Was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte?
Jacques Stauffer: Der Handelskrieg zwischen den USA und China ist das vorherrschende Thema. Gewisse Stimmen stellen den Vorteil der USA nun in Frage, und langfristige Schäden für die amerikanische Wirtschaft sind unvermeidlich. Zudem sieht Präsident Trump in der Zinspolitik der EZB eine Bevorteilung europäischer Unternehmen, wobei seine Rhetorik dem üblichen Muster «die Welt gegen die USA» folgt. Die ultralockere Geldpolitik befeuert die Aktienmärkte nach wie vor. Wie lange noch? Solange, bis kein geldpolitischer Spielraum mehr existiert – und das in einer konjunkturellen Verlangsamung, nicht in einer Rezession. Welche Massnahmen in einer Rezession zum Tragen kommen sollen, ist unklar.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Die Schweizer Börse ist überhitzt, und der Leitindex SMI hat erstmals die Marke von 10'000 Punkten überschritten. Diese Entwicklung ist nicht nachhaltig. Ausserdem ist das Problem der Börsenäquivalenz mit der Europäischen Union – und die Risiken einer Eskalation – in den jetzigen Kursen nicht berücksichtigt.
Wo steht der SMI in 12 Monaten?
Das Rückschlagpotenzial ist erheblich. Der SMI wird in zwölf Monaten unter dem heutigen Niveau notieren. Das Szenario einer Börsenkorrektur bis in die Nähe von 9000 Punkten und einer anschliessenden Erholung auf 9500 Punkte bleibt bestehen.
Facebook lanciert eine eigene Währung. Gewinnt das Soziale Netzwerk durch dieses Projekt für Anleger an Attraktivität?
Facebook würde mit der Lancierung der digitalen Währung Libra ein zusätzliches und sehr hohes Reputationsrisiko eingehen. Damit dieses Abenteuer gut gehen könnte, müsste sich Facebook einem rigorosen Facelifting unterziehen. Bis es soweit ist, muss Facebook noch einiges in Sachen Datenschutz und Persönlichkeitsschutz unternehmen.
Bitcoin ist wieder mehr als 9000 Dollar wert – wird sich der Höhenflug der Kryptowährung fortsetzen?
Kryptowährungen bleiben eine äusserst spekulative Anlage, und die Beurteilung ihres Werts scheint willkürlich zu erfolgen. Die inflationäre Entwicklung der Anzahl wohlklingender Kryptowährungsnamen ist ein Zeichen dieser Willkür. Doch die Hoffnung auf eine neue Welle der Übertreibung weit über das ehemalige Höchst hinaus scheint das Publikum zu Käufen der wichtigsten Kryptowährungen zu animieren. Für uns sind Kryptowährungen kein Investitionsthema. Die Blockchain-Technologie ist jedoch eine grosse Errungenschaft. Auf der Blockchain basierende Applikationen und Geschäftsmodelle haben viel Potenzial und werden künftig in verschiedensten Bereichen unser Alltagsleben beeinflussen.
Die US-Notenbank Fed hat am Mittwoch ihre Zinssitzung abgehalten. Erwarten Sie Zinssenkungen in den USA in diesem Jahr?
Der Handelskrieg zwischen den grössten Wirtschaftsblöcken wird mit allen Mitteln geführt. Die Notenbanken und ihre Zinsentscheide sind ins Visier der Politik geraten, US-Notenbankchef Powell wird von der US-Regierung weiter in Bedrängnis gebracht, die Unabhängigkeit der Zentralbanken scheint ein Konzept der Vergangenheit zu sein. All das verheisst auf lange Sicht nichts Gutes. Mittelfristig sind erneute Zinsschritte nach unten durchaus realistisch. Die an dieser Stelle bereits mehrfach erwähnte Inflation der Vermögenswerte – asset price inflation – ginge somit weiter.
Eine neue Studie des Beratungsunternehmens Bain stellt ein weiteres Wachstum des globalen Luxusgütermarkts in Aussicht. Werden Schweizer Uhrenhersteller wie die Swatch Gruppe oder Richemont von der Lust auf Luxus profitieren?
Ja. Schweizer Unternehmen der Luxusgüterindustrie sind im globalen Markt ausgezeichnet positioniert und ihre Titel zurzeit alles andere als überbewertet. Tritt das in Aussicht gestellte Wachstum ein, sind Swatch und Richemont ein vorbehaltloser Kauf.