Der Hype um künstliche Intelligenz (KI) schlägt in den USA plötzlich in Panik um: Die Aktien der vermeintlich unerschütterlichen Tech-Giganten aus dem Silicon Valley rauschten am Montag ab, der Tech-lastige Nasdaq verlor über 3 Prozent. Die Auswirkungen des Börsenbebens waren gewaltig: Am Abend waren die Tech-Riesen über 1 Billion Dollar weniger wert. Mit einem Minus von 17 Prozent büsste Nvidia allein 600 Milliarden Dollar an Börsenwert ein – und sorgte damit für den grössten Einzelverlust aller Zeiten. «In einem Umfeld, in dem die Bewertungen ohnehin hoch sind, reicht oft ein Funken Unsicherheit, um stärkere Kursbewegungen wie diese auszulösen», sagt Roman Przibylla (40), Anlageexperte bei Maverix Securities.

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Gewisse Marktbeobachter malen bereits den Teufel an die Wand, erwarten das Platzen der KI-Blase. Wie realistisch ist das? Und welche Auswirkungen sind durch die Kursstürze der Tech-Riesen auf die Schweizer Börse zu erwarten? Die «Handelszeitung» beantwortet die dringlichsten Fragen – und ordnet ein.

Warum haben die Tech-Aktien in den USA am Montag so stark verloren?

Die Aktien der US-Tech-Riesen auf Talfahrt geschickt hat die Erkenntnis, dass KI-Software möglicherweise mit viel weniger Rechenleistung trainiert werden kann als bisher angenommen. Darum hat auch der Nvidia-Titel besonders stark verloren, schliesslich beliefert das Imperium von CEO Jensen Huang (61) die KI-Branche mit seinen leistungsstarken Chips. Nun aber soll das chinesische Startup Deepseek sein neues KI-Modell mit abgespeckten Nvidia-Chipsystemen aufgebaut haben. Die ausgewiesenen Kosten: 5,6 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Die führenden US-Firmen wie Open AI, Meta oder Microsoft haben für ihre KI-Lösungen zwischen 100 Millionen und 1 Milliarde Dollar ausgegeben.

Die neue Konkurrenz aus China verdeutlicht eine grundlegende Marktdynamik, die nun die KI-Branche erreicht hat: «Hohe Gewinne ziehen Wettbewerber an und treiben Innovationen voran. Doch genau diese Innovationen können die Gewinne der etablierten Marktteilnehmer schmälern oder sogar zum Verschwinden bringen», führt Johannes von Mandach (30), Ökonom bei Wellershoff & Partners, in einer Einschätzung vom Dienstag aus. Sprich: Bei den US-Finanzmärkten ist nun angekommen, dass KI nicht zwangsläufig zu dauerhaft höheren Gewinnen der Tech-Firmen – und auch des Gesamtmarkts – führen muss.

Welche Rolle spielt Donald Trump?

Kurz nach seinem Amtsantritt hat US-Präsident Donald Trump (78) ein gigantisches KI-Infrastrukturprojekt angekündigt. «Mindestens 500 Milliarden Dollar» will er dafür in den nächsten Jahren investieren. Gleichzeitig bestehen schon länger US-Ausfuhrbeschränkungen für KI-Konkurrent China. Nvidia darf in die Volksrepublik nur Computerchips verkaufen, die weniger leistungsstark sind. Das Beispiel Deepseek zeigt nun, dass diese Strategie der US-Regierung nicht greift. Trump könnte nun mit weiteren Exportverboten reagieren, was jedoch auch die Situation für die US-Unternehmen in der KI-Lieferkette noch verschlimmern würde.

Den Deepseek-Schock bezeichnete Trump am Montag bei einem Treffen vor republikanischen Kongressabgeordneten in Miami als «Weckruf für unsere Industrien, dass wir im Wettbewerb hoch konzentriert sein müssen, um zu gewinnen». Das Börsenbeben könne aber auch positive Auswirkungen auf das Silicon Valley haben, da es gezwungen sei, mit weniger hohen Ausgaben zu Innovationen zu kommen, so der US-Präsident.

Wie wirkt sich das US-Börsenbeben auf den Schweizer SMI aus?

Während die Kursstürze der US-Tech-Giganten auch die Börsen in Asien und jene unseres Nachbarn Deutschland durchgeschüttelt haben, geben sich die Anlegenden in Schweizer Aktien ziemlich gelassen. Der hiesige Leitindex schloss am Montag 1,5 Prozent im Plus. Und in den Dienstag startete er ebenfalls mit Zugewinnen – bis zum Mittag hatte der SMI um rund 1 Prozent zugelegt, wodurch er den höchsten Stand seit drei Jahren erreicht hat.

Im Moment zeige es sich als klarer Vorteil, dass im Index der zwanzig grössten börsennotierten Unternehmen wenig Tech-Aktien zu finden seien, urteilt Anlageexperte Przibylla. «Der SMI spielt in einer solchen Phase seine Stärke als defensiver Index aus. Und solange sich die aktuelle Unsicherheit nicht flächendeckend auf andere Branchen ausweitet, gehe ich auch nicht davon aus, dass dies negative Auswirkungen auf den Schweizer Leitindex haben wird.»

Wie sieht die mittelfristige Entwicklung bei den Tech-Aktien der USA aus?

Die amerikanischen Tech-Riesen stehen vor diesem Schreckensszenario: Nämlich sind nicht die Kosten für KI die grösste Herausforderung des Silicon Valley, sondern die Frage, ob es Google, Microsoft und Co. gelingt, die revolutionäre Technologie grossflächig zu implementieren. Sollten sie daran scheitern, droht ihnen, dass sich die Kurseinbrüche zu einem Kollaps ausweiten.

Nur: Experte Przibylla hält dieses Szenario für wenig wahrscheinlich: «Mittelfristig sehe ich weiterhin Potenzial für die führenden US-Tech-Aktien, weil sie in Bezug auf Innovation, Skaleneffekte und Marktdominanz gut aufgestellt sind.» Es werde entscheidend sein, wie sie auf die aufkommende Konkurrenz – insbesondere aus China – reagieren würden. «Investitionen in Forschung und Entwicklung, strategische Partnerschaften und eine konsequente Skalierung ihrer KI-Lösungen werden wesentliche Treiber sein, um langfristig Wettbewerbsvorteile zu sichern.»

Die teils hysterische Reaktion der Anlegerschaft auf den KI-Schreck Deepseek verdeutlicht, wie volatil die Aktien des Tech-Sektors sind. Schliesslich werden ihre Börsenwerte durch die hohen Erwartungen genährt, die die Investoren in die Unternehmen setzen. «Diese Schwankungen muss man als Anleger auch aushalten können. Es lohnt sich, das Marktumfeld nicht nur durch die Brille einzelner Ereignisse zu betrachten», so Przibylla. Die derzeitige Kurskorrektur biete die Gelegenheit, günstiger einzusteigen oder Positionen aufzustocken – sofern man von der langfristigen Wachstumsstory überzeugt sei.