Herr Buholzer, was bedeutet die Ernennung von Benjamin Verlingue zum CEO der Adelaïde-Gruppe und für die strategische Ausrichtung in der Schweiz?
Zuerst einmal sind wir sehr glücklich, dass eine Nachfolge für die Gruppe innerhalb der Familie gefunden werden konnte. Das ist in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich. Es ist eine gewisse Garantie für Kontinuität und Stabilität. Der Strategieplan ist auch ganz klar definiert. Nämlich, dass wir unabhängig und familiengeführt bleiben möchten. Das gibt unserer Belegschaft und mir selber eine entsprechende Sicherheit. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass dieser neue Strategieplan nicht eine Kehrtwende ist von den bisherigen Anstrengungen. Der neue Plan ist eine Fortführung des Strategieplans der letzten vier Jahre. Allerdings mit klaren Aussagen zu unseren Wachstums- oder Innovationsplänen und auch mit neuen vermehrten Aspekten der Nachhaltigkeit.
Können Sie noch etwas konkreter werden, was genau die neue Strategie umfasst, insbesondere für den Schweizer Markt?
Als Gruppe haben wir uns das Ziel gesetzt, unseren Umsatz in den nächsten vier Jahren zu verdoppeln. Wir wollen ein führender europäischer Versicherungsbroker sein, familiengeführt, wie gesagt. Auf die Schweiz bezogen sehen wir drei Prioritäten, wie uns das gelingen soll. Einerseits geht es darum, das organische Wachstum sicherzustellen. Das tun wir, indem wir unseren Vertrieb stärken. Der zweite Pfeiler ist das anorganische Wachstum, bei dem es darum geht, Brokerunternehmungen oder Brokerteams zu übernehmen. Wir müssen aber klar sagen, dass es uns nicht nur darum geht, grösser zu werden, sondern es müssen vor allem der Mindset und die Einstellung dieses Brokers zusammenpassen, damit man eine Win-win-Situation generieren kann. Der dritte Punkt sind erweiterte Dienstleistungen. Für uns ist es wichtig, dass wir uns mehr in Richtung Consulting entwickeln, damit wir unsere Kunden noch stärker im betrieblichen Gesundheitsmanagement oder bei Enterprise-Risk-Management-Fragen begleiten können. Diese Dienstleistung haben wir bereits ausgerollt.
Da haben Sie mächtig viel vor. Eine Verdoppelung ist ein ambitioniertes Ziel.
Sie haben recht. Das ist ambitioniert. Auch in der Schweiz wollen wir einen substanziellen Beitrag dazu leisten. Es ist auch kein Geheimnis, dass es schwer wird, dies zu bewerkstelligen. Wir werden nicht um jeden Preis dazukaufen. Wenn jemand sein Geschäft zum höchsten Preis verkaufen will, dann sind wir vermutlich der falsche Partner. Wir wollen vielmehr Menschen zusammenbringen, die eine gleiche Einstellung, das gleiche Kundenverständnis haben. Unser Target sind mittelständische oder Nischen-Broker.
Sie sind in der Deutschschweiz schon relativ gut präsent. Wie wollen Sie den Markt in der Romandie und im Tessin anpacken?
Die Romandie hat einen grossen Stellenwert. Mit einer französischen Mutter im Rücken würde das schon Synergien bringen, wenn man in der Westschweiz ein Büro hätte. Das Tessin steht dagegen weniger im Fokus. Wir sind im Strategieprozess aber zur Erkenntnis gelangt, dass es auch sinnvoll ist, an angrenzende Regionen zu wachsen, wo wir heute bereits tätig sind. Das ist primär in der Zentralschweiz, in Zürich und im Berner Mittelland. Aber natürlich bleibt es erklärtes Ziel, in der Westschweiz Fuss zu fassen. Wir wollen ein nationaler Player sein und nicht nur ein Deutschschweizer Akteur. Ich bin familiär bedingt sehr oft in der Westschweiz, bin nahezu bilingue und verstehe die Mentalität. Da habe ich gewisse Eintrittsmöglichkeiten in den Markt, die vielleicht andere nicht haben.
Innovation und Digitalisierung sind ebenso Bestandteil Ihrer Strategie. Welche Massnahmen sind hierzu vorgesehen?
Die Tools, die wir einsetzen, sollen unseren Mitarbeitenden unangenehme Arbeiten abnehmen. Wir erhoffen uns davon, dass sie durch die Entlastung mehr Zeit für die wichtigen Kundengespräche aufbringen können. Wir haben bereits einen technischen Workflow eingebunden, der Dokumente einliest und diese im CRM dem richtigen Ort zugeteilt. Auch der Rechnungsversand ist bei uns vollautomatisiert. Wir verfügen zudem über ein Management-Cockpit mit Führungskennzahlen und haben darüber hinaus den Risikobericht teilautomatisiert. Unser Mutterhaus stellt uns eine Digital-Factory zur Verfügung. Das ist ein Pool an IT-Leuten, die an solchen Themen arbeiten und uns bei der Implementierung neuer Tools und Lösungen unterstützen. Potenzial sehe ich im Bereich der Schadenregulierung. Da dürfte in Zukunft noch mehr automatisiert werden.
Der Broker-Bereich ist ja ein People-Business. Es ist wahrscheinlich zum heutigen Zeitpunkt noch undenkbar, dass dies alles eine Maschine übernehmen könnte.
Ich teile Ihre Meinung. Und zum Glück ist es so, dass wir hoffentlich nicht so schnell durch einen Roboter oder eine Maschine substituiert werden. Wir wollen zwar grösser werden, wie erwähnt, aber wir wollen trotzdem eine starke emotionale und persönliche Bindung zu unseren Kunden haben. Und das gelingt uns nur mit persönlichen Kontakten, davon bin ich überzeugt. Aber KI unterstützt uns im Beratungsprozess. Ich denke vor allem zum Beispiel an die ganzen Datensammlungen. Dadurch können wir vielleicht verbesserte Aussagen machen bezüglich Schadeneintrittspotenzial, Präventionsthemen, aber auch, wie ich vorhin erwähnt habe, mit vereinfachten Prozessen weniger Zeit verwenden für gewisse Themen und mehr Zeit für die Kundinnen und Kunden einsetzen. Frankreich arbeitet sehr stark an der generativen KI, durch die zum Beispiel im ganzen Sales-Prozess oder auf der Suche nach potenzieller Kundschaft Unterstützung und Möglichkeiten geboten werden.
Wo wollen Sie die Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe fördern, um Synergien bestmöglich zu nutzen?
Dazu ein Beispiel: Heute hat ein Recycler Probleme, einen Versicherer zu finden. Dies aufgrund der Schadeneintrittswahrscheinlichkeit oder der höheren Kapazitäten. Da sind wir in der Gruppe auf dem Londoner Markt oder auf dem Rückversicherungsmarkt aktiv, wo wir solche Risiken platzieren können. Davon profitieren wir auch in unserem Schweizer Geschäft. Weitere Synergiebeispiele sind etwa auf Stufe Vertrieb, Marketing und ESG, aber auch bei den Finanzen oder im HR.
Wo steht Verlingue in der Schweiz in fünf Jahren?
Ich bin sehr optimistisch, dass wir bis 2028 zu den Top-fünf-Brokern zählen werden. Nicht nur bezüglich Grösse, sondern auch in Bezug auf das Dienstleistungsangebot.