Der Personalmangel in Deutschland verschärft sich deutlich. Grund dafür: jetzt gehen auch die sogenannten Babyboomer millionenfach in Rente. Fast jeder zweite (42 Prozent) Berufstätige sieht dadurch in seinem Unternehmen bereits Gefahren bzw. große Gefahren. Dennoch bleiben Potenziale auf dem Arbeitsmarkt ungenutzt. So würden vier von zehn (41 Prozent) berufstätigen Eltern gerne mehr arbeiten, wenn die Möglichkeit von längeren Kinderbetreuungszeiten vorhanden wäre.
Jeder Fünfte (20 Prozent) unter berufstätigen Frauen und Männern gibt an, wegen mangelhafter Kinderbetreuungsangebote den Wunsch nach Kindern oder weiteren Kindern zurückgestellt zu haben. Zugleich steigt der Wunsch nach Teilzeit-Arbeit immer weiter, insbesondere bei jüngeren Arbeitnehmern.
Das sind zentrale Ergebnisse der HDI Berufe-Studie 2024, für die rund 4000 Erwerbstätige ab 15 Jahren repräsentativ nach Alter und Geschlecht in allen Bundesländern im Juni und Juli 2024 befragt wurden.
Jens Warkentin, Vorstandsvorsitzender von HDI Deutschland: «Mit dem Ausscheiden der sogenannten Babyboomer bekommt der Fachkräftemangel in Deutschland eine neue Dimension. Gleichzeitig gelingt es nicht, mit bedarfsgerechten Kinderbetreuungsangeboten diejenigen zu unterstützen, die eigentlich gerne mehr arbeiten wollen. Dieses Spannungsfeld stellt die gesamte deutsche Gesellschaft vor große Herausforderungen, deren Lösung existenziell für Deutschland ist.»
Berufstätige Eltern fehlen dem Arbeitsmarkt
Die Hälfte (49 Prozent) aller Berufstätigen mit Kindern unter 18 Jahren hält das Angebot an Kinderbetreuung für unzureichend und fast ebenso viele Befragte (44 Prozent) finden, dass sich ihr Arbeitgeber nicht genug um das Thema kümmert. So würden vier von zehn berufstätigen Eltern «gern mehr Stunden in der Woche arbeiten, wenn die angebotenen Kinderbetreuungszeiten länger wären bzw. dies zulassen würden». Ähnlich gross (43 Prozent) ist der Anteil berufstätiger Eltern, die in ihren Unternehmen «grundsätzlich schlechtere Aufstiegschancen für Beschäftigte mit Kindern» beklagen. Ein weiteres Umfrageergebnis: Jeder Fünfte (20 Prozent) unter berufstätigen Frauen und Männern gibt an, wegen mangelhafter Kinderbetreuungsangebote den Wunsch nach Kindern oder weiteren Kindern zurückgestellt zu haben. Unter den aktuell 30- bis 34-jährigen Erwerbstätigen stellt sogar mehr als jeder Dritte (35 Prozent) seinen Kinderwunsch wegen des mangelhaften Betreuungsangebot zurück.
Caroline Schlienkamp, Personalvorständin der HDI Group und Vorstandsmitglied der Talanx AG: «Mütter und Väter möchten gerne aus der Elternzeit an den Arbeitsplatz zurückkehren. Und auch Eltern von kleinen Kindern möchten Karriere machen. Arbeitgeber können Plätze in betriebseigenen Kitas und über Kooperationen bedarfsgerechte Kinderbetreuungsmöglichkeiten bieten, auch wir tun das. Aber das Thema müssen Bund, Länder und Kommunen weiter forcieren.»
