Wie viele andere Branchen durchläuft auch die Medizin aktuell eine digitale Transformation. Seit Jahrzehnten kreiert sie gigantische Mengen an Daten, die bis anhin kaum ausgewertet werden. Erstaunlich, denn gemäss einer Untersuchung von PWC kann KI dazu beitragen, Krankheiten früher zu erkennen, Menschen besser zu versorgen und die Gesundheitsausgaben alleine in Europa um einen dreistelligen Millionenbetrag zu senken. 

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Auch in der Schweiz wird das Potenzial, wenn überhaupt, erst zögerlich genutzt. Kaum ein digitales Gesundheitsangebot beinhaltet bis dato künstliche Intelligenz. Denn Fakt ist: ohne Daten keine KI-Anwendungen. Und das Thema Daten ist hierzulande ein heikles. Fehlende nationale Gesetze und grössere Initiativen, um den Datenschatz im Sinne aller Akteure im Gesundheitswesen zu nutzen, fehlen oder werden bewusst verzögert.

KI vor allem als Entlastung im administrativen Bereich

«In der KI steckt ein sehr grosses Potenzial, die medizinische Qualität zu erhöhen und die Effizienz von Abläufen zu optimieren», betont Professor Alfred Angerer, Bereichsleiter Management im Gesundheitswesen an der ZHAW. Wie bei jeder Technologie gebe es auch hier Gefahren. «Aber mir kommt es so vor, als würde man hierzulande aus Bequemlichkeit gerne nur die Gefahren betonen, einfach damit man sich nicht mit dem Thema beschäftigen muss.» Die meisten Akteure, so Angerer, wünschen sich KI nicht für die medizinischen Kerntätigkeiten wie Diagnose oder Therapievorschläge, sondern erhoffen sich vor allem Entlastung in den administrativen Bereichen.

Das gilt auch für den Krankenversicherer Swica. Dieser erprobt derzeit eine KI-gestützte Spracherkennung, die es erlauben soll, automatische Zusammenfassungen von in Mundart geführten Beratungsgesprächen zu erstellen. Zudem nutzt der Scanning-Dienstleister des Krankenversicherers KI für die Bilderkennung. In diesem Bereich und vor allem in der Klassifikation medizinischer Bilddaten haben KI-Anwendungen in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Früherkennung von Brustkrebs, die dank neuronalen Netzen massiv verbessert werden konnte. 

KI könnte Medizin demokratisieren

Tobias Kowatsch, wissenschaftlicher Leiter des CSS Health Lab sowie Professor an der Universität Zürich und Direktor der HSG School of Medicine in St. Gallen, ist aber überzeugt, dass KI künftig auch vermehrt in Bereichen eingesetzt werden wird, in denen andere Datentypen vorherrschen. «So können sich in Audioaufnahmen von Husten oder Sprache relevante Signale zur Erkennung kritischer Gesundheitszustände verbergen.» Deshalb hat die CSS mit der App My Cough von Resmonics dieses Jahr ein Pilotprojekt gestartet, das mithilfe künstlicher Intelligenz den nächtlichen Husten analysiert. Ziel solcher Tools ist es, auch in Regionen ohne Spezialisten die Qualität von Diagnosen zu erhöhen und damit die Medizin ein Stück weit zu demokratisieren. Und natürlich sollen damit auch Hospitalisierungen vermieden werden. 

Einen weiteren Vorteil von KI ortet Tobias Kowatsch auch in der Zusammenarbeit mit medizinischen Experten. «Daraus resultiert zum Beispiel durch medizinische Chatbots oder Sprachassistenten ein skalierbarer Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen auch oder gerade in Regionen mit Fachkräftemangel.»

Potenzial und Nutzung klaffen weit auseinander

Sowohl Tobias Kowatsch als auch Alfred Angerer warnen vor allzu grosser Euphorie und sprechen von Jahren, die es bis zur breiten Anwendbarkeit von KI im Gesundheitswesen noch dauern wird. Den Unterschied zwischen Potenzial und tatsächlicher Nutzung veranschaulicht Alfred Angerer mit dem Beispiel eines KI-affinen Radiologen in einem Schweizer Spital. «Dieser erzählte mir, wie er zu Beginn der Covid-Pandemie schon nach wenigen Wochen eine KI-Applikation trainiert habe, die das Virus anhand von Lungenbildern erkennen konnte. Er meinte jedoch, bis diese Applikation ins Krankenhaus-Informationssystem implementiert werde, werde es noch Jahre dauern …»