Frau Ballhaus, warum braucht es einen Finanzratgeber speziell für Frauen?
Corin Ballhaus: Die Lebensentscheidungen, die Frauen treffen, und die Unwägbarkeiten auf ihrem Lebensweg haben für sie oft erheblich stärkere finanzielle Auswirkungen als für Männer. Bloss realisieren sie dies meist erst spät respektive zu spät, um noch Handlungsspielraum zu haben. Hier setzt das Buch an. Anhand der Lebensstationen zeigt es die relevanten Aspekte und Fragestellungen auf und soll Frauen zu einer selbstbestimmten und vorausschauenden Planung ihrer Finanzen motivieren. Im Gegensatz zu anderen Ratgebern stellt es nicht die Geldanlage oder Vorsorgeprodukte in den Mittelpunkt, sondern ganz allgemein die finanziellen Fragen, die sich im Hinblick auf die jeweiligen Wegmarken stellen.
Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem umfassenden Werk?
Die Idee ist über die Jahre gewachsen, in denen ich im Banking, im Wirtschaftsjournalismus und in der Beratung von Finanzdienstleistern tätig war. Schlüsselmomente waren ein Vorsorgeparcours, den ich für ein Vorsorgemagazin entwickelt habe, und die Evaluation einer BVG-Lösung für Solo-Unternehmerinnen. Als dann der Verlag eine Autorin für den Ratgeber suchte, habe ich die Chance gepackt.
Was sind die häufigsten Fehler, die Frauen in Finanzfragen machen?
Frauen tendieren immer noch überdurchschnittlich dazu, sich in Sachen Geld auf ihren Partner zu verlassen respektive ihm die finanziellen Entscheidungen zu überlassen. Das kann gutgehen, solange in ihrer Partnerschaft alles im Lot ist. Bloss sind eben nicht alle Ereignisse auf unserem Lebensweg erfreulicher Natur. Wenn Frauen sich ihrer Gelddinge selbst respektive partnerschaftlich annehmen und generell materielle Unabhängigkeit anstreben, müssen sie sich in emotional schwierigen Situationen umso weniger um ihre Finanzen Sorgen machen.
Wo lauern die grössten Risiken für Frauen hinsichtlich ihrer finanziellen Situation?
Die grössten Risiken bestehen grundsätzlich dort, wo Frauen von der Norm in der Vorsorge abweichen, was jedoch gleichermassen für Männer gilt. In der weiblichen Erwerbsbiografie ist dies aber weitaus häufiger der Fall als in der männlichen, da Frauen nach wie vor den grösseren Teil der Familien-, Betreuungs- und Hausarbeit übernehmen. Basis unseres Vorsorgesystems ist die lückenlose Vollzeitbeschäftigung als Angestellte. Die Einzahlungen in die AHV, die berufliche Vorsorge und die gebundene Vorsorge im Rahmen der Säule 3a setzen eine entsprechende Erwerbstätigkeit voraus. Wenn Frauen also für längere Zeit aus dem Job aussteigen, ihre Erwerbstätigkeit stark reduzieren oder sich selbstständig machen, kann das finanzielle Spätfolgen zeitigen, wenn sie diesen Umstand unbeachtet lassen.
Was sollten Frauen unbedingt vermeiden?
Solange Frauen verheiratet bleiben, macht sich dies meist nicht bemerkbar, da unser Vorsorgesystem auf dem klassischen Familienbild beruht. Kommt es allerdings zu einer Scheidung, stirbt der Partner oder werden sie oder ihr Partner invalid, kann dies zu unangenehmen finanziellen Engpässen oder gar Notlagen führen, wenn nicht frühzeitig entsprechende Vorkehrungen getroffen wurden. Finanziell noch schmerzlicher können solche Ereignisse sein, wenn sich ein Paar entscheidet, nicht zu heiraten. Das Konkubinat ist nämlich bis heute nicht in den Vorsorgegesetzen vorgesehen. Das rührt daher, dass es bis Mitte der 1970er Jahre in vielen Kantonen als Lebensform gesetzlich untersagt war und in einzelnen Kantonen, wie dem Wallis, sogar bis 1995. Die Vorsorgegesetze wurden dagegen alle früher entwickelt.
Was raten Sie Konkubinatspaaren?
Paare, die ohne Trauschein zusammenleben, tun gut daran, ihre finanziellen Dinge vertraglich zu regeln. Und erst recht, wenn sie gemeinsame Kinder haben oder Kinder mit in die Beziehung bringen. Das mag unromantisch klingen, schafft aber für alle Beteiligten klare Verhältnisse und kann insbesondere bei Frauen Armutsfallen vorbeugen, da sich Lebensbrüche wie eine Trennung oder ein Todesfall nie ausschliessen lassen. Wer sich erst einmal damit auseinandersetzt, wird sich dann vielleicht doch noch für eine Heirat als den einfacheren Weg entscheiden.
