Anlässlich des SIRM-Forums Ende letzten Jahres haben Sie erwähnt, das ESG-Narrativ verändere sich gerade sehr. Was meinen Sie damit?

Bis 2019 wurde der Begriff «ESG» in erster Linie von der Investor-Community benutzt. Erst danach tauchte er in den Google-Trend-Charts auf. Mittlerweile werden die drei Buchstaben in der gesamten Wirtschaft abwechselnd mit dem Ausdruck «Nachhaltigkeit» schon fast inflationär verwendet. Wie immer, wenn ein Thema plötzlich ganz oben auf den Agenden der globalen CEO steht, wird es auch Gegenreaktionen geben. 

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Was verstehen Sie unter Gegenreaktionen?

In der Investor-Community ging es bei ESG primär darum, ESG-Kriterien in den Anlageprozess zu integrieren, um Gelder in nachhaltigere Unternehmen zu investieren. Mit dem Aufstieg von ESG wurden die beiden Begriffe jedoch vermehrt vermischt, was die Regulatoren auf den Plan gerufen hat. Zu Recht, wie ich finde, denn es sind zwei verschiedene Paar Schuhe. 

ESG ist ein Risk-Management-Tool. ESG-Risiken haben einen nachweislichen Einfluss auf die Leistung eines Unternehmens. Daher müssen die Risiken im Anlageentscheid mitberücksichtigt werden. Nachhaltiges Anlegen ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einem Investment in ein Unternehmen mit gutem ESG-Rating. Was hier zählt, ist der Impact, den man mit einem Investment erzielt.

Hinzu kommt, dass bis dato zu viel Aufmerksamkeit auf das E gelenkt wurde und nicht genug auf das S und das G – auch das muss sich ändern.

Risk Management: Nachhaltigkeit rückt ins Zentrum

In einer losen Reihe von Artikeln beleuchten wir von unterschiedlichen Seiten, welchen Einfluss das Thema Nachhaltigkeit auf Unternehmen hat und weshalb Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema für Risk Manager ist. Bisher erschienen:

Berichterstattungspflicht: Was dies konkret bedeutet

Das ist nicht verwunderlich, stellt der Klimawandel doch eine echte Bedrohung dar …

Ja klar, doch seit der Energiekrise beginnen wir in Europa zu realisieren, dass wir dem S mehr Aufmerksamkeit widmen sollten. Denn die Energiekrise hat auch einen sozialen Einfluss auf die Menschen. Ich denke da zum Beispiel an die Inflation, die das Leben der Menschen verteuert hat und es für die Bedürftigsten der Gesellschaft noch schwieriger macht.

In Ihrem Referat betonten Sie auch, dass ESG und Nachhaltigkeit zwei unterschiedliche Dinge sind. Wie unterscheiden sich diese?

Kurz zusammengefasst ist ESG das «Was» und Nachhaltigkeit das «Wie».

Was heisst das nun konkret am Beispiel der Zurich?

Im Zusammenhang mit ESG müssen wir festlegen, welche Umweltfragen und welche gesellschaftlichen und Governance-Themen für uns als Unternehmen wichtig sind und worauf wir uns fokussieren sollen beziehungsweise auf welche Themen wir Einfluss nehmen können und welche Themen unser Geschäft beeinflussen. 

Beim Thema Nachhaltigkeit geht es dagegen um die Frage, wie wir auf lange Sicht geschäften wollen. Und genau das kann für börsenkotierte Unternehmen eine Herausforderung sein, weil sie oft mit eher kurzfristigen Ansprüchen konfrontiert sind. 

Wie schafft die Zurich diesen Spagat? Haben Sie ein Patentrezept dafür?

Harte Arbeit und viel Ausdauer … (lacht). Vor zehn Jahren unterzeichnete die Gruppe den UN Global Compact, eine globale Initiative zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsprinzipien, und begann damit, das Zielbild Stück für Stück zusammenzusetzen. Wir starteten damit, unseren CO2-Fussabdruck zu messen, eine verantwortungsbewusste Anlagestrategie zu entwickeln, Diversity & Inclusion systematisch zu fördern und unsere Lieferketten zu analysieren und nachhaltiger zu machen. 

Apropos verantwortungsvolle Investments. Wie gross ist der Anteil an Impact Investments?

Vor zehn Jahren reservierten wir dafür 5 Milliarden US-Dollar aus unserem 200-Milliarden-Portfolio. Das mag nach wenig klingen – damals gab es aber noch kaum einen Markt für Impact Investments und wir mussten mithelfen, den Green Bond Market aufzubauen. 

Vor einigen Jahren kamen wir zum Schluss, dass es nicht primär die Geldmenge ist, die Impact Investment ausmacht, sondern die Wirkung, die das Investment erzielt. Und so haben wir mit Blackrock zusammengearbeitet, um eine Methode auszuarbeiten, um den Impact der Investitionen wirklich messen zu können. 

Können Sie etwas konkreter werden?

Wir haben es uns zum Ziel gemacht, mittels unserer Impact Investments 5 Millionen CO2-Äquivalente zu verhindern und das Leben von fünf Millionen Menschen jährlich zu verbessern. Unabhängig von den Impact Investments wollen wir aber auch als Teil unserer Netto-null-Strategie die mit unserem Anlageportfolio im Zusammenhang stehenden CO2-Äquivalente senken. Per Ende des letzten Jahres haben wir diese gegenüber 2019 um 21 Prozent gesenkt.

Zudem haben wir unsere Ziele für unsere eigene operative Tätigkeit enger gesetzt und beabsichtigen, bereits bis 2030 Netto-Null zu erreichen. Seit Ende 2022 decken wir global unseren gesamten Stromverbrauch aus erneuerbaren Energien. Bis Ende nächsten Jahres wollen wir auch unsere gesamte Flotte elektrifiziert haben. Unser CEO Mario Greco ist ein starkes Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit, das ist sehr wichtig für die Mitarbeitenden. 

Und was unternimmt die Zurich im Underwriting?

Gewisse Branchen, die einen hohen CO2-Ausstoss haben, einfach nicht mehr zu versichern, erscheint vielleicht als die einfachste Lösung. Die Realität ist aber, dass wir die Realwirtschaft versichern und dass wir die grösste Wirkung erzielen können, indem wir die Unternehmen beim Übergang in eine kohlenstoffarme Wirtschaft nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen. Gleichzeitig beabsichtigen wir, die mit unserem Versicherungsgeschäft zusammenhängenden Emissionen zu reduzieren. Als Gründungsmitglieder der Net-Zero Insurance Alliance hat die Zurich zusammen mit anderen Versicherern und Rückversicherern eine Methodik entwickelt, die es uns erlaubt, die CO2-Emissionen unseres Versicherungsportfolios zu messen, unabhängige Reduktionsziele zu definieren und transparent über den Fortschritt zu berichten. Diese Methodik wurde am 17. Januar am World Economic Forum in Davos vorgestellt. Als Versicherer wollen wir eine treibende Kraft der Veränderung sein.

Unsere Branche spielt in Gesellschaft und Wirtschaft eine sehr wichtige Rolle, schliesslich war es schon immer unsere Aufgabe, ein Sicherheitsnetz zu bilden. Der Klimawandel ist wohl die grösste Herausforderung für unsere Branche. Kurzfristig wegen der Katastrophenschäden und mittelfristig aufgrund der Übergangsrisiken, mit denen unsere Kunden konfrontiert sind. Daher müssen wir jetzt handeln.

Was heisst das?

Fakt ist: Solche Herausforderungen wie der Klimawandel können auch neue Geschäftschancen für uns bringen. Viele unserer Firmenkunden müssen ihre Geschäftsmodelle transformieren, um zukünftige Risiken zu bewältigen und die langfristige Profitabilität zu sichern. Risikomanagement ist unser Kerngeschäft und wir verfügen zum Beispiel im Bereich Naturkatastrophen über langjährige Erfahrung und umfassende Daten. Diese nutzen wir, um unsere Kunden individuell zu beraten und sie dabei zu unterstützen, ihre Risiken besser zu managen und ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken.

Das tönt nach Business as usual?

Nicht ganz – neu ist, dass die historischen Daten im Zusammenhang mit Katastrophenschäden nicht mehr die gleiche Relevanz haben wie früher, da der Klimawandel die Häufigkeit und den Schweregrad von Naturkatastrophen stark beschleunigt hat. Daher müssen wir noch besser werden beim Erstellen von Klimamodellen, um die zukünftigen Risiken für unsere Kundschaft einschätzen zu können. 2020 haben wir die Climate Change Resilience Services lanciert, bei denen wir traditionelle Risk-Engineering-Leistungen und Klimarisikoanalyse zusammenbringen, um Kunden dabei zu helfen, wirksame Strategien für die Anpassung an den Klimawandel und den Klimaschutz zu definieren und umzusetzen.  

Schaffen das die Versicherer alleine oder braucht es Regulative dazu?

Regulierungen und neue Gesetze sind ein wichtiger Pfeiler auf dem Weg zu Netto-Null. 

Weshalb?

Weil das Problem zu gross ist, als dass dessen Lösung einfach den Marktteilnehmern überlassen werden kann. Wir müssen das als Gesamtheit lösen; es ist super, dass die EU eine Vorreiterrolle übernimmt, doch der Rest der Welt muss nachziehen.