In den Führungsetagen vieler Schweizer Firmen ist die Stimmung so ausgelassen wie lange nicht. Das liegt nicht am sonnigen Badewetter, sondern an der rasanten Talfahrt des Frankens. Dieser markierte in den vergangenen Tagen ein Tief nach dem anderen und war zum Euro so günstig, wie zuletzt vor zweieinhalb Jahren, als die Schweizerische Nationalbank (SNB) überraschend den Euro-Mindestkurs von 1,20 Franken aufgegeben hatte. «Das sind sehr gute Nachrichten - für uns und für alle Exporteure», sagt Michael Merkle, Chef des Schweizer Schleifmaschinenherstellers Agathon.
Denn die lange Zeit unter dem starken Franken leidenden Unternehmen verdienen damit beim Verkauf ihrer Produkte im Ausland wieder deutlich mehr. Merkles Freude könnte von Dauer sein - denn nach Einschätzung von Experten dürfte sich der Franken weiter abschwächen. Bei Eurokursen von aktuell rund 1,15 Franken rückt sogar die psychologisch wichtige Marke von 1,20 Franken wieder in Sichtweite. «Das ist keine Utopie mehr», erklären die Analysten der Regionalbank Valiant.
Auch der Notenbank selbst kommt der Abwärtstrend entgegen: Sie versucht die aus ihrer Sicht überbewertete Währung seit langem mit Negativzinsen und Marktinterventionen zu schwächen. Doch kaum machte an den Kapitalmärkten die wiederkehrende Angst vor einem Auseinanderfallen der Euro-Zone die Runde, flohen Investoren in Scharen in die als sicherer Hafen geltende Schweiz und der Franken gewann erneut an Wert. Nun erhält die SNB Rückenwind vom Markt. Auch zum Dollar hat der Franken zuletzt an Wert verloren.
Euro im Plus dank nachlassender politischer Risiken
Den Wertverlust des Frankens führen Analysten auf eine ganze Reihe von Faktoren zurück: Der Euro hat seit Jahresbeginn unter dem Strich deutlich an Wert gewonnen - wegen der nachlassenden politischen Risiken nach wichtigen Wahlen wie etwa in Frankreich, der besseren Konjunktur, guten Firmenergebnissen und dem sich abzeichnenden Ende der lockeren Geldpolitik in der Euro-Zone, wie Mirabaud-Experte Valentin Bissat erklärt.
Zudem seien sichere Anlagen derzeit weniger gefragt, sagt Commerzbank-Devisenstratege Ulrich Leuchtmann. «Die Leute reden nicht mehr vom Auseinanderfallen des Euro, also gibt es keine Nachfrage nach dem sicheren Hafen Franken.» Grund für den schwachen Franken ist auch die weiterhin expansive Geldpolitik der SNB, sagt Peter Rosenstreich von Swissquote. «Das bedeutet, dass sich Investoren vom Franken abwenden und dorthin gehen, wo sie höhere Renditen bekommen, sei es im Euro oder anderswo.»
Die SNB selbst dürfte nicht hinter dem schwachen Franken stecken, wie jüngst veröffentlichte Daten zeigen, die Rückschlüsse auf die Marktinterventionen der Notenbank zulassen. An der Bereitschaft zu diesen Eingriffen und den Negativzinsen von minus 0,75 Prozent dürften die Währungshüter nach Einschätzung von Experten jedoch vorerst festhalten - trotz des schwachen Frankens. Eine SNB-Sprecherin wollte sich dazu nicht äußern.
Ist der Weg zur 1,20-Mark frei?
Verstärkt hat den Abwärtstrend der maschinengesteuerte Devisenhandel. Dieser laufe nicht mehr wie vor zehn oder 20 Jahren zwischen den Banken, sondern über hunderte Plattformen, sagt Jürg Mettler, Devisenexperte bei der Privatbank Julius Bär. Sobald sich eine Richtungsänderung abzeichne, springen alle darauf auf und ein sich selbst verstärkender Trend entstehe - so wie sich aus zunächst einigen wenigen Schneekristallen eine wuchtige Lawine bilden könne, die dann ins Tal donnere. Allerdings: «Bei einer richtigen Lawine kann man ausrechnen, wo sie zum Stillstand kommt. Doch hier gibt es keine relevanten Anhaltspunkte», sagt Mettler.
Um den finalen Punkt der «Franken-Lawine» vorauszusagen, bemühen Experten mitunter die Charttechnik: Dabei suchen sie anhand der vergangenen Kursentwicklung nach Marken, an denen Anleger ihre Strategie ändern und kaufen oder verkaufen. «Beim Eurofranken ist 1,20 die Marke schlechthin», sagt Hans-Peter Reichhuber, Analyst bei der BayernLB. Bis zum Erreichen dieser Marke seien aus charttechnischer Sicht keine Widerstände auszumachen, die den Abwärtstrend des Frankens stoppen könnten.
Grund dafür ist die plötzliche Aufgabe des Euro-Mindestkurses im Januar 2015. Damals gewann der Franken sprunghaft an Wert. Innerhalb kürzester Zeit kostete ein Euro weniger als 90 Rappen und nicht wie kurz zuvor noch 1,20 Franken. Inzwischen gehen einige Experten davon aus, dass der Euro auf diese Marke wieder steigen könnte. Wann es jedoch so weit sein wird, darüber wollen sie lieber nicht spekulieren.
(reuters/ccr)
Alles Wichtige zur neuen 20-Franken-Note: