Jährlich befragt die Managementberatung Horváth Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder grosser Versicherungsunternehmen zu ihren Geschäftsaussichten und Topherausforderungen. In diesem Jahr äusserten sich die Befragten insbesondere zum Thema Fachkräftemangel und sehen sich in der Verantwortung, diesen mit den geeigneten Mitteln und Massnahmen anzugehen.
Autorin
Dr. Isabella Peres, Senior Project Manager Organization, People and Change, Horváth Schweiz.
Deutliche Unterschiede Deutschland-Schweiz
Die befragten deutschen als auch schweizerischen Vorstandsmitglieder aus der Assekuranz sind sich einig – Fachkräftemangel ist das Thema mit der höchsten strategischen Relevanz. Wie man diese Herausforderung angehen möchte und welche Massnahmen am erfolgversprechendsten scheinen, in dieser Einschätzung unterscheiden sich die Nachbarländer voneinander. So gilt zum Beispiel die digitale Transformation als Prio-drei-Thema (aus einer Liste von dreizehn Themen insgesamt) bei 35 Prozent aller befragten CxOs der Versicherungsbranche in Deutschland gleichzeitig als Massnahme gegen den Fachkräftemangel und soll als solche eingesetzt werden. Die schweizerischen Kolleginnen und Kollegen erachten die Digitalisierung wiederum kaum als wirksames Gegenmittel, da nur 7 Prozent von ihnen angeben, Digitalisierung oder Automatisierung aktiv im «War for talents» einzusetzen. Wenn man beachtet, dass das grösste Potential der Digitalisierung gemäss Studie unter anderem im Kundenservice, Sales/Marketing oder der IT gesehen wird, so sind dies Bereiche innerhalb der Assekuranz, in denen hierzulande entweder kein gravierender Mangel an qualifizierten Mitarbeitenden herrscht oder der Bedarf so gross ist, dass Digitalisierung bestenfalls eine mildernde Wirkung auf den akuten Mangel haben wird («New War for Talents» in der Assekuranz: Der Fachkräftemangel lässt sich nicht einfach aussitzen).
Deutliche Unterschiede in der Einschätzung der deutschen und schweizerischen Entscheidungsträger zeigen sich ebenso in der Wirksamkeit zweier weiterer Massnahmenkomplexe, mit denen die Assekuranz ihrem strategischen Top-eins-Thema begegnen möchte: In der Schweiz setzt man deutlich auf Re- und Upskilling der bestehenden Belegschaft, indem mehr als 50 Prozent der Befragten (im Vergleich zu etwa 20 Prozent in Deutschland) dies als Fokusmassnahme nannten. Erklären könnte man diesen Unterschied mit der unterschiedlichen Bildungslandschaft der beiden Länder und der Schweiz als einem Land, welches seit jeher Lifelong-Learning und berufsbegleitendes Lernen fördert und im Alltag praktiziert. Auch beim Thema Führung sind sich die Schweizer mit einer 50-Prozent-Quote (Deutschland: 40%) einig, einen wichtigen Treiber erkannt zu haben, um für Mitarbeitende attraktiv zu sein, sie zu halten oder für das Unternehmen gewinnen zu können.
Monetäre Anreize kein Mittel der Wahl
Die Industrie hat erkannt, dass monetäre Anreize allein wohl nicht ausreichen, um langfristig die Belegschaft an sich zu binden. Entsprechend geben insgesamt lediglich ein Sechstel der Befragten an, mit dem Gehalt oder Fringe Benefits für sich zu werben. Dies ist umso verständlicher, als dass die Assekuranz gehaltlich im Vergleich zu anderen Branchen bereits auf einem sehr hohen Niveau liegt und der Grenznutzen vermutlich erreicht ist.
Flexible Arbeitsmodelle als Nonplusultra?
Mit Abstand gelten flexible Arbeitsmodelle – darunter zu verstehen sind Teilzeitpensen (auch saisonal), Wahl des Arbeitsortes, Sabbaticals etc. – als die beste Möglichkeit, um sich als Arbeitgeber für die Arbeitnehmerschaft attraktiv zu machen. Mit rund 75 Prozent herrscht hier weitgehend Einigkeit über die Wirksamkeit dieser Massnahme im Kampf um die besten Talente. Genau wie die Arbeit an der Unternehmenskultur und professionelles Employer Branding, auf das rund 50 Prozent der Executives setzen, gehören diese Massnahmen nicht zuletzt aufgrund des beinahe flächendeckenden Einsatzes in der Branche jedoch inzwischen vermutlich eher in die Kategorie „Basisarbeit“, als dass sie heute und künftig ein wirkliches Differenzierungsmerkmal darstellen könnten, um sich von den Mitbewerbern abzuheben.
Neue Ansätze und Möglichkeiten
Dass sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland immer mehr Unternehmensverantwortliche mit der Idee liebäugeln, ihren Suchrayon sogar über die Ländergrenzen hinweg auszuweiten und dezentral, auch im Ausland, zu rekrutieren oder sogar die Arbeit vom Ausland her erledigen zu lassen, zeigt eine Zustimmungsrate von immerhin etwa 30 Prozent. Nicht zuletzt die Erfahrungen in der Pandemie haben gezeigt, dass die räumliche Nähe der Mitarbeitenden zum Headquarter oder zur Niederlassung keine absolute Notwendigkeit mehr darstellen muss und sich so ganz neue oder deutlich mehr Möglichkeiten ergeben, die fehlenden Talente und Mitarbeitenden für das eigene Unternehmen ausserhalb der bisherigen regionalen und nationalen Grenzen ausfindig zu machen.