Der Branchenverband der Privatversicherer hat in diesem Jahr Luzern als Austragungsort für den «Tag der Versicherer» gewählt. Im Kultur- und Kongresszentrum erinnerte Rolf Dörig als Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV daran, dass die Sicherheit seit der Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine einen anderen Stellenwert in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einnehme. «Ohne Sicherheit gibt es keine Stabilität, keinen Wohlstand, keine Freiheit», betonte er. Sicherheit sei nicht nur Kernaufgabe des Staates, sondern auch Kernkompetenz der Versicherungswirtschaft. «Dabei denken wir vor allem an die finanzielle Sicherheit. Wir halten Unternehmen und Privaten den Rücken frei, übernehmen ihre Risiken und geben ihnen Planungssicherheit und Freiheit in der Lebensgestaltung», sagte Dörig vor 220 Gästen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verwaltung. In diesem Kontext verwies er auf eine neue Fachliteraturstudie der Universität Luzern. Diese hält fest, dass zum Beispiel eine Naturkatastrophe im Durchschnitt zu einem Rückgang des Bruttoinlandproduktes von 0,6 bis 1 Prozent in der kurzen und zum Doppelten bis Dreifachen in der langen Frist führt. Bei versicherten Schäden hingegen sind gemäss Studie keine negativen Auswirkungen auf das Bruttoinlandprodukt messbar.

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Toprisiken gemeinsam meistern

Rolf Dörig legte in Luzern dar, dass der Finanzsektor insgesamt zehn Prozent der hiesigen Wirtschaftsleistung erbringt. «Davon machen die Versicherer mit ihrer überdurchschnittlich hohen Produktivität rund die Hälfte aus». Die Bedeutung des Finanzsektors zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Unter Einbezug aller indirekt involvierten Unternehmen sorgt der Finanzplatz für 430’000 Vollzeitstellen. Jeder zehnte Arbeitsplatz in der Schweiz ist mit der Geschäftstätigkeit des Finanzsektors verbunden. «Diese Zahlen spiegeln unseren Erfolg. Sie verpflichten uns auch. Die Versicherungswirtschaft will nicht nur ökonomisch erfolgreich sein. Sie will auch Verantwortung übernehmen und ihrer Bedeutung entsprechend zur Lösung gesellschaftlicher Fragestellungen beitragen», sagte der Präsident des SVV.

Als Beispiel nannte Dörig die Versicherung von Toprisiken wie Cyberattacken oder Strommangellagen. Rein privatwirtschaftlich seien diese Risiken jedoch nicht versicherbar. «Doch wenn Bund und Versicherungswirtschaft zusammenspannen, können die Grenzen der Versicherbarkeit erweitert werden. Etwa über eine Partnerschaft, in der der Bund die Rolle des Rückversicherers übernimmt und die Versicherungswirtschaft ihre Expertise, Infrastruktur und Kundenbeziehungen einbringt». Der Elementarschadenpool für Naturgefahren zeigt, dass dieses Modell in der Praxis funktioniert und seit Jahrzehnten eine Entlastung für die öffentliche Hand ist. «Der Staat kann nicht alles allein. Er ist auch nicht der bessere Versicherer, nur weil er scheinbar unbeschränkt Geld hat», mahnte Dörig.

Notwendige Reformen in der Altersvorsorge

Auch in der Altersvorsoge geht es um Sicherheit und Nachhaltigkeit. «Über die zweite Säule sind die Privatversicherer direkt in die Verantwortung eingebunden. Unser Dreisäulensystem sorgt für einen konzeptionellen Ausgleich in der Altersvorsorge. Das ist ein Merkmal von Nachhaltigkeit und ein Zeichen von Stärke», führte Dörig aus. Das Zusammenspiel der drei voneinander unabhängigen Säulen stellt eine Erfolgsgeschichte dar. «Die Eckwerte der einzelnen Säulen müssen jedoch den aktuellen Rahmenbedingungen angepasst werden. Die erhöhte Lebenserwartung und das verschobene Verhältnis von Arbeitstätigen zu Rentnern sind zu berücksichtigen.» Er bedauerte, dass der parlamentarische Prozess um die BVG-Reform mit der Rückweisung an die ständerätliche Kommission verlängert wird. Immerhin stimmt ihn positiv, dass es zu keiner Vermischung der zweiten mit Elementen der ersten Säule kommen soll. Dörig sprach auch über die Referendumsabstimmung zur AHV-Stabilisierung: «Die zwei Vorlagen bringen die Angleichung des Rentenalters, fördern die Flexibilität beim Altersrücktritt und beschränken die Mehrwertsteuererhöhung auf 0,4 Prozent.» Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das gesamte Bild im Blick hätten. «Wir müssen den kommenden Generationen die gleichen Chancen bieten, wie wir sie heute vorfinden – nur dann ist es nachhaltig».

Drei Dimensionen von Nachhaltigkeit

Rolf Dörig hob in Luzern hervor, dass für die Versicherungswirtschaft alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Gesellschaft, Ökonomie und Ökologie – von Bedeutung seien. Derweil viel über die ökologische Nachhaltigkeit gesprochen wird, verdient die finanzielle Nachhaltigkeit mehr Beachtung. Die Prävention und Versicherung von Naturgefahren sowie die Übernahme von Umweltrisiken setzen die Beachtung der ökologischen Nachhaltigkeit voraus. Neben der Verbesserung der eigenen Ökobilanz trägt die Branche als Arbeitgeber auch eine Mitverantwortung für die gesellschaftliche Nachhaltigkeit im gesamten Geschäftsprozess. Die Privatversicherer gestalten die Arbeitswelt mit, etwa mit flexiblen Arbeitsmodellen, der Nachwuchsförderung und der Stärkung des Frauenanteils. Letzterer liegt in der Versicherungsbranche aktuell bei rund 45 Prozent, der Anteil der Lernenden bei vier Prozent, und ein Viertel der Beschäftigten arbeitet in Teilzeit.

Schliesslich verfügt die finanzielle Nachhaltigkeit für die Versicherungswirtschaft über eine sehr hohe Bedeutung. «Ohne finanzielle Nachhaltigkeit kann es keine ökologische Nachhaltigkeit geben», betonte Dörig. Er verwies auf den Nachhaltigkeitsreport für das Geschäftsjahr 2021, den der SVV vor wenigen Tagen zum dritten Mal publizierte. Als wichtiger institutioneller Anleger könne die Versicherungsindustrie auch über ihre Kapitalanlagen auf die finanzielle Nachhaltigkeit im Wirtschaftskreislauf Einfluss nehmen. Das tut sie auch: Gemäss Report waren im vergangenen Jahr 80 Prozent der Anlagen der Schweizer Versicherer an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft.

Regulierung mit Augenmass

Dass Nachhaltigkeit, Sicherheit und Freiheit Hand in Hand gehen, machte Dörig deutlich, indem er aufzeigte, welchen Stellenwert diese Werte in der Gesellschaft einnehmen: «Freiheit gehört zum Staatszweck der Schweiz. Sie steht am Ursprung der Erfolgsgeschichte der Schweiz und diese wird bis heute fortgeschrieben». Auch für die Wirtschaft braucht es freiheitliche Rahmenbedingungen und Regulierung mit Augenmass. «So viel Regulierung wie nötig und so wenig wie möglich. Dieser Grundsatz hat wesentlich zum Wohlstand und zur Standortattraktivität unseres Landes beigetragen. Wir wollen ihn auch in Zukunft als Richtschnur nehmen», hielt Dörig fest.

Zur fachlichen Einordnung der finanziellen Nachhaltigkeit sprachen am «Tag der Versicherer» Professor Christoph Schaltegger und Finanzminister Ueli Maurer. Beide betonten ebenfalls die Bedeutung einer nachhaltigen Finanzpolitik. Man dürfe keine Angst vor Ausgabenkürzungen haben. Zudem seien eine klare Regelbindung zur Schuldenstabilisierung und Transparenz über sämtliche finanzielle Verpflichtungen die Voraussetzungen für eine moderne und nachhaltige Staatsfinanzierung, betonte der an der Universität Luzern lehrende Schaltegger.

Ruedi Kubat und Christoph Schmallenbach neu im Vorstand

In den «Tag der Versicherer» eingebunden ist auch die Generalversammlung des SVV. Anlässlich der 92. Ausgabe wählten die Delegierten zwei neue Vorstandsmitglieder: Ruedi Kubat, seit 1. Januar 2022 CEO der Allianz Suisse, ersetzt Severin Moser. Christoph Schmallenbach, seit 24. Februar 2022 CEO der Generali Schweiz, folgt auf Andreas Krümmel. Für eine weitere Amtsperiode bestätigt wurden Philomena Colatrella (CEO der CSS Versicherung) und Professor Thomas Szucs (Verwaltungsratspräsident der Helsana Gruppe).