Es bleibt spannend, wie die Versicherungsbranche künftig mit künstlicher Intelligenz umgehen wird. Noch ist viel in der Diskussion und tatsächliche Fortschritte lassen sich eher punktuell feststellen. Zu diesem Schluss kamen zumindest die Keynote-Speaker an einer Tagung des Instituts für Versicherungswirtschaft I.VW der Universität St.Gallen zum Thema «Ethical AI in der Assekuranz». Ihr Fazit lässt sich so zusammenfassen:

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 
  • KI-Systeme funktionieren in der Praxis bisher meist nur ergänzend mit bestehenden Strukturen; sie unterstützen vor allem vorhandene Prozesse und Systeme.
  • Das Verständnis über die Nutzung und Vernetzung von Daten ist vielfach noch unklar.
  • Es gibt es oft unterschiedliche Ansichten, welche Daten wie für sinnvolle Ergebnisse gesammelt werden sollen, um daraus einen geschäftlichen Mehrwert zu generieren.
  • Das Verständnis für moderne Datenwissenschaften und KI ist im Vergleich zu menschlicher Expertise, Erfahrung und traditioneller Versicherungsmathematik noch eher rudimentär.

Aus Sicht der Datenexperten ist es jetzt an der Zeit, dass Versicherer konkrete Rahmenbedingungen und Regeln im Umgang mit KI schaffen. Diese müssen den ethischen und moralischen Ansprüchen einer wertebasierten Gesellschaft genügen. Zentraler Punkt: Es gilt, Verzerrungen und Ungerechtigkeiten zu verhindern. Dabei ist es wichtig, das Vertrauen der Menschen nicht zu verlieren, sondern ihre Akzeptenz für Künstliche Intelligenz zu stärken und sie für die Anwendung neuer Technologien zu befähigen. 

«Es ist höchste Zeit, sich als Versicherer von einer defensiven zu einer aktiven wertorientierten Datenstrategie zu entwickeln.»

Matthias Brändle, Head Data Strategy, die Mobiliar

Zum Beispiel konkretisierte Matthias Brändle, Head Data Strategy bei der Mobiliar: «Es ist höchste Zeit, sich als Versicherer von einer defensiven zu einer aktiven wertorientierten Datenstrategie zu entwickeln.» Das Teilen von Daten soll Mehrwerte schaffen - zum Vorteil von Unternehmen und Kunden. Das sei jedoch kein Freibrief, als Unternehmen Daten nach Gutdünken zum eigenen Vorteil auszuschlachten; die Mehrwerte für Kundinnen und Kunden müssten im Zentrum stehen.

Technologieabhängigkeit von den Big Techs

Die Digitalisierung macht es heute möglich, enormen Mehrwert aus gesammelten Daten zu generieren. Globale Tech-Konzerne wie Amazon und Tesla haben dies bereits in ihren Businessmodellen verankert und zeigen auch keine Scheu, mit eigenen Produkten Gewinne im Versicherungsmarkt abzuschöpfen. Aufhalten lasse sich diese Entwicklung nicht, meinte Brändle. Es herrsche längst eine Technologieabhängigkeit von den grossen Big Techs, die eher noch zunehmen werde. Durch ihre Grösse seien diese in der Lage, Unmengen von Daten zu sammeln und sie schliesslich auch zu nutzen. 

Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz sieht Matthias Brändle dennoch nicht als eine Geschichte mit Blockbuster-Strickmuster «Bösewichte gegen Helden». Für ihn stellt sich die Hinwendung zu mehr künstlicher Intelligenz vielmehr als eine ernstzunehmende Chance dar. Diese gelte es, mit menschlicher Intelligenz und fair gegenüber Menschen risikobewusst und wertorientiert zu managen.

KI verbessert Versicherungsprodukte

Schweizer Versicherer reagieren auf diese jüngsten Entwicklungen mit Modernisierung: Statt nur Leistung im Schadenfall zu gewährleisten, setzen sie zusätzlich auf Prävention und Schutz. Servicedienstleistungen erweitern die Angebotspalette über den Versicherungsvertrag mit Mehrwert nur im Schadenfall hinweg. Pay-as-you-Go und dynamischere Produkt- und Preisgestaltungen ermöglichen bessere kontext- und personenbezogene Produkte und Leistungen; dabei kann eine individuelle Risikomessung die statistische Risiko-Modellierung ergänzen. Das Datenuniversum wächst auch dezentral über Netzwerke, Ökosysteme und bei Dritten, wovon Versicherungen und Kunden profitieren könnten, so Brändle.

Bei der Auswertung von Daten interessieren sich Versicherungen zum Beispiel für Ähnlichkeiten unter Kunden und gewinnen so neue Informationen, etwa über mögliche Schadenrisiken oder Affinitäten und Bedürfnisse. Trotz anstehender Informationspflicht sind sich die Kunden dessen nicht unbedingt bewusst und erwarten dies nicht zwingend. Es könne also eine Art «Wissens-Asymmetrie» zwischen Versicherern und ihren Kunden entstehen, so Brändle. Damit solche Informationen weder bewusst noch unabsichtlich entgegen den Kundeninteressen genutzt werden, sei ergänzend zum gesetzlichen Datenschutz das Thema der Daten- und KI-Ethik daher auch für Unternehmen in der Schweiz hochaktuell.