Ist dann ein Ehevertrag ein Muss?
Ohne anderweitige Vereinbarung gilt für Ehepaare die sogenannte Errungenschaftsbeteiligung. Das heisst, dass bei Scheidung oder Tod das Vermögen, das ein Paar während seiner Ehejahre erwirtschaftet hat, zu gleichen Teilen auf die beiden Partner verteilt wird. Vermögenswerte, welche die Frau mit in die Ehe eingebracht hat, sind demnach davon ausgenommen. Das gilt insbesondere für ihr bis dahin angespartes BVG-Altersguthaben.
Viele Frauen machen sich nach der Familiengründung selbstständig, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen, und beziehen ihr BVG-Guthaben. Ein Fehler?
Meistens leider ja. Bis zur ersten BVG-Revision wurde Frauen, die ihre Festanstellung für die Familienarbeit aufgegeben haben, das bis dahin angesparte Altersguthaben ausbezahlt, da der Gesetzgeber davon ausging, dass die Frauen nicht mehr ins Berufsleben zurückkehren würden. Nicht selten kam Familien dieses Geld wie gerufen, da sie zu diesem Zeitpunkt gerade ein Eigenheim bauten oder erwarben. Bloss ging dann oft vergessen, dies entsprechend zu dokumentieren – meist zum Nachteil der Frauen im Falle einer späteren Scheidung oder in einem Todesfall. Seit der Revision wird nun dieses Guthaben auf einem Freizügigkeitskonto parkiert, bis die betreffenden Frauen wieder in die Arbeitswelt zurückkehren.
Was raten Sie also?
Partnerschaft und Familie sind ein Gemeinschaftsprojekt. Dementsprechend sollte das Paar sich zum einen frühzeitig ein Bild davon machen, wie sich ihre finanzielle Situation durch ein Zusammenleben und die Familiengründung verändert und welche Konsequenzen allfällige Lebensbrüche haben, und gemeinsam beschliessen, wer welchen Beitrag in Sachen Kinderbetreuung, Hausarbeit und Erwerbseinkommen leistet. Da es immer noch überwiegend die Frauen sind, die ihre Erwerbstätigkeit reduzieren oder vorübergehend ganz aufgeben, ergibt sich unmittelbar eine Einkommenseinbusse und auf lange Sicht eine Verlangsamung oder ein temporärer Stillstand beim Aufbau ihrer Altersvorsorge. Mutterschafts- und Vaterschaftsentschädigungen, Familienzulagen und Erziehungsgutschriften bieten keinen adäquaten Ersatz. Darum sollte das Paar miteinander anschauen, ob und wie sich ein finanzieller Ausgleich im Rahmen der freien Vorsorge schaffen lässt – ganz nach der Devise «Was ist, wenn?» anstatt später eines «Ach, hätten wir doch …!».
Warum sind Frauen noch immer benachteiligt in der Vorsorge?
Es ist falsch, zu meinen, es sei das Vorsorgesystem, das die Frauen benachteiligt, auch wenn dies vielerorts so kolportiert wird. Das System definiert eine Norm, die erwähnte lückenlose Vollzeitbeschäftigung und das klassische Familienbild. Wer immer von dieser Norm abweicht, handelt sich die Nachteile also selbst ein – das gilt gleichermassen für Frauen wie für Männer. In der AHV erlangen Frauen, die heute ins Berufsleben eintreten, nach der aktuellen Gesetzgebung sogar ein Jahr vor den Männern Rentenparität, wenn sie der erwähnten Norm entsprechen. Dass Frauen einen Drittel weniger Altersrenten erhalten als Männer, wie dies gerade in der aktuellen Debatte um die Erhöhung des AHV-Rentenalters für Frauen propagiert wird, trifft ausschliesslich auf die Generation der heutigen Rentnerinnen zu, die oft nur wenige Erwerbsjahre vorweisen können. Noch kritischer präsentiert sich die Situation für die geschiedenen Frauen dieser Generation, vor allem, wenn ihre Ehe nach dem alten Scheidungsrecht geschieden wurde. Leider blendet die aktuelle Debatte aus, dass sich der sogenannte Gender Pension Gap, die geschlechterbedingte Rentendifferenz, mit der zunehmenden Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben – heute kehren beispielsweise vier von fünf Frauen nach spätestens einem Jahr nach der Geburt des ersten Kindes in den Beruf zurück – fortlaufend reduziert.
Was müsste sich ändern, um die Benachteiligung von Frauen in der Vorsorge aufzuheben?
