Wohnungsbesichtigungen sind oft geräuschvolle Events. Mehrere Menschen drängen sich auf der Fläche, ein sonnig gestimmter Makler weist wortstark auf alle Vorteile des Objekts hin und durch die zum Treppenhaus offene Türe kündigen sich mit Fussgetrampel schon die nächsten Interessenten an.
Wenn Sam eine Wohnung zeigt, geht das sehr viel leiser ab. Händeschütteln ist nicht angesagt, nicht mal ein Covid-19-Ellenbogengruss. Sam ist eben kein humaner Makler auf zwei Beinen. Sondern ein Besichtigungsroboter.
Auf nur einem Bein, dafür mit Rad bestückt, mit Super-Zoom und Weitwinkel-Blick unterwegs, 1,60 Meter gross, sechs Kilogramm schwer, bezüglich Fahrstil der Gattung der Segways zuzuordnen.
Sam, der Besichtigungsroboter, ist eine Schweizer Erfindung. Stolz zeigt ihn Alexandros Tyropolis, 28, Chef des Zürcher Proptechs Coding Mind in seinem Zürcher Büro her. 45 dieser ferngesteuerten Immo-Bilder-Butler gibt es bereits, die aktuelle Variante beruht auf einem Grundmodell der kalifornischen Firma Double Robotics, die Schweizer setzen dabei ihre eigene Software drauf.
Der Makler am Joystick
Das Meccano: Immobilienfirmen, die über einen Sam verfügen, lassen diesen auf Kundenwunsch ferngesteuert durch ein freies Objekt schnurren. Ohne dass ein Mensch dabei ist. Dies nach zwei verschiedenen Modi.
Entweder bucht der Interessent einen Termin und kann Sam dann zu jeder Tages- und Nachtzeit via PC, Tablet oder Smartphone selber steuern und so die Wohnung aus allen Blickwinkeln besichtigen. Dazu kann man bis zu vier weitere Gäste einladen, die über ihre Geräte Einblick erhalten ins Objekt. Zweite Variante: Der Makler sitzt am Joystick und steuert Sam für seinen Kunden.
Der Roboter lässt sich dabei kinderleicht bedienen. Wer auf der Plattform ist und Einblick in die Wohnung hat, klickt mit dem Cursor an den Ort, wo Sam hinrollen soll. Und schon surrt der treue Immo-Diener los und sendet Live-Bilder. «Jede Oma soll Sam fahren können», sagt Tyropolis. Vorsichtigerweise surrt Sam nicht mit Topspeed durch Wohnungen: «Eigentlich hat er 15 Stundenkilometer drauf. Aber wir deckeln ihn bei 6.»
Zum weiteren Fahrverhalten kann Tyropolis so viel sagen: Sam erkenne Hindernisse, fahre auf einen Klick selber zur Ladestation zurück und baue keine Unfälle: «Eckige Schwellen mag er nicht, abgerundete Schwellen passiert er lässig.» Man rate Immobilienbesitzern aber, wertvolle chinesische Vasen wegzuräumen.
Keine Konkurrenz für Makler
Wenn ein ferngesteuertes Auge auf Rädern die Wohnungsbesichtigung vornimmt, kann das für dezidiert disruptiv gestimmte Menschen nur einen Business-Zweck haben: «Cut out the Middleman», mittels Robo-Einsatz den Makler aus dem Spiel zu nehmen.
Was so nicht zutreffe, sagt Tyropolis: «Mit dem Besichtigungsroboter konkurrenzieren wir nicht den Makler, ganz im Gegenteil: Sam verlängert seinen Arm und vergrössern den Einflussbereich.»
Mit dem Einsatz von Sam könnten sich Makler zeitaufreibende Fahrten von einer Immobilie zur anderen einsparen, sagt Sams geistiger Vater, wobei auch Mischformen üblich seien: «So können beispielsweise die ersten zehn Besichtigungen remote durch Sam erfolgen. Danach ist es nicht untypisch, mit den allerletzten Interessenten auf eine persönliche Tour zu gehen.»
Tyropolis’ Roboter-Büechli-Rechnung für Sam, der 9990 Franken kostet: «Grob gesagt muss ein Makler im konventionellen Modell in der Schweiz mit Hinreise, Präsentation und Rückreise mit Vollkosten von 120 Franken pro Besichtigung rechnen.» Was bedeute: «Ab 85 Besichtigungen hat sich Sam schon amortisiert.» Alternativ kann der surrende Diener auch gemietet werden.
Eines kann Sam trotz seinen vielen Eigenschaften nicht: Treppen steigen. Aber auch dafür hat Tyropolis eine Lösung: ein Programm namens Remotely360°, das Wohnungen und Häuser komplett digitalisiert und danach, ähnlich einem Zoom-Call, ortsunabhängige Besichtigungen ermöglicht.
Auf flachem Terrain aber behält Sam seine stupende Raumhoheit. Ideen, wie man ihn noch smarter machen könnte, hat Tyropolis: «Schön wäre es, wenn Sam QR-Codes in der Wohnung erkennen und so beispielsweise gleich Möbel oder passende virtuelle Küchenmodelle einblenden könnte. Mit Augmented Reality wird hier noch vieles möglich sein.»