Herr Michel, Ypsomed will sich vom Geschäftsbereich Pen-Nadeln und Blutzuckermessgeräten trennen und den Fokus am Standort Solothurn auf die Produktion von Autoinjektoren legen. Zudem gründet Ypsomed eine neue Diabetes-Care-Gesellschaft innerhalb der Ypsomed Holding und prüft strategische Optionen für diesen Bereich. Was ist das langfristige Ziel?
Simon Michel: Wir haben zwei Geschäftsfelder: Ypsomed Delivery Systems und Ypsomed Diabetes Care. Dabei handelt es sich beim ersteren um ein Business-to-Business-Geschäft, bei dem unsere Kunden Pharmaunternehmen sind. Dank des hohen Volumens ergeben sich hier Skaleneffekte. Im Diabetes-Care-Geschäft beliefern wir Endanwender, die Insulinpumpen nutzen.
Das erklärt jedoch noch nicht den Schritt, den Ypsomed jetzt unternimmt.
Vor drei Jahren haben wir begonnen, die beiden Geschäftsbereiche stärker voneinander zu trennen. Die Organisation wurde angepasst und die meisten Mitarbeitenden wurden einem der beiden Geschäftsfelder zugeordnet. Bis 2022 hatten wir mit DiaExpert noch ein Handelsgeschäft in Deutschland. Das Geschäft mit einem Umsatz von rund 80 Millionen Franken haben wir zum richtigen Zeitpunkt verkauft. Wir glauben nicht mehr an den Zwischenhandel. Gleichzeitig stehen wir kurz vor dem Abschluss des Deals mit dem italienischen Unternehmen Medical Technology and Devices für den Geschäftsbereich Pen-Nadeln und Blutzuckermessgeräte. Wir bereinigen den Diabetes-Care-Bereich und konzentrieren uns dort vollständig auf das Insulinpumpen-Geschäft. Das ist die Hauptidee dahinter.
Erwartet man dadurch mehr Erfolg?
Beide Geschäftsbereiche können allein betrachtet erfolgreicher sein. Ypsomed Delivery Systems bietet mit seinem B2B-Geschäft hohe Margen, wenig Wettbewerb und enormes Wachstumspotenzial. Hier wollen wir fokussieren.
Simon Michel ist im Vorstand des Kantonal Bernischen Handels- und Industrievereins und der Solothurner Handelskammer sowie seit 2015 Vorstandsmitglied von Swiss Medtech. Seit 2017 ist er Verwaltungsratspräsident der DCB Research AG, die in enger Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik UDEM der Insel Gruppe in der Schweiz neue Therapieansätze zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Diabetes erforscht. Seit 2021 ist er auch Verwaltungsratspräsident der Ahueni AG, die sich in der Entwicklung und im Handel mit CO2-Zertifikaten in Afrika engagiert. Im März 2017 wurde Simon Michel als Mitglied der FDP in den Kantonsrat des Kantons Solothurn gewählt und im Herbst 2023 in den Schweizer Nationalrat.
Analysten sehen den Verkauf des Diabetes-Care-Geschäfts als gute Option, da es sich nach der Vertragskündigung mit dem US-Partner Eli Lilly als verlustbringend und risikoreich erwiesen hat. Was erwidern Sie darauf?
Wir haben vor rund 15 Jahren entschieden, zurück ins Pumpengeschäft zu gehen. Mit dem Omnipod, einem Handelsprodukt, haben wir die Infrastruktur mit den Vertriebsgesellschaften ausgebaut, und mit der Einführung der eigenen YpsoPump vor gut fünf Jahren haben wir uns im Markt wieder einen Namen gemacht. Wir stehen jetzt vor der Gewinnschwelle, müssen aber auch den US-Markteintritt planen. Ein solcher Schritt ist sehr teuer. Ohne ein Partner wie Eli Lilly vielleicht gar zu teuer. Die Nachricht, dass wir für das Diabetes Care Geschäft strategische Optionen prüfen, kam also gut im Markt an.
Warum hat es so lange gedauert?
