheidend ist. Dieses kann grosszügigere Vorschriften gewähren als das BVG, welches jeweils nur das Minimum definiert.

Die Kaufkraft einer Rente von heute 5000 Franken sinkt bei einer jährlichen Inflation von 1 Prozent innert zehn Jahren auf rund 4500 Franken. Und die Jahresteuerung lag im April bei 1,4 Prozent. Inwiefern wird man in der Altersvorsorge der Inflationsthematik gerecht?

Bei der AHV hat man ja eine Indexierung. In der zweiten Säule entscheidet letztlich der jeweilige Stiftungsrat, also das oberste Organ einer Vorsorgeeinrichtung, ob er einen Teuerungsausgleich gewähren will oder nicht.

Warum gewähren nicht alle Vorsorgeeinrichtungen einen Teuerungsausgleich?

Viele, die jetzt in einer Rente sind, haben einen relativ hohen Umwandlungssatz mitnehmen können. Im Interesse eines fairen Ausgleichs zwischen den Generationen verzichten einige Kassen bewusst auf Teuerungsgutschriften auf laufenden Renten, um die aktiven Beitragszahlenden nicht zusätzlich zu belasten.

Steigende Lebenserwartung und zu hohe Renten: Die Vorsorgeeinrichtungen stehen klar unter Druck. Was bedeutet eine Annahme der Reform der beruflichen Vorsorge für die Einzelnen?

Es sind im Wesentlichen fünf Punkte, die gemäss der Reform verändert werden sollen. Erstens: die Senkung des Umwandlungssatzes von heute 6,8 Prozent auf 6 Prozent...

Es stellt sich die Frage, was das fürKonsequenzen für die Mehrheit hat.

Die wenigsten Vorsorgeeinrichtungen versichern ihre Destinatäre rein im BVG. Daher sind nur wenige davon betroffen. Viele umhüllende Kassen haben ihre Umwandlungssätze schon seit längerem auf bis zu 5 Prozent gesenkt.

Wie lauten die anderen Punkte?

Des Weiteren ist die geplante Reduktion des Koordinationsabzugs zu beachten. Diese Massnahme wirkt sich insbesondere auf Personen mit niedrigem Einkommen aus. Dadurch können mehr Lohnanteile in der zweiten Säule versichert werden. Das hat den Vorteil, dass man mehr Vorsorgegelder ansammeln kann.

Hier besteht aber auch eine Kehrseite der Medaille.

Ja, genau. Erwerbstätige mit einem tiefen Einkommen verdienen dann noch weniger und erhalten dafür etwas mehr Rente. Hinzu kommt die Abflachung der Altersgutschrift. Dies bedeutet, dass es einen gewissen Ausgleich zwischen den verschiedenen Altersstufen gibt. Bei der Diskussion darüber, dass ältere Menschen teurer sind, wird jedoch oft vergessen, dass nicht nur die Lohneinträge höher sind. Wenn eine Unternehmung hauptsächlich ältere Mitarbeiter beschäftigt, hat sie Mühe, bei einer Sammel- beziehungsweise Gemeinschaftseinrichtung einen Anschluss zu attraktiven Konditionen zu erhalten.

Jetzt fehlen noch zwei Punkte.

Der aktuelle politische Streitpunkt besteht darin, das Leistungsniveau für eine Übergangsgeneration beizubehalten. Hierbei steht der Umverteilungsaspekt im Vordergrund. Letztendlich handelt es sich um eine Frage der Generationengerechtigkeit. Ebenfalls zu erwähnen ist, dass die Eintrittsschwelle gesenkt werden soll. Hier besteht die Herausforderung in einem erhöhten Bürokratieaufwand. Wenn die Eintrittsschwellen gesenkt werden, müssen wir uns jedoch auch bewusst sein, dass Unternehmen möglicherweise Tieflohnstellen wegrationalisieren werden.

Auch ohne BVG-Reform ist bereits jetzt klar, dass die Umwandlungssätze und damit die Renten weiter sinken werden. Ist der Kapitalbezug der logische Schritt?

Dem Umwandlungssatz ist durch den Kapitalmarkt eine Untergrenze gesetzt. Liegt die Rente unter der Rendite, die ich unter Einbezug des relevanten Risikos am Kapitalmarkt erzielen kann, werde ich mich für einen Kapitalbezug entscheiden. Aber eben, Personen, deren Löhne im BVG versichert sind, können von einem sehr hohen Umwandlungssatz profitieren, der eine Rente weit über den Möglichkeiten des Kapitalmarktes gewährt. Bei Besserverdienenden ist die Umverteilung eine Tatsache.

Was sind die allgemeinen Vor- und Nachteile?

Wenn man eine Rente nimmt, hat man keine finanzielle Flexibilität. Man kann auch keine Vererbung des verbleibenden Alterskapitals machen. Bei einem Kapitalbezug hat man die volle Flexibilität, allerdings auch eine grössere Eigenverantwortung.

Die private Vorsorge wird wohl noch wichtiger ...