Natürlich wäre es wünschenswert, wenn unser Vorsorgesystem unserer heutigen Vielfalt an Lebensentwürfen und Arbeitsmodellen besser Rechnung tragen würde. Der Weg solcher Gesetzesänderungen ist erfahrungsgemäss aber immer ein langer und steiniger. Bei den Vorsorgegesetzen ist das nicht anders, auch wenn die Revisionen angesichts des demografischen Wandels und der gestiegenen Lebenserwartung keinen Aufschub mehr dulden würden. Umso wichtiger ist es, dass Frauen sich selbstbestimmt mit Geldfragen auseinandersetzen, Verantwortung für ihr eigenes Geld übernehmen und sich entsprechendes Wissen aneignen. Je früher sie damit beginnen, umso selbstverständlicher wird es für sie, ihre jeweiligen Lebenssituationen vorausschauend immer auch durch die Geldbrille zu betrachten.
Nur will sich kaum eine Frau diese Geldbrille allzu gerne auf die Nase setzen ...
Zugegebenermassen macht es einem das Drei-Säulen-System mit AHV, Pensionskasse und privatem Sparen nicht einfach, schon nur mal einen Gesamtüberblick über die eigene Finanzlage und Vorsorgesituation zu bekommen. Wie viel einfacher wäre es da, wenn es eine App gäbe, die einem auf Knopfdruck die Informationen aus allen drei Säulen zusammenziehen und zu einem Gesamtbild formen würde? Eine App, mit der sich zudem die möglichen nächsten Lebensstationen aus finanzieller Perspektive simulieren liessen und die einen mit den passenden Informationen versorgen würde. Ich bin überzeugt, dass das Interesse an den persönlichen Geldfragen so deutlich steigen würde. Leider fehlt aber den Versicherten hier eine Lobby, die sich für eine solche Anwendung stark machen würde.
Was machen skandinavische Länder oder zum Beispiel auch Frankreich in Sachen Frauenerwerbstätigkeit und finanzielle Selbstständigkeit so viel besser als die DACH-Länder?
Die anderen europäischen Länder haben uns einige Jahrzehnte Erfahrung bezüglich Vereinbarkeit von Beruf und Familie voraus. Wir haben erst seit fünfzig Jahren Stimm- und Wahlrecht, während beispielsweise Finnland es seit 1906 kennt. In der Schweiz standen Ehefrauen bis zur Einführung des Zivilgesetzbuchs 1912 noch unter der Vormundschaft des Ehemanns, was bedeutete, dass sie keine Verfügungsmacht über ihr eingebrachtes Vermögen und ihre Einkünfte hatten. Bis 1988 war der Mann im Ehegesetz das Oberhaupt der Familie und als solches gesetzlich verpflichtet, «in gebührender Weise für den Unterhalt von Weib und Kinde» zu sorgen, während die Frau die Pflicht hatte, den Haushalt zu führen. Wollte die Frau eine berufliche Tätigkeit ausüben, brauchte sie dazu die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung ihres Mannes. Dass solche Rollenbilder unsere Gesellschaft noch prägen, ist darum nicht weiter erstaunlich. So gesehen haben wir bezüglich Vereinbarkeit von Beruf und Familie in vergleichsweise kurzer Zeit aber auch schon grosse Fortschritte gemacht. Und die Erfahrung wächst mit jedem Jahr, auch bezüglich des Umgangs mit den eigenen Finanzen und der persönlichen Geldkompetenz.
Ihr Buch «Frauenpower in Finanzfragen» sollte eigentlich auch von Männern gelesen werden. Denen ist ja auch nicht klar, was falsch läuft. Haben Sie Feedback von männlichen Lesern bekommen?
Das Buch spricht in der Tat auch Männer an. Weniger, weil sie es selbst lesen, sondern weil sie es ihren Partnerinnen, Töchtern und Enkelinnen schenken. Es sind aber genauso Stimmen dabei, die die Meinung vertreten, dass Frauen vom Vorsorgesystem eh schon privilegiert werden und keine Extrapower nötig sei.
Ratgeberin
Corin Ballhaus beschäftigt sich seit vielen Jahren in unterschiedlichen Rollen mit dem Thema Frauen und Finanzen in den verschiedenen Lebenssituationen. Ihre Karriere startete sie als Kundenberaterin und Projektleiterin bei einer grossen Zürcher Bank, wechselte dann als Wirtschaftsjournalistin zu den Medien, bevor sie sich vor mehr als 15 Jahren als Kommunikationsberaterin selbstständig machte. 2021 erschien ihr Buch «Frauenpower in Finanzfragen» im Verlag Beobachter Edition / Ringier (ISBN 978-3-03875-323-0)..