Historisch gesehen hat mein Vater das Pumpengeschäft entwickelt. Er ist der Erfinder. Es ist daher auch eine emotionale Angelegenheit. Ich habe einige Jahre gebraucht, um ihn davon zu überzeugen, dass Ypsomed weiter fokussieren muss und das Diabetes Care Geschäft unabhängig besser aufgestellt wäre. Wir werden definitiv einen Käufer finden. Neben Strategen wird auch mein Vater mitbieten. Das Pumpengeschäft hat bisher in den fünf Jahren, in denen wir es betreiben, Verluste verzeichnet, was normal ist. Es braucht Zeit, um genügend Kunden zu gewinnen, um profitabel zu sein. Bei uns ist diese Schwelle mit 50'000 Patienten nun erreicht. Wir werden wie geplant im Frühjahr 2025 profitabel und positiv bilanzieren.
Wir befinden uns am Firmenstandort Solothurn. Wie wichtig ist die Schweiz als Produktionsstandort für Ypsomed?
Die Schweiz wird in Zukunft als Produktionsstandort global gesehen etwas weniger wichtig sein. Wenn wir voll ausgelastet sind, produzieren wir in Solothurn und Burgdorf zusammen rund 250 Millionen Geräte. Aber bis 2030 werden wir in der Gruppe weit über 1 Milliarde Geräte herstellen. Wir werden doppelt bis dreimal so viele Pens und Autoinjektoren in Schwerin in Norddeutschland, 200 Millionen in Amerika und 150 Millionen in China herstellen. Der Standort in der Schweiz ist aber dennoch wichtig. Wir benötigen hier einen Standort, da die Entwicklung die Nähe zur Produktion erfordert.
Warum ist die Schweiz für produzierende Unternehmen unattraktiv geworden?
Die modernen Fabriken, die wir bauen, sind vollautomatisiert und ebenerdig, ohne Vertikalverschiebungen. Meine Vision ist, dass wir «Dark Factories» haben, in denen die Lichter nur dann angehen, wenn Techniker an Anlagen Wartungsarbeiten durchführen müssen. Dies ist in der Schweiz so nicht realisierbar. Hinzu kommen das Baurecht und die Möglichkeit, dass Bürgerinnen und Bürger Projekte mit Einsprachen verhindern oder verzögern können. Das gibt es so ausserhalb der Schweiz praktisch nirgends. Dennoch betone ich erneut: Es ist wichtig, dass wir eine Produktion in der Nähe haben. Wir werden auch in Zukunft in der Schweiz über 100 neue Stellen pro Jahr schaffen. In Solothurn haben wir in den letzten sieben Jahren 500 Stellen geschaffen. Wir sind neben dem Krankenhaus der wichtigste Arbeitgeber in der Stadt, und das werden wir auch in Zukunft sein.
Für das laufende Geschäftsjahr 2024/25 ist Ypsomed zuversichtlich. Für das fortgeführte Geschäft wird ein Umsatzwachstum von rund 25 Prozent erwartet. Beim EBIT strebt das Unternehmen ohne die Einmaleffekte aus dem Verkauf des Pen-Nadelgeschäfts einen Betriebsgewinn von etwa 140 Millionen Franken an. Wie sieht es nach knapp drei Monaten im neuen Geschäftsjahr aus?
Wir sind auf Kurs.
Wie beabsichtigen Sie, das Wachstum langfristig aufrechtzuerhalten?
Wir werden in den nächsten zehn Jahren ungehindert weiterwachsen. Ungehindert. Vor drei Jahren haben wir eine separate Einheit namens Global Industrialisation gegründet. Diese ist dafür zuständig, Kapazitäten zum richtigen Zeitpunkt bereitzustellen. Wir müssen liefern. Wir haben diese Aufträge bis Ende des Jahrzehnts im Auftragsbuch stehen.
Setzt Ypsomed dabei voll auf Automatisierung?
