Einen Wissensvorsprung an der Börse zu nutzen, galt in der Schweiz lange als Kavaliersdelikt. Die Zahl der Untersuchungen war angesichts der Grösse des Marktes sehr gering. Vor sechs Jahren wurde das Insiderrecht verschärft, um den Marktzugang zur EU nicht zu verlieren. Jetzt kommt die Verfolgung von Investoren, die Insiderwissen in Gewinne zu verwandeln versuchen, in Schwung. «Bis September haben wir bereits 114 Abklärungen zu Insiderhandel durchgeführt. Das sind jetzt schon deutlich mehr Fälle als in den Vorjahren mit rund 90 Abklärungen im gesamten Jahr», sagt Finma-Sprecher Tobias Lux.
Ein Treiber kommt aus dem Ausland. «Aufsichtsbehörden arbeiten verstärkt international zusammen. Es kommen daher mehr Meldungen von ausländischen Behörden», sagt Lux. Zudem geben laut Finma auch hiesige Effektenhändler vermehrt Hinweise auf mögliche Insidergeschäfte, wozu sie auch verpflichtet sind.
Die Finma geht den Hinweisen unter Leitung von Mark Branson aufsichtsrechtlich nach. Gibt es Anzeichen für strafrechtlich relevantes Verhalten, wird dies bei den Strafverfolgungsbehörden angezeigt.
Die Bundesanwaltschaft (BA) ist seit dem 1. Mai 2013 für die Strafverfolgung im Bereich der Börsendelikte zuständig und hat mit Hausdurchsuchungen und Zugriffen auf Handys und Computer noch wirksamere Instrumente. Offenbar kommen diese derzeit häufig zum Einsatz. «Zurzeit sind in diesem Deliktsbereich bei der BA rund 20 Strafverfahren hängig», heisst es bei der Behörde auf Anfrage. Seit dem 1. Mai 2013 gab es 13 rechtskräftige Verurteilungen.
In Zukunft mehr Verurteilungen denkbar
«Das neue Insiderrecht wurde 2013 in Kraft gesetzt und greift früher. Man muss, um sanktioniert zu werden, nicht einmal die Absicht haben, einen Gewinn zu erzielen», sagt Theodor Härtsch, Partner bei der Anwaltskanzlei Walder Wyss. Laut Härtsch ist die BA dabei, die unklare rechtliche Regelung mit Referenzurteilen zu schärfen. Er geht davon aus, dass es in Zukunft zu mehr Verurteilungen kommt. «Bis vor einigen Jahren hat man Insidergeschäfte nicht wirklich systematisch geahndet. Die Gesetze waren zahnlos. Das hat sich nun deutlich geändert», sagt er.
Es wäre sogar denkbar, dass in Zukunft Unternehmen für das Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter zur Rechenschaft gezogen werden. Laut Härtsch wären sie subsidiär strafrechtlich verantwortlich, falls keine natürliche Person als Täter ermittelt werden kann. Laut dem Experten hätte die Bundesanwaltschaft hier gerne einen «leading case».
Um das zu vermeiden, müssen Unternehmen Vertraulichkeitsbereiche abgrenzen und klar vorschreiben, wie mit kursrelevanten Informationen umzugehen ist. Betroffen sind nicht nur Verwaltungsrat und Geschäftsleitung, sondern je nach Branche auch Mitarbeiter in der Forschungs-und-Entwicklungs-Abteilung. So müssen etwa bei einem Durchbruch in der Entwicklung von Medikamenten Geheimhaltungserklärungen unterzeichnet werden. «Unternehmen müssen aktiver sein, und der Dokumentationsaufwand ist sicher gestiegen.»