Als promovierte Biologin und Risikomanagerin ist es Annelis Lüscher Hämmerli gewohnt, strategisch vorwärtszudenken, um langfristig den Wert des Unternehmens zu steigern. Doch mit einem Stresstest wie gleich zu Beginn ihrer Zeit als CFO der Helvetia-Gruppe ab 1. Oktober 2020 hatte sie kaum gerechnet. Erst waren die Folgen der Covid-19-Pandemie aufzuarbeiten – mit hohen Schadensummen aufgrund von Betriebsunterbrüchen. Dann erschwerten volatile Aktienmärkte das Geschäft und 2021 drückten Naturkatastrophen mit schweren Unwettern und Hagel auf die Bilanz. «Meine ersten beiden Jahre als CFO waren sowohl extrem spannend als auch herausfordernd und nicht gerade 0815, was Finanzzahlen und Schäden angeht», analysiert sie rückblickend sachlich nüchtern.
Ameisen-Logik und Schwarmintelligenz
Sie behielt einen kühlen Kopf in unruhigen Zeiten: «Als Risikomanagerin denke ich in Szenarien und bin daher geistig meistens gut vorbereitet, bevor ein Ereignis eintritt.» Und wenn nicht, hilft ihr ein analytisch-scharfer Blick auf komplexe Situationen. Die Biologin blitzt in solchen Sätzen durch: «Grundsätzlich sind Bewegungen von Aktienmärkten nicht anders als Bewegungen von Ameisen, die hin- und herlaufen. Die Methodik der Analyse ist genau die gleiche.»
Über das Tagesgeschäft hinaus ist die 46-Jährige bei der Helvetia-Gruppe auch mit dem Ziel angetreten, die Transformation des Unternehmens mit Blick auf die beschlossene Strategie 20.25 voranzubringen. Wenn man vom Operativen, Kurzfristigen überrollt werde, sei es anspruchsvoll, sich herauszuzoomen und die Weichen für eine längerfristige Entwicklung zu stellen. «Es ist zum Glück trotzdem gelungen – mit einem Team, das sehr veränderungswillig ist und etwas bewegen will.»
Trotz pandemiebedingtem Rückzug der Belegschaft ins Homeoffice erlebte sie, «wie gut wir als Team aufgestellt sind und wie gross die Motivation aller Mitarbeitenden ist, das tägliche Geschäft am Laufen zu halten». Das stärkte ihr Vertrauen in die kollektive Intelligenz im Unternehmen. «Diese zu nutzen, ist mir wichtig», betont Annelis Lüscher Hämmerli. «Gemeinsam können wir am meisten erreichen – viel mehr, als wenn ich als Führungskraft alles top-down bestimme.»
In die Zukunft denken
Transformation vorleben und Leitplanken setzen ist Führungsaufgabe. Angestossen hat Annelis Lüscher Hämmerli in der Helvetia Gruppe zum Beispiel eine neue Art der Zusammenarbeit im Finanzbereich. «Wir tauschen uns jetzt mit den lokalen CFO in der Schweiz und ganz Europa monatlich aus und fragen strukturiert nach ihrer Sicht auf die nächsten Monate und die kommenden Jahre.» Zuvor wurden intern vorwiegend Ergebnisse der Vergangenheit in die Gruppe kommuniziert. «Wir haben also unsere Strategie verändert und denken mehr zukunftsorientiert.»
Was reizte eine Naturwissenschafterin an einer Karriere in der Versicherungswirtschaft? Nach einem Biologiestudium in Bern und der Promotion am Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön war Annelis Lüscher Hämmerli klar, dass sie nicht in der Forschung bleiben wollte. Fasziniert von Finanzplanung im «magischen Dreieck der untereinander konkurrenzierenden Ziele Rentabilität, Sicherheit und Liquidität» absolvierte sie noch einen Master in Finance an der ETH und Universität Zürich und einen Diplomlehrgang als IFRS Accountant. 2004 trat sie dann in die Swiss Life ein, wo sie verschiedene Positionen im Asset- und Risikomanagement übernahm und zuletzt als Chief Risk Officer von Swiss Life Asset Managers arbeitete.
Das Angebot, die CFO-Position bei der Helvetia Gruppe zu übernehmen, kam über einen Headhunter. «Intellektuell fand ich es reizvoll, neue Gebiete kennenzulernen und tiefer in das Finanzmetier zu gehen», begründet sie den Wechsel. Als CFO hat sie jetzt die Chance, längerfristig strategische Impulse zu setzen. Ein Ziel steht bereits fest: «Mir liegt am Herzen, dass wir als Unternehmen langfristig Werte schaffen und nicht nur kurzfristig gute Resultate zeigen.»