Der Aktienmarkt erlitt in den vergangenen Wochen eine deutliche Korrektur – grosse Indizes gaben in der Spitze 15 und mehr Prozent nach. Sie prognostizierten einen Rückschlag an den Finanzmärkten spätestens im Herbst dieses Jahres – war das nun das angekündigte Gewitter?
Felix Zulauf*: Ich habe das so erwartet. Wir haben aber alle Anzeichen eines wichtigen kurzfristigen Tiefpunktes mit allen dazu notwendigen Charakteristiken gesehen.
Kommt es zu einer Erholung?
Nach solchen extremen Ausschlägen nach unten folgt in den kommenden Wochen meist ein Erholungsversuch. Danach werden die Tiefstände mindestens noch einmal getestet, wenn nicht sogar leicht unterschritten. Ob danach eine Wiederaufnahme der positiven Grundtendenz erfolgt – mit neuen Höchstständen im nächsten Jahr – oder ob nach der temporären Erholung eine neue Abwärtsbewegung einsetzt, wird von der fundamentalen Verfassung der Konjunktur und der Unternehmen abhängen.
Und was erwarten Sie diesbezüglich?
Es ist wichtig, zu verstehen, was da eigentlich für ein Prozess in der Weltwirtschaft im Gang ist. Dafür müssen wir den Blick zurück auf die letzten Jahrzehnte richten. Strukturprobleme wie die Überalterung in den westlichen Gesellschaften, die Überschuldung der Volkswirtschaften, die Überregulierung der Wirtschaft, aber auch die Globalisierung bremsten das Wirtschaftswachstum. Und weil die Regierungen nicht mehr wissen, was zu tun ist, hat die Geldpolitik begonnen, das System mit Geld zu überschwemmen, um die Nachfrage zu stimulieren.
Wann wird der Bullenmarkt enden?
Für die meisten Titel ist er wohl schon zu Ende. Aber ich schliesse nicht aus, dass Notenbanken wieder übertreiben und die Anleger, konditioniert durch die Vergangenheit, dazu animieren, erneut Aktien zu kaufen. Irgendwann wird der Markt aber erkennen, dass die Weltwirtschaft sich nicht so positiv wie erhofft entwickelt und Chinas Abwertung deflationär für die übrige Welt wirkt. Die Erwartungen für die Unternehmensgewinne werden spätestens dann deutlich gesenkt werden müssen. Eine Baisse gehört zu einer Hausse wie die Nacht zum Tag, das sind völlig normale Wechsel.
Gelingt es nicht, unsere Selbsterneuerungskräfte zu aktivieren und neues Wachstum zu schaffen?
Die Frage ist, ob wir unsere Systeme jemals bereinigen können. Wir haben unsere Wirtschaftsgrundlagen kaputtgemacht mit einer überbordenden Verschuldung, einer Überregulierung, dem Abschieben von Verantwortung an den Staat. Sehen wir der Wahrheit ins Auge – unsere Systeme sind erschöpft.
Wäre eine grosse Krise nicht zugleich auch eine Chance, dass die Marktkräfte eine Bereinigung erzwingen?
Ich befürchte eher das Gegenteil, nämlich ein massives Eingreifen des Staates im Fall einer neuen Krise. Falls das geschieht, würden wir uns wohl bald in einer Art «DDR light» wiederfinden. Damit würden wir auf eine Welt zusteuern, die nicht nur für die Wirtschaft viel weniger Freiheiten bieten würde, sondern auch für die Bürger. Bürokratie, Verwaltung und Regierung beschlössen dann, wie die Welt zu sein hat. Damit würde die Marktwirtschaft ausser Kraft gesetzt.
Dagegen würde sich doch bestimmt massiver Widerstand formieren?
Da bin ich nicht überzeugt. Dazu fehlt der politische Wille, weil die Bürger die Konsequenzen eines solchen Eingriffs nicht verstehen.
Der Staat übernimmt doch aber auch sehr wichtige und sinnvolle Aufgaben?
Ich bin nicht gegen den Staat, er soll nur auf ein vernünftiges Mass reduziert werden. Es würde wohl helfen, wenn für jedes neue Gesetz ein altes oder besser zwei gestrichen werden müssten.
Was schlagen Sie vor?
Eigenverantwortung muss wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Der Privatsektor braucht mehr Raum zum Atmen, dann gedeiht auch das Unternehmertum. Machen wir das nicht, wird der Wohlstand sinken. Wir haben in der Schweiz insofern Glück, als wir die Dummheiten der Regierung über die direkte Demokratie teilweise korrigieren können. Verstehen sie das nicht falsch, ich halte Politiker nicht für schlechte Menschen. Nur glauben sie, eine von ihnen ersehnte Welt per Dekret oder Manipulation schaffen zu müssen.
Manipulation – was meinen Sie damit?
Wir haben selbst auf den internationalen Handelsplätzen keine freien Märkte mehr. Die Notenbanken haben in den vergangenen fünf, sechs Jahren neues Geld im Wert von 12 Billionen Franken geschöpft und mit diesem Geld Wertpapiere gekauft. Das ist die grösste Manipulation in der Geschichte.
Gibt es überhaupt noch einen Ausweg aus der unkonventionellen Geldpolitik der Notenbanken?
Wenn man einmal mit Manipulieren begonnen hat, erzwingt das immer neue Eingriffe. Wenn es wirklich besser werden soll, dann müssen Unternehmen und auch Staaten bankrott gehen dürfen.
Sie spielen auf Griechenland an?
Nicht nur. Die Griechen, die EU und alle Beobachter wissen, dass Griechenland nur Schulden zurückzahlen kann, wenn es immer wieder neues Geld bekommt. Dieses Spiel wird einfach weitergespielt, anstatt dass gesagt wird: Ihr seid pleite und wir bereinigen das jetzt.
Weshalb geschieht das nicht?
Weil dann die deutsche Regierung ihren Bürgern erklären müsste, dass sie 150 Milliarden Euro veruntreut hat. Geld, das eigentlich der Bevölkerung gehört. Die deutsche Regierung hat keinen Anreiz, das zu tun. Unterstützung bekommt die Regierung Merkel von Frankreich, ebenfalls einem Schuldnerland, welches das Gläubigerland Deutschland braucht. Die Franzosen haben keinen Anreiz, einen Schuldner im Regen stehen zu lassen. Sonst droht ihnen eines Tages dasselbe Schicksal. Solange wir so wirtschaften – das ist die einzige Prognose, die ich mit 100 Prozent Garantie geben kann – wird es nicht besser.
* Felix Zulauf ist einer der bekanntesten Vermögensverwalter der Schweiz. Die Analysen des «Orakels vom Zugersee» finden seit Jahrzehnten international grosses Gehör. Das obige Interview ist ein Auszug aus dem Gespräch, das im «Millionär», dem neuen Anlegermagazin der Handelszeitung, abgedruckt ist.