Mit dem «Tag der Industrieversicherer» haben Sie ein neues Branchenevent ins Leben gerufen. Wie kam es zu der Idee?

Die Industrieversicherung war vor über 20 Jahren mein persönlicher Einstieg in die Assekuranz. Obwohl ich damals dachte, «naja, Versicherung, das mache ich ein paar Jahre, um Geld zu verdienen, dann mache ich was anderes», blieb ich 14 Jahre im Geschäft. Weil ich erkannte, dass es faszinierend ist und gleichzeitig einen wirklich positiven Beitrag zur Welt leistet.

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Als ich zur ZHAW wechselte, musste ich mich erst in das Privatkundengeschäft hineindenken. Nach ein paar Jahren merkte ich, dass man bei uns einen Bachelor in Risk & Insurance oder einen MAS in Insurance Management abschliessen kann, ohne je etwas von Industrieversicherung gehört zu haben. Natürlich hätten wir jetzt einfach eine Vorlesung zum Thema einbauen können. Das schien mir aber zu wenig einprägsam. So wurde die Idee des Tags der Industrieversicherer geboren: Ein Forum, in dem wir die aktuellen Herausforderungen der Branche mit den wichtigsten Playern diskutieren und dazu interessierte Studierende einladen.

Der Gesprächspartner

Lukas Stricker ist Dozent und Studiengangsleiter am Institut für Risk & Insurance der ZHAW School of Management & Law. Davor war er viele Jahre in der Industrieversicherung tätig.

Wie war die Resonanz aus der Versicherungswirtschaft auf diese Idee? Schliesslich buhlen ja viele Events um Referentinnen und Referenten oder Sponsorengelder...

Die sehr positive Resonanz hat selbst mich überrascht. Bei meinen ersten Gesprächen mit den jeweiligen Länderverantwortlichen des Geschäfts war die Frage nach 10 Minuten nur noch: ok – wo und wie? Ich denke, wir haben mit der Idee einen Nerv getroffen. Industrieversicherung ist eines der vielen Beispiele, bei dem die Schweiz als «Hidden Champion» agiert. Es zeigt sich jedoch angesichts des enger werden Arbeitsmarktes: etwas zu «hidden». Wo soll der Nachwuchs in diesem hochspezialisierten Geschäft herkommen, wenn selbst die Studierenden der Branche davon nichts wissen?

Welches Feedback haben Sie von den Teilnehmenden erhalten?

Wir haben das Feedback noch nicht systematisch ausgewertet. Aber eines ist schon klar. Es wird nicht bei diesem einen Tag der Industrieversicherer bleiben. Die unmittelbaren Reaktionen waren so positiv, dass sich erneut nur die Frage stellt: wo und wie? Eine Erkenntnis nehmen wir schon mit. Wir werden bei der nächsten Durchführung den Kreis der angesprochenen Studierenden ausweiten. Denn die Branche braucht helle Köpfe aus den verschiedensten Fachrichtungen. Schliesslich deckt die Industrieversicherung auch Risiken aus allen möglichen Branchen ab.

Ich halte solche Arten von Austausch für immer wichtiger.

Es waren auch einige Studentinnen und Studenten vor Ort. Wie wichtig ist der Austausch zwischen Wirtschaft und Forschung? Sie kommen ja selbst aus der Praxis...

Ich halte solche Arten von Austausch für immer wichtiger. Für beide Seiten. Seit einiger Zeit wird viel von den vermeintlich so unterschiedlichen Bedürfnissen verschiedener Generationen gesprochen. Das klingt dann immer so, als würden völlig fremde Wesen aufeinandertreffen. Dabei geht es doch einfach darum, sich gegenseitig besser kennen zu lernen. Aber zurück zu Ihrer Frage: An der ZHAW funktioniert der Austausch zwischen Wirtschaft und Forschung ausgezeichnet. Mich freut die grosse Bereitschaft von zahlreichen Expertinnen und Führungskräften aus der Versicherung, sich Zeit für Gastreferate und Betreuungen für Masterarbeiten zu nehmen. So bleiben wir als Hochschule am Puls der Branche. Und die Branche am Puls der Forschung, zudem hat sie direkten Zugang zu den kommenden Talenten.

Die Industrieversicherung folgt seit über 100 Jahren der Industrie und ermöglicht ihr Wachstum.

Das Umfeld für Industrieversicherer hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Herausforderungen der Branche?

Die Industrieversicherung folgt seit über 100 Jahren der Industrie und ermöglicht ihr Wachstum. Als kleiner exportorientierter Markt bedeutet das für die Schweiz oft einen Schritt in die weite Welt. Damit wird Geopolitik zu einem wichtigen Faktor. Wo fliessen in Zukunft die Auslandsinvestitionen hin? Werden Produktionsstandorte wieder zurückgeholt? Muss man sich als Schweizer Firma in Zukunft entscheiden, in Amerika oder in China Geschäfte zu machen, weil man aufgrund der steigenden Rivalität nicht mehr in beiden gleichzeitig sein kann? Solche Fragen beschäftigen die Kunden und damit auch die Branche. Ein weiteres Thema ist, was unser Referent «business conduct risk» nannte. Welche Kunden kann ich aus ethischen, Umwelt- und Reputationsgründen versichern? Und unter welchen Bedingungen? Welche Rolle kann die Versicherungsbranche in der anstehenden Transformation hin zu einer nachhaltigeren Welt spielen?

Welche Chancen ergeben sich daraus für die Industrieversicherer? 

Wachsende Risiken bergen für Versicherer bis zu einem bestimmten Punkt immer auch Chancen. Nicht nur in Form steigender Prämien, aber auch mit ihrer Expertise im Risk Management. Wie schütze ich mich als Firma (und als Privatperson) vor den steigenden Naturgefahren? Wie muss ich meine Lieferkette organisieren, dass nicht zu grosse Abhängigkeiten von einem einzigen Ereignis entstehen? Wie reagiere ich bei einem Cyber-Angriff?

Müssen Industrieversicherer in Zeiten der Deglobalisierung künftig kleinere Brötchen backen?

Das Industrieversicherungsgeschäft ist sehr zyklisch. In den letzten Jahren ist es stark gewachsen. Ob man in diesen Zyklen einen übergeordneten Trend sieht, ist deshalb schwierig zu beantworten. Insgesamt erscheinen mir die Wachstumschancen der Branche jedoch intakt, und die Schweiz spielt hier in der internationalen Topliga mit. Sie bietet damit auch interessante Entwicklungsmöglichkeiten für spannende Karrieren.

Nach der Euphorie um KI zeichnet sich eine Phase der Ernüchterung ab.

Was auffällt: Die überall diskutierte Künstliche Intelligenz war am «Tag der Industrieversicherer» weniger ein Themenschwerpunkt...

KI ist unbestritten ein grosses Thema. Nach der Euphorie zeichnet sich jedoch eine Phase der Ernüchterung ab. Es muss sich erst abzeichnen, wo diese ja durchaus nicht neue Technologie dank der höheren Leistungsfähigkeit der unterliegenden Prozessoren neue Anwendungsmöglichkeiten bietet. Dazu werden einige Hausaufgaben in den Versicherungsgesellschaften zu erledigen sein. Schliesslich müssen die KI-Systeme mit relevanten und korrekten Daten gefüttert werden und dies in einer Form, die die Datenschutzrechte der Kunden, Mitarbeitenden und anderen Stakeholdern nicht verletzt. Ausserdem sollten KI-Anwendungen in die bestehenden Applikationen eingebunden werden. Ansonsten entsteht nur die x-te Insellösung, die dann wieder teuer zu unterhalten ist.

Parallel entsteht eine wirklich neue Technologie, nämlich das Quanten-Computing. Hier wollten wir mal einen Blick in die Zukunft wagen. Denn erste Firmen nutzen diese Technologie schon und so wird es bald auch bald für die Versicherer ein Thema werden. Sehr spannend…

Wird es im nächsten Jahr eine weitere Auflage des Events geben? 

Darauf gebe ich gerne schon heute mein Wort!

Die Idee, mit einer KV-Lehre eine ganze Berufskarriere absolvieren zu können, wird immer gewagter.

Anderes Thema: Bei der ZHAW bieten Sie eine breite Palette an Weiterbildungsmöglichkeiten für die Versicherungsindustrie an. Wie gross ist der Bedarf?

Angesichts der zahlreichen Herausforderungen der Versicherungsbranche ist der Bedarf gegeben. In der Schweiz ist der klassische Einstieg in die Assekuranz die KV-Lehre. Sie bietet eine ausgezeichnete Grundlage und einen guten Einstieg. Die Idee jedoch, damit eine ganze Berufskarriere absolvieren zu können, wird immer gewagter. Was wir auch sehen, ist, dass eine Weiterbildung nicht nur die eigene Palette der Kompetenzen, sondern auch das eigene Netzwerk und den eigenen Horizont enorm erweitert. Und wenn wir unsere Alumni verfolgen, ist eine Weiterbildung ganz klar ein Karrierebooster.

Erst kürzlich haben sie den CAS«Leadership & Transformation in Versicherungsunternehmen» gestartet. Wie ist die Resonanz darauf? 

Wir haben gerade erst den CAS mit den Abschlusspräsentationen beendet. Fünf Gruppen haben während der letzten 4 Monate zusammen mit Coaches aus der Versicherungswirtschaft je einen reellen Praxisfall bearbeitet. Das Ergebnis war eindrücklich, wie uns auch die Coaches bestätigt haben. Alle haben sich trotz des erheblichen persönlichen Zeitaufwandes bereit erklärt, auch nächstes Jahr wieder als Coach zur Verfügung zu stehen. Eine sehr positive Resonanz haben wir auch auf die Studienreise nach München erhalten. Der Blick über den Tellerrand der Schweizer Assekuranz war sehr inspirierend – und die Reise hat den Zusammenhalt in der Klasse gefördert. Da sind Freundschaften fürs Leben entstanden!

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Die Assekuranz steckt mitten in der Transformation. Ist das vermittelte Wissen da nicht schnell veraltet? 

Wissen hat tatsächlich eine kürzere Halbwertszeit. Wissen steht aber auch nicht im Zentrum unserer Angebote, denn alle Studierenden bringen schon viel davon mit. Zentral für uns sind Kompetenzen. Neben den klassischen Fachkompetenzen gehören dazu Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz. Konkret: wie gehe ich neue Probleme an? Wie arbeite ich im Team? Wie motiviere ich mich selbst und andere? Wie nutze ich Informationen, zum Beispiel aus KI-Applikationen, gewinnbringend? All dies lernen und üben wir am Beispiel der Versicherung ein. Damit wird es konkret und spannend und die Studierenden können es in ihrem Arbeitsalltag gleich anwenden. Damit wird der Unterricht sehr spannend, wobei wir Dozierende dabei mindestens ebenso viel lernen wie die Studierenden!

Bernd De Wall
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