Im März 2015 hatte Fleur Platow ein aufschlussreiches Erlebnis. Die Finanzpublizistin aus Zollikon, die sich als Referentin für diverse Finanzinstitute betätigt, erhielt die Einladung, in einer grossen Schweizer Bank einen Vortrag zu halten. Dort sollte sie eine Inspirationsrede vor Mitarbeiterinnen der Vermögensverwaltungsabteilung halten – um den Frauen die Wichtigkeit des persönlichen Engagements für ihre Ersparnisse ans Herz zu legen.
«Die Bank hatte festgestellt, dass sich weibliche Mitarbeitende kaum einmal mit ihren privaten Geldanlagen befassen», erzählt Platow. Sie klingt immer noch etwas irritiert, wenn sie von diesem Auftrag erzählt. «Das hat mir vor Augen geführt, dass selbst Frauen, die professionell in der Finanzbranche tätig sind und sich den ganzen Tag um das Vermögen anderer Menschen kümmern, ihre eigenen Finanzen vernachlässigen.»
Traditionelle Rollenverteilung im Finanzbereich
Trotz fortschreitender Emanzipation habe sich in dieser Sache in den vergangenen Jahrzehnten nicht viel geändert, sagt Platow: «Das traditionelle Rollenverhalten ist im finanziellen Bereich offenbar immer noch präsent. Der Mann dominiert im Umgang mit dem Geld», stellt sie fest. Wenn schon viele Frauen aus der Finanzbranche dieses Modell lebten, sehe es bei anderen Familien vermutlich nicht anders aus.
Fleur Platow ist eine Ausnahmeerscheinung in der Schweizer Finanzbranche. Sie ist eine der wenigen Frauen, die sich seit Jahrzehnten mit Finanzen befassen und damit Erfolg haben. Anfang der 1990er-Jahre hat sie ihren Job als Zürcher Auslandskorrespondentin der Londoner Finanzzeitung «Financial Times