Früher galten die 3a-Sparkonten der Banken als nicht besonders attraktiv. Man wusste als Versicherte, dass die Verzinsungen bescheiden und es vor allem ein gutes Geschäft für die Bank ist. Das hat sich komplett geändert und es gibt immer mehr digitale Angebote, bei denen das Preis-Leistungs-Verhältnis gerade im Falle von Fondslösungen sehr attraktiv ist.

Wie soll man beim Fondssparen vorgehen?

Je nach Anlagerisikopräferenz kann man die eigene Anlagestrategie wählen. Je jünger man ist, desto risikoreicher kann man aufgrund des längeren Anlagehorizonts anlegen. Der Zinseszinseffekt ist natürlich mit einem Investmentbeginn in jungen Jahren am höchsten.

Viele haben Angst davor, dass man in der Baisse die Gelder aus Säule-3a-Fonds herausnehmen muss. Was entgegnen Sie diesen Befürchtungen?

Es ist egal, ob der Aktienmarkt zu diesem Zeitpunkt gerade korrigiert hat. Wenn man das herausgenommene Geld gleich wieder anlegt, erleidet man keinen wesentlichen Verlust. Es entsteht erst ein Problem, wenn man nicht handelt. Der Anlagehorizont endet ja nicht mit dem Bezug der Säule-3a-Gelder.

Ist Wohneigentum als Vorsorgeanlage ein sinnvoller Weg?

Wenn man Wohneigentum kauft und Vorbezüge tätigt, hat dies eine kaum zu unterschätzende Auswirkung auf die Höhe der Rente. Trotz tieferen Renten ist die Wohneigentumsförderung mit dem Gedanken der Vorsorge vereinbar. Nämlich dann, wenn die eingesparten Wohnkosten höher sind als die entfallenen Rentenzahlungen. Zudem besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass man die Immobilie am Ende gewinnbringend verkaufen kann und der Verkaufserlös die Rentenverluste kompensiert. Allerdings ist diese Kalkulation nicht risikofrei. Dies kann gerade für diejenigen, die sich Wohneigentum nur dank der Vorsorgebezüge leisten können, problematisch sein.

Mit welchen Problemstellungen wird das Vorsorgesystem in der Zukunft konfrontiert sein?

Für die PKG Pensionskasse durften wir eine Studie zum Thema «Berufliche Vorsorge 2050» erstellen. Wir haben uns dabei auf die Erkenntnisse der Zukunftsforschung gestützt. Einer der Megatrends ist der gesellschaftliche Wandel hin zu einer noch stärker individualisierten Gesellschaft. Selbstverwirklichung wird dabei immer wichtiger, Menschen streben nach Unabhängigkeit, sowohl beruflich als auch persönlich, und sie legen grossen Wert auf eine gute Work-Life-Balance. Gemäss Zukunftsforschung führt dies dazu, dass die meisten Menschen nicht mehr ausschliesslich für einen einzigen Arbeitgeber arbeiten, sondern vermehrt projektbezogen und für verschiedene Arbeitgeber gleichzeitig tätig sein werden. Zudem werden die Anstellungsverhältnisse bei einem Arbeitgeber in der Regel kürzer sein. Das bedeutet, dass die heute bereits niedrigen Löhne, die vor allem Frauen erhalten, in Zukunft von der Mehrheit der Gesellschaft bezogen werden. Dies wiederum würde bedeuten, dass das Vorsorgesystem der zweiten Säule genauer und grundlegender überdacht werden müsste. Es stellt sich die Frage, ob das bisherige patronale System noch sinnvoll ist oder die zweite Säule auf die versicherte Person ausgerichtet werden soll – ähnlich wie bei der Krankenversicherung, natürlich mit entsprechenden Regulierungen.

Bis zu welchem Alter müssen unsere Kinder arbeiten?

Gemäss Zukunftsforschung leben wir nicht nur länger gesünder, sondern wollen auch selbstbestimmt leben. Wie wir in unserer Studie ausgeführt haben, ergibt sich als logische Konsequenz aus den Megatrends, dass man nicht mehr an einem fixen Referenzalter festhält, sondern eine bestimmte Lebensarbeitszeit fixiert. Wie die Erwerbstätigen diese erreichen, ist ihre persönliche Entscheidung. Wenn jemand beispielsweise in jüngeren Jahren mehr arbeitet, kann er auch früher in Rente gehen als eine Person, die sich Auszeiten nimmt oder einen tiefen Beschäftigungsgrad hat.

Welche Tipps können Sie Alterssparenden mitgeben?

Je früher man sich um seine Vorsorge kümmert, desto attraktiver kann die Vorsorge ausgestaltet sein. Wichtig ist dabei, dass nur durch die Aneignung des entsprechenden Wissens oder durch Beratung Fehlentscheidungen vermieden werden können. Zudem ist wichtig, darauf zu achten, dass man Vorsorgegelder nicht aus kurzfristigen Überlegungen für riskante Zwecke missbraucht. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung von Vorsorgegeldern, wenn man sich selbstständig macht. Man muss sich bewusst sein, dass dabei ein doppeltes Risiko besteht: dass die Selbstständigkeit nicht erfolgreich und das Altersguthaben verloren ist.

Dieser Artikel erschien zuerst im Digitalangebot von Cash unter dem Titel: «Bei Besserverdienenden ist die Umverteilung eine Tatsache»