Herr Agard, was zeichnet die neue Innovationsstrategie der Zurich aus?

Unser globaler Innovationsprozess beginnt mit der Problemstellung beziehungsweise dem Kundenbedürfnis. Oft sind Technologielösungen gefragt, die wir inhouse entwickeln oder von externen Partnern beziehen. Seit 2018 arbeiten wir dazu auch intensiv mit Startups zusammen, und wir führen gelegentlich Forschungsprojekte mit Universitäten durch. Danach testen wir die Lösung, holen das Feedback der Nutzenden ein, überprüfen die technische Machbarkeit und messen erste Ergebnisse. Nach dem Pilotprojekt entscheiden wir anhand strikter Kriterien über den weiteren Verlauf. Ab 2025 planen wir, den «Venture Client Ansatz» global einzuführen. Dabei unterstützen wir im Rahmen der Lösungsfindung Startups in deren Frühentwicklung als zahlender Kunde und stellen unser Fachwissen und Netzwerk zur Verfügung. So können wir mit geringem finanziellem Aufwand viele Herausforderungen angehen und ein global skalierbares Modell schaffen.

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Zur Person

Joel Agard ist Head of Group Innovation bei der Zurich Insurance Group.

In einer Branche, die traditionell eher konservativ agiert: Wie schaffen Sie es, Innovationen zu fördern, ohne die Stabilität und das Vertrauen der Kundschaft zu gefährden?

Es ist wichtig, die Kundinnen und Kunden in die Lösungsfindung einzubinden, um ihre Bedürfnisse und Erwartungen von Anfang an berücksichtigen zu können. Hier zwei Beispiele: Bei der Weiterentwicklung unserer digitalen Kundenschnittstellen im Bereich Commercial Insurance, beziehen wir die Firmenkunden, deren End-User sowie unsere Broker-Partner aktiv in die Weiterentwicklung mit ein. Auch führen wir während Pilotphasen mit Startups sehr früh im Innovationsprozess aktives User-Testing mit echten Kundenpanels durch. Beim Einsatz von Technologien wie künstlicher Intelligenz und der Einbindung von Kundendaten achten wir sehr genau auf einen verantwortungsvollen Umgang. Wir verfügen über klar definierte Richtlinien und Verantwortlichkeiten.

Wie stellen Sie sicher, dass Innovationen nicht nur technologisch getrieben sind, sondern auch echten Mehrwert für die Kunden schaffen?

Wir beginnen immer mit der Identifizierung eines Problems oder Kundenbedürfnisses und suchen dann nach einer passenden Lösung. Immer öfter haben Technologielösungen eine KI-Komponente. Aber manchmal sind auch einfache Prozessoptimierungen gefragt. Technologie ist ein «Enabler» und kann Entwicklungen beschleunigen, aber letztlich gewinnen die Projekte, die das Problem am effektivsten lösen.

Viele Versicherer setzen auf künstliche Intelligenz. Wie nutzen Sie KI in Ihrer Strategie, und wie begegnen Sie ethischen Herausforderungen, die damit verbunden sind?

Der Einsatz von KI kann das Kundenerlebnis durch gezielte Lösungen und Dienstleistungen sowie mittels effizienterer und personalisierter Prozesse verbessern. Inzwischen nutzen wir gruppenweit über 200 KI-Lösungen. Dazu gehören intern entwickelte Lösungen, Kooperationsprojekte mit Partnern und Applikationen von externen Anbietern. Dabei legen wir Wert auf einen verantwortungsvollen Umgang mit KI, um die Nutzung zu fördern und gleichzeitig Risiken zu minimieren, wie etwa den Schutz der Privatsphäre oder die Beaufsichtigung der Systeme. Bei der Projektentwicklung mit Partnern und den Startups verlangen wir, dass diese unsere Standards ebenso einhalten. Die Startups sehen dies jedoch nicht als Hürde, sondern als Qualitätssiegel für ihre Arbeit.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in Ihrer Innovationsstrategie? Sehen Sie Innovation als Schlüssel zu einer nachhaltigeren Versicherungsbranche?

Nachhaltigkeit spielt in unserer Innovationsstrategie eine sehr wichtige Rolle. Mit Innovationen unterstützen wir die Nachhaltigkeitsambitionen der Zurich. Ein Beispiel: KI kann uns helfen, komplexe und relativ neue Risiken wie erneuerbare Energien besser zu verstehen. Dadurch können wir Versicherungsprodukte und -dienstleistungen entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse von Entwicklern solcher Technologien zugeschnitten sind. Auf diese Weise können wir zum Wachstum dieser Branchen und Technologien beitragen und den Übergang zu einer Netto-null-Wirtschaft unterstützen. 

