Mehr als 120’000 Stellen waren laut Bundesamt für Statistik (BFS) Ende letzten Jahres nicht besetzt – so viele wie seit 2003 nicht mehr. Der Arbeitskräftemangel zieht sich durch viele verschiedene Branchen, vom Tourismus über das Gesundheitswesen bis zum Baugewerbe und in die Informatik. Firmen, die sich mittels eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) um das Wohlergehen ihrer Belegschaft kümmern, steigern im hart umkämpften Arbeitsmarkt ihre Attraktivität für potenzielle neue Mitarbeitende. «Die Swiss Life nimmt in den letzten Jahren ein steigendes Interesse und eine erhöhte Nachfrage nach Dienstleistungen im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement wahr. Im Wettbewerb um gute Mitarbeitende gewinnen Gesundheitsangebote zunehmend an Relevanz», teilt Swiss Life mit. Denn die Unternehmen hätten erkannt, dass sie konkurrenzfähiger sind, wenn sie in die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden investieren. Hochschulabsolventen und -absolventinnen beispielsweise, die sich in diesen Zeiten der Vollbeschäftigung einen Job aussuchen können, fällen am Ende vielleicht wegen der betrieblichen (Neben-)Leistungen und eines guten Rufs oder aufgrund eines Zertifikats in Sachen «Friendly Workspace» die Entscheidung für oder gegen einen Arbeitgebenden.
Absenzen sind ein Kostenfaktor
Können Stellen in einem prosperierenden Unternehmen nicht besetzt werden, steigt häufig die Belastung für die bestehenden Mitarbeitenden. Und ein über einen längeren Zeitraum bestehendes Ungleichgewicht zwischen Belastung und Ressourcen kann sich nach Ansicht der Expertinnen und Experten der Gesundheitsförderung Schweiz negativ auf die Gesundheit auswirken: Aktuell hat der Anteil der Erwerbstätigen, der sich emotional erschöpft fühlt, gemäss dem jährlich erhobenen Jobstress-Index der Gesundheitsförderung erstmals die Marke von 30 Prozent überschritten. Die Folgen sind steigende Absenzen – was ökonomisch gesehen die Kosten für die Arbeitgebenden erhöht und auch für die Versicherer, die beim Krankentaggeld vermehrt zur Kasse gebeten werden. «Jeder Ausfall, den wir gemeinsam vermeiden können, spart Ressourcen und Kosten und stärkt die Unternehmen. Sie haben geringere Absenzkosten und weniger Aufwand für Stellvertretungen und Wissenstransfer,» sagt die Axa Schweiz. Für die Versicherer ist das BGM zudem auch ein probates Mittel zur Kundenpflege, wie Bernd de Wall, Sprecher der Allianz Suisse, einräumt: «Für uns ist das BGM eine ergänzende Dienstleistung für die Unternehmenskunden, die einen positiven Effekt auf die Kundenbeziehung und Zusammenarbeit hat.»
Prävention ist das A und O
Das BGM setzt zunächst bei der Prävention an. «Ziel unseres Betrieblichen Gesundheitsmanagements ist es, durch optimale Rahmenbedingungen im Berufsalltag die Gesundheit der Mitarbeitenden zu fördern, nach Möglichkeit ihre Leistungsfähigkeit zu steigern sowie krankheitsbedingte Absenzen zu verringern», erklärt die Zurich. Mittlerweile bieten alle Schweizer Versicherungsgesellschaften ihren Unternehmenskunden spezifische BGM-Services und -Tools an. Bei den meisten Versicherern sind Erstgespräche mit der Firmenleitung und den Personalverantwortlichen noch kostenneutral. Geht es dann mit einem Coaching der Führungskräfte und Schulungen für die Mitarbeitenden oder mit einer Analyse und einem effizienten Managementsystem der Absenzen tiefer in die Materie, müssen Firmen häufig auch monetär investieren. «Aufgrund der tieferen Schadenbelastung profitieren die Kunden jedoch über die Zeit von tieferen Prämien und gesunden Mitarbeitenden», schreibt die Mobiliar. Ähnlich klingt es bei der Vaudoise: «Ein nachhaltiger positiver Einfluss auf die Schadenbelastung kann berücksichtigt werden, um bei Vertragserneuerung die Prämie zu senken», sagt Isabelle Kunze, Juristin und Leiterin der Abteilung Corporate Health Services.