Erstmals strebt die Hälfte aller Vollzeit-Beschäftigten nach Teilzeit
Die für viele berufstätige Eltern unzureichende Situation bei der Kinderbetreuung spielt offenbar auch eine Rolle beim wachsenden Wunsch nach Teilzeit-Angeboten. So ergibt die diesjährige HDI Berufe-Studie nicht nur, dass es 2024 erstmals mehr als die Hälfte aller Vollzeit-Beschäftigten zu Teilzeitangeboten hinzieht. Zudem ist der Teilzeit-Wunsch auch bei den unter 45-Jährigen mit 56 Prozent (Vorjahr 51 Prozent) viel stärker ausgeprägt als bei älteren Beschäftigten (45 Prozent, Vorjahr 47 Prozent). Und das stärkste Interesse an Teilzeitarbeit zeigen dabei die Vollzeitbeschäftigten zwischen 25 und 34 Jahren (57 Prozent).
Personalmangel wird immer grösseres Problem
Über negative Folgen von Personalmangel in ihren Unternehmen berichten inzwischen 63 Prozent (Vorjahr: 59 Prozent) aller Berufstätigen in Deutschland. «Gefahr» oder sogar «grosse Gefahr» sehen 42 Prozent insbesondere durch das zeitgleiche Ausscheiden der sogenannten «Babyboomer» (Ende der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre Geborene). So gibt etwa jeder dritte Arbeitnehmer (35 Prozent) an, dass der Wissenstransfer im Unternehmen beim Ausscheiden der Babyboomer «gar nicht gut» oder «weniger gut» gelingt. Im Bereich Recht und Verwaltung sind es sogar mehr als die Hälfte.
Künstliche Intelligenz (KI) weckt Hoffnungen
Die künftige Bedeutung von Digitalisierung und vor allem Künstlicher Intelligenz (KI) in den Unternehmen wird unter den Berufstätigen differenziert beurteilt. Mit Ausnahme der Bereiche Touristik sowie Hauswirtschaft und Erziehung sehen die Beschäftigten in allen anderen Branchen deutlich häufiger mehr Chancen als Risiken durch den Einsatz von KI in ihren Unternehmen. Insgesamt ist jeder fünfte Berufstätige (19 Prozent) der Meinung, dass sein Unternehmen durch den Einsatz von KI erfolgreicher wird. Allerdings lehnen immerhin 13 Prozent den Einzug von KI grundsätzlich ab. Und jeder vierte Beschäftigte ab 45 Jahren würde eine beruflich angezeigte Einarbeitung in das Themenfeld KI nicht mitmachen wollen (24 Prozent).
In den Stadtstaaten gelingt die Regeneration nach der Arbeit am ehesten
Die HDI Berufe-Studie kann durch die hohe Zahl der Befragten auch repräsentative Ergebnisse in den einzelnen Bundesländern ermitteln und vergleichbar machen. So geben etwa im Bundesdurchschnitt nur 42 Prozent aller Erwerbstätigen an, sich ausreichend von ihrem Beruf regenerieren können.
Auffallend besser ist die Situation aber bei Beschäftigten in den Stadtstaaten. In Hamburg (55 Prozent), Bremen (54 Prozent) und Berlin (51 Prozent) bekundet jeweils eine Mehrheit ausreichende Erholungschancen. Diese Bundesländer erreichen damit auch die drei absoluten Spitzenplätze. Am anderen Ende des Rankings stehen dagegen Thüringen (33 Prozent) sowie Sachsen und Sachsen-Anhalt (jeweils 36 Prozent).
Die HDI Berufe-Studie wird jährlich bundesweit durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov Deutschland. Die verwendeten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage im YouGov Panel, an der 3.748 erwerbstätige Personen zwischen dem 15. Juni und 4. Juli 2024 teilnahmen. Die Daten wurden mit den Quotenmerkmalen Alter und Geschlecht innerhalb der einzelnen Bundesländer erhoben. Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für die erwerbstätige Bevölkerung in jedem einzelnen Bundesland ab 15 Jahren nach Alter und Geschlecht sowie für die erwerbstätige Bevölkerung in Deutschland gesamt ab 15 Jahren nach Alter, Geschlecht und Region. (pd/hzi/hoh)