Es läuft bereits weitgehend autonom. Aber wir haben immer noch Mitarbeitende, die die Anlagen nachfüllen und Störungen manuell beheben müssen. Wir haben auch verschiedene Prozesse wie Spritzguss und Montage. Und obwohl diese beiden Prozesse heute noch nicht verknüpft sind, werden sie es in Zukunft sein. Menschen werden letztendlich noch für Planung, Prozessentwicklung, Inbetriebnahme, Steuerung und Wartung eingesetzt werden. Wir werden dadurch also noch stärker zu einer Wissensfirma, und der durchschnittliche Lohn wird steigen.
Was unterscheidet Ypsomed von der Konkurrenz?
Früher waren wir auf sehr spezialisierte kundenspezifische Produkte ausgerichtet, jetzt haben wir Plattformprodukte. Es ist unseren Anlagen heute relativ egal, ob Kunde A, B oder C beliefert wird. Gleichzeitig haben wir ein breit diversifiziertes Kundenportfolio, daher glauben wir an die gute Planbarkeit unserer Umsätze in den nächsten fünf bis zehn Jahren.
Analysten schätzen die EBIT-Marge der Autoinjektoren durchschnittlich auf 40 Prozent. Ist dies realistisch?
Das Geschäft mit den neuen Therapien gegen Fettleibigkeit - GLP-1 - geht mit grossen Mengen einher. Dadurch können wir nicht mehr die gleichen Preise verlangen wie bei Medikamenten für seltene Krankheiten. Daher sind die Margen automatisch niedriger. Ich gehe davon aus, dass wir im Schnitt auch in zehn Jahren Margen von etwa 35 Prozent erreichen werden. Denn Ypsomed nimmt auch kleine, hochmargige Geschäfte an. Dafür sind unsere Standorte in der Schweiz geeignet. Das ist auch der Grund, warum die Standorte Solothurn und Burgdorf wichtig bleiben. Wir entwickeln hier mehr Spezialvarianten, die möglicherweise anspruchsvoller sind. In Schwerin, in China und den USA produzieren wir nur in Grossserien.
Mit welchen Massnahmen wollen Sie die Margen langfristig hochhalten? Welche Fehler muss Ypsomed vermeiden?
Erstens, rechtzeitige Bereitstellung der Produktionsanlagen. Zweitens, effiziente Inbetriebnahme dieser Anlagen. Wir mindern diese Risiken, indem wir Anlagen noch früher bestellen, strategische Partnerschaften mit Anlagenbauern eingehen und mit mehreren zusammenarbeiten, um verschiedene Optionen zu haben.
Für Schweizer Unternehmen ist die langfristige Stärkung des Frankens ein immerwährendes Thema. Wie geht Ypsomed mit dieser Entwicklung um?
Der 15. Januar 2015 bleibt jedem Schweizer Unternehmer in Erinnerung. Professor Jordan hat damals entschieden, die Bindung aufzulösen. Unsere Reaktion war die natürliche Absicherung. Wir haben damit begonnen, Kosten – also Produktionsinfrastruktur – im Euro-Raum aufzubauen. Für die Schweiz war diese Entwicklung dramatisch. Die Industrie investiert nicht mehr gleich wie früher im Inland. Das Modell, das wir jetzt verfolgen, ist aber für unser Land steuerlich interessant. Der Hauptsitz ist in der Schweiz, während die Fabriken irgendwo auf der Welt sind. Dadurch Gewinne in der Schweiz zu besteuern, ohne die Infrastruktur zu nutzen, ist ein spannendes Modell.
Inwiefern beschäftigt sich Ypsomed mit dem weltweiten Trend zu mehr Zöllen und Reshoring?
Diese Entwicklung steht noch am Anfang. Die WTO ist quasi ausser Kraft gesetzt. Die Schweiz verfügt noch über kein Schiedsgericht mit der Europäischen Union. Wir können also gegen Industriepolitik wenig tun. Daher gehen wir mit der Produktion einfach lokal, und umgehen die Zölle. Dies macht auch in Bezug auf das Klima Sinn. 12 Prozent unserer Scope 3 CO2-Emissionen entstehen durch den Transport. Bis 2040 müssen wir uns der Null annähern.
Wie wichtig ist für Ypsomed das Thema Klima?
Das ist unglaublich wichtig. Die Industrie spielt eine wesentliche Rolle bei der Lösung. Als Unternehmen haben wir uns frühzeitig für Innovationen entschieden. Wir möchten CO2 aus dem System entfernen. Ein Pen besteht derzeit aus bis zu sieben verschiedenen Kunststofftypen und kann daher nicht recycelt werden. Unser Team arbeitet daran, dies auf zwei oder letztendlich sogar einen Kunststofftyp zu reduzieren. Dieser kann dann demontiert werden, um daraus wieder einen Pen herzustellen. Zudem arbeiten wir mit Biopolymeren, die weniger CO2 beinhalten. Allerdings werden Biopolymere aus Mais oder anderen Stärkequellen gewonnen, was wiederum lokal die Nahrungsmittelknappheit befeuern kann. Hier müssen wir sehr vorsichtig sein. Es kann eine vorübergehende Lösung sein, aber letztendlich ist die optimale Lösung, dass der auf der Welt verfügbare Kunststoff mehrfach wiederverwendet wird.
Im letzten Jahr hat Ypsomed einen langfristigen Liefervertrag mit dem dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk abgeschlossen. Inwiefern war dies ein wichtiger Meilenstein für das Unternehmen?
Wir arbeiten bereits mit 27 der Top-30-Pharmaunternehmen zusammen, aber Novo Nordisk hat uns gefehlt. Novo Nordisk verfügt zusätzlich zu Eli Lilly und Sanofi über eine eigene Gerätekompetenz. Die anderen Pharmaunternehmen haben dies nicht, entweder aufgrund ihrer Grösse, ihres Fokus oder aufgrund zu vieler Patente. Tatsächlich ist es schwierig in unseren Markt einzutreten.
Novo Nordisk ist jedoch ein wichtiger Kunde, oder?
Es macht uns unglaublich stolz, diesen wichtigen Kunden gewonnen zu haben. In den nächsten 10 Jahren wird Novo Nordisk etwa ein Drittel des Gesamtvolumens von Ypsomed abnehmen, während es beim Umsatz etwas weniger als ein Viertel sein wird.
Mit einem Anstieg von 35 Prozent seit Jahresbeginn und 211 Prozent in den letzten fünf Jahren gehören die Aktien von Ypsomed sicherlich zu den Stars an der Schweizer Börse. Was denken Sie, wenn Sie auf diese Entwicklung zurückblicken?
Das ist das Ergebnis harter Arbeit und unternehmerischer Risiken. Jetzt können wir ernten, und das macht uns natürlich Freude. Wenn wir uns den Kurs anschauen, würde ich sagen, dass wir ein wichtiges Etappenziel erreicht haben. Ypsomed wird am Ende des Jahrzehnts eine '10-Billion-Dollar-Company' sein. Es ist logisch, dass wir das Pumpengeschäft jetzt verkaufen müssen, um uns zu fokussieren und unser Kerngeschäft weiter auszubauen. In den nächsten Jahren werden wir dies organisch tun und danach beginnen wir uns, anorganisch vertikal zu erweitern.
Für das Jahr 2023/24 wurde eine Dividende von 2 Franken angekündigt. Ypsomed hat von 2004 bis 2023 in 19 von 20 Jahren eine Dividende ausgeschüttet. Was macht Ihre Dividendenpolitik aus?
Ypsomed war nie als Dividendentitel bekannt. Wir sind in einem investitionsintensiven Geschäft tätig. Aber wir haben historisch gesehen rund 35 Prozent des Gewinns ausgeschüttet und haben uns immer an diese Politik gehalten. Wenn die Gewinne absolut gesehen weiter steigen, könnten wir von dieser Politik einmal abweichen und auf eine absolute Erhöhung hinarbeiten. Ein Betrag von 2 Franken entspricht immer noch weniger als einem Prozent. Es gibt interessantere Titel, wenn man in Dividenden investieren möchte.
Dieser Artikel erschien zuerst im Digitalangebot von Cash unter dem Titel: CEO Simon Michel: Ypsomed wird am Ende des Jahrzehnts eine «Ten-Billion-Dollar-Company» sein