Der Arbeitsmarkt verändert sich gerade massiv. Die Arbeitslosenquote ist auf einem Rekordtief und immer wieder ist von einem historischen Mangel an Arbeitskräften zu hören. Die Zahl der Rentnerinnen und Rentnern steigt von Jahr zu Jahr, parallel dazu spitzt sich die Nachfrage nach Fachkräften zu. Letzteres zeigt sich auch in der Versicherungswirtschaft, diese weist gegenüber der Gesamtwirtschaft einen überdurchschnittlichen Fachkräftemangel aus.
Aus diesem Grund konzentriert sich das diesjährige St.Gallen Diversity Benchmarking auf die Auswirkungen des Arbeitsmarktes auf die Vielfalt der Belegschaft. Teilgenommen haben elf Versicherungen.
Mehr Kaderfrauen bei Versicherern als bei Banken
Während im Nicht‑Kader die Frauen in der Mehrheit sind, schrumpft der Frauenanteil mit steigender Hierarchiestufe. Die Versicherungen verzeichnen in den unteren Kaderstufen einen Frauenanteil von 36 Prozent, in den höheren Kaderstufen liegt dieser Anteil bei 21 Prozent. Verglichen mit der nationalen Bankbranche mit 14 Prozent Frauenanteil in den höheren Kaderstufen schneiden die Versicherungen besser ab.
Die Rekrutierungen werden von den Versicherungsgesellschaften aber noch zu wenig genutzt: Während Neueintritte in die unteren Kaderstufen leicht zu einer Erhöhung des Frauenanteils beitragen, beeinflussen sie den Anteil in den höheren Kaderstufen kaum. Damit verpassen die Versicherungen eine Chance: Da die Fluktuationsrate der Männer in den höheren Kaderstufen höher ist als die der Frauen, könnte dies bei den Neubesetzungen genutzt werden, um den Frauenanteil zu erhöhen. Hingegen ist der Frauenanteil an den Beförderungen in allen Stufen klar höher als der bestehende Anteil in den jeweiligen Stufen, was sich zugunsten der Vertretung der Frauen auswirkt.
Fast die Hälfte aller Männer in den höheren Kaderstufen ist älter als 50 Jahre
St. Galler Diversity Benchmarking
Kadermänner sind deutlich älter als Kaderfrauen
Kadermänner sind in der Versicherungsbranche deutlich älter als Kaderfrauen. Fast die Hälfte aller Männer in den höheren Kaderstufen ist älter als 50 Jahre. Eine ähnliche Altersverteilung zeigt sich auch in der nationalen Bankbranche.
Während bei den Versicherungen zwar sowohl die Rekrutierungen als auch die Beförderungen zu einer Verjüngung der Belegschaft im Nicht‑Kader und Kader beitragen, zeigt sich, dass ins Kader beförderte Personen im Durchschnitt älter sind als solche, die von extern rekrutiert wurden. Auffallend ist, dass fast die Hälfte aller beförderten Mitarbeitenden zwischen 31 und 40 Jahre alt ist. Es zeigt sich zudem, dass Mitarbeitende zwischen 25 und 35 Jahren die Versicherungen häufiger wieder verlassen als ältere Mitarbeitende.
Kaderfrauen sind besser qualifiziert als Kadermänner
Bei den Versicherungen zeigt sich, dass im Nicht‑Kader Männer in der Tendenz höher qualifiziert sind die Frauen, in den höheren Kaderstufen hingegen ist der Anteil Tertiärabschlüsse bei den Frauen etwas höher als bei den Männern. Es zeigt sich zudem ein Trend, dass Personen, die neu ins Kader rekrutiert werden, höher ausgebildet sind als die Belegschaft im Kader.
Dabei sind die neu rekrutierten Männer – sowohl im Kader als auch im Nicht‑Kader – höher ausgebildet als die neu rekrutierten Frauen. Auch die beförderten Männer haben im Durchschnitt einen höheren Abschluss als die beförderten Frauen. Generell zeigt sich, dass von extern ins Kader rekrutierte Personen höher qualifiziert sind als intern beförderte Personen.
Aufgepasst auf Diversity-Faultlines
Legt man das Augenmerk auf die intersektionelle Perspektive fällt vor allem die folgende Konstellation im Kader auf: Jüngere, eher höher qualifizierte Frauen (oft noch mit niedrigeren Arbeitspensen) stehen älteren, etwas weniger hoch qualifizierten Männern (mit Vollzeitpensen) gegenüber. Solche «Diversity Faultlines» (sinngemäss könnte man diese mit «Bruchlinien durch Häufung von Diversity‑Merkmalen» übersetzen) können zur Subgruppenbildung mit höherem Konfliktpotential zwischen den Gruppen und negativen Folgen für die Organisation führen, wenn ihnen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Mit Blick aber auf die häufigeren Austritte dieser Kaderfrauen, die Vollzeit beschäftigt sind, stellt sich die Frage, ob die Frauen mit diesem Pensum in Konflikt geraten mit Themen wie Care‑Verantwortung und / oder traditionellen Rollenerwartungen.
St. Galler Diversity Benchmarking
Augenmerk auf Austritte von Kaderfrauen
Insgesamt sieht sich die Versicherungsbranche mit einigen Herausforderungen konfrontiert wie beispielsweise die von älteren Männern dominierte Führungsebene oder die begrenzten Beförderungsmöglichkeiten für gewisse Altersgruppen. Der Trend bei den Frauen in unteren Kaderpositionen in höheren Pensen zu arbeiten, kann ein Vorteil bedeuten für die Weiterentwicklung in die nächst höheren Kaderstufen, wo Vollzeit‑ bzw. vollzeitnahe Pensen die Norm sind.
Mit Blick aber auf die häufigeren Austritte dieser Kaderfrauen, die Vollzeit beschäftigt sind, stellt sich die Frage, ob die Frauen mit diesem Pensum in Konflikt geraten mit Themen wie Care‑Verantwortung und / oder traditionellen Rollenerwartungen. Unabhängig davon ist als positiv zu werten, dass der Frauenanteil zumindest in den unteren Kaderstufen die kritische Masse von 30 Prozent klar überschritten hat, die nötig ist, damit Frauen die Unternehmenskultur beeinflussen können und nicht mehr als Minderheitengruppe wahrgenommen werden. Die Beförderungen werden ausserdem genutzt, um den Frauenanteil im Kader zu erhöhen. Zudem zeigt sich eine Tendenz, dass jüngere Mitarbeitende die Vielfalt im Kader erhöhen.
Viele Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Weiter haben die Versicherungen bereits zahlreiche Angebote zu Vereinbarkeit implementiert, was dabei unterstützt, dass Frauen und Männer gleichermassen ihre Karriereziele verfolgen können. Diese Fortschritte zeigen das Bestreben der Branche, Vielfalt und Chancengleichheit zu fördern. Es liegt nun an den Versicherungsunternehmen, diesen positiven Trend fortzusetzen und weiterhin aktiv an der Entwicklung einer inklusiven und zukunftsorientierten Versicherungsbranche zu arbeiten. (pm/hzi/sec)