Bei der Umsetzung der verschiedenen BGM-Massnahmen setzen die Versicherer häufig auf spezialisierte Drittanbieter. Deren Aufwand wird den Firmenkunden belastet, wobei ihnen aber häufig Vorzugskonditionen offeriert werden, wie beispielsweise bei der Helvetia: «Die BGM-Angebote der beigezogenen Netzwerkpartner sind kostenpflichtig. Kundinnen und Kunden einer Helvetia-Geschäftsversicherung profitieren jedoch von speziellen Vorzugskonditionen bei den angeschlossenen Partnerunternehmen.»
Hilfe zur Wiedereingliederung
Trotz aller präventiven Bemühungen lassen sich Absenzen in den Betrieben nicht gänzlich verhindern. Dann kommt das Case- oder das Care-Management ins Spiel, dessen Ziel es ist, erkrankte oder verunfallte Mitarbeitende möglichst schnell und vollumfänglich in den Arbeitsprozess zurückzubegleiten. «Vor allem KMU sind auf den Einsatz jedes und jeder Mitarbeitenden angewiesen. Langzeitausfälle können Service, Produktion und Image massiv beeinträchtigen. Mit einer frühzeitigen Unterstützung, individuell auf die Bedürfnisse abgestimmt, führen wir mit unserem Case-Management Plus die Mitarbeitenden zur vollen Leistung zurück und wirken Ausfällen entgegen», argumentiert die Baloise.
Die Leistungsfähigkeit hat vor allem in und seit der Pandemie gelitten. Gemäss den Ergebnissen der CSS-Gesundheitsstudie 2022 hat sich die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung markant verschlechtert. Gefragt nach den Aspekten des eigenen Lebensstils, die langfristig als belastend für die eigene Gesundheit eingeschätzt werden, gaben die Befragten am häufigsten (35 Prozent) den Faktor «Beruflicher Stress» an. Und rund 60 Prozent der 18- bis 40-Jährigen nehmen ihren Beruf als ungesunden Stressfaktor wahr. «Schon vor Corona hat sich die Nachfrage im Bereich BGM stetig gesteigert, aber die Pandemie hat die Nachfrage stark beeinflusst und weiter nach oben getrieben», schreibt die Groupe Mutuel.
Kleine Gesten, grosse Wirkung
Es sind offenbar vor allem psychische Probleme, die immer häufiger zu Fehlzeiten am Arbeitsplatz führen. So gaben in der CSS-Umfrage ein Viertel aller Befragten an, dass sie schon einmal aufgrund von psychischem Unwohlsein der Arbeit ferngeblieben sind. Für psychische Krisen im Arbeitskontext wird am häufigsten die fehlende Wertschätzung genannt. Ein Umstand, der innerhalb einer Firma leicht beeinflusst werden kann. Durch Schulungen der Führungskräfte und Unternehmensleitung kann eine Sensibilisierung für das Thema herbeigeführt werden – sofern das BGM ernst genommen wird und in der Unternehmensleitung verankert ist. «Zwar ist das Bewusstsein, wie wichtig gesunde und motivierte Mitarbeitende sind, heute deutlich grösser ist als vor zehn Jahren. Jedoch stellen wir auch fest, dass trotz der Wichtigkeit und Awareness bei den Unternehmen oftmals die notwendigen Budgets dafür (noch) nicht vorhanden sind. Das Thema muss aus unserer Sicht strategisch verankert sein», argumentiert die Axa.