Innovationen gehen oft mit erhöhten Kosten einher. Wie rechtfertigen Sie diese Investitionen gegenüber Aktionären und Kunden, die möglicherweise kurzfristige Ergebnisse erwarten?

Unser Innovationsprozess erfordert keine bedeutenden Vorabinvestitionen. Durch die Fokussierung auf die grössten und strategischen Herausforderungen und schlanke und kurze Pilotprojekte nutzen wir unsere Ressourcen effizient. So können wir schnell signifikante Ergebnisse liefern und Mehrwert für unsere Kundinnen und Kunden sowie Aktionärinnen und Aktionäre schaffen.

Kritiker sagen, dass die Versicherungsbranche zu sehr auf technologische Trends setzt, ohne den menschlichen Aspekt ausreichend zu berücksichtigen. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

Ich kann diese Ansicht nachvollziehen, aber ich denke nicht, dass dies ein branchenspezifisches Anliegen ist. Unsere Kundschaft steht im Mittelpunkt unserer Anstrengungen – denn Versicherung ist und bleibt ein «People-Business». Auch in Zukunft werden wir den menschlichen Aspekt ganz bewusst betonen. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn sich Kundinnen und Kunden in einer schwierigen Situation befinden. Sei es nach einem Unfall mit einem Mietauto während der Ferien oder aufgrund eines Betriebsunterbruchs in einer Fabrik nach einer Überschwemmung. In solchen Situationen hilft uns die Technologie, schneller zu reagieren, was uns erlaubt, mehr Zeit mit unserer Kundschaft zu verbringen, um gemeinsam die besten Lösungen zu finden.

Inwiefern hat die zunehmende Regulierung, insbesondere in Europa, Einfluss auf Ihre Innovationsstrategie? Sehen Sie Regulierungen eher als Bremse oder als Motor für Innovationen?

Regulierung für neue Technologien ist wichtig. Sie muss aber ausgewogen sein, um Fortschritt und Innovation nicht abzuwürgen. Im Bereich KI ist dieses Jahr der EU AI Act in Kraft getreten, der die verantwortungsvolle Entwicklung und den Einsatz von KI regelt. Die mit dem Einsatz dieser Technologien verbundenen Risiken und Bedenken, wie Datenschutz und Sicherheit, sind von grosser Bedeutung. Die Unternehmen müssen diese Bedenken ausräumen und sicherstellen, dass ihre KI-Systeme den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, um das Vertrauen ihrer Kunden und Kundinnen zu erhalten. 

Wie können Sie Mitarbeitende auf allen Ebenen in den Innovationsprozess einbeziehen, um sicherzustellen, dass Ideen aus dem gesamten Unternehmen berücksichtigt werden?

Wir haben ein Netzwerk von mehr als 150 internen Innovationsexperten geschaffen, das eingebettet ist in unseren lokalen Ländergesellschaften und unterstützt wird von Kolleginnen weltweit aus der Bereichen Technology, Digital und Strategie. So können wir spannende Innovationsthemen sowohl Top-down als auch Bottom-up validieren, und dank diesem Netzwerk können wir Best-Practice-Beispiele dort implementieren, wo ähnliche Problemstellungen vorhanden sind. Zudem haben wir eine Plattform geschaffen, die Ideen von Startups in die Problemlösung miteinbezieht. Gemeinsam mit unseren Expertinnen, den Startups, externen Tech-Experten und unserem Führungsteam können wir so Lösungen zu drängenden Fragestellungen erarbeiten und einen Mehrwert für die Zurich und unsere Kundschaft generieren. 

Wenn Sie auf die nächsten fünf Jahre blicken, welche disruptiven Technologien oder Trends sehen Sie als grösste Herausforderung oder als Chance für die Versicherungsbranche?

Verschiedene Technologien innerhalb der KI werden neue Möglichkeiten in der Datenanalyse und Risikobewertung schaffen, was zu noch flexibleren Versicherungslösungen und effizienteren Schadensabwicklungen führen wird. Mit der zunehmenden Digitalisierung steigt auch das Risiko von Cyberangriffen und immer ausgeklügelteren Betrugsmethoden, weshalb Versicherer in die Sicherheit der Kundendaten und Systeme investieren müssen. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Cyberversicherungs- und -präventionsmassnahmen, was für die Versicherungsbranche neue Geschäftschancen bietet. Zudem sehe ich Quantum Computing als die nächste disruptive Technologie, welche das Potenzial hat, der Branche einen weiteren Schub zu verleihen. In diesem Bereich gibt es verschiedene spannende Optionen, sei es, um die Schäden noch schneller abzuwickeln, Risiken besser zu bewerten, Betrüge zu verhindern oder um gar die Preisgestaltung noch weiter zu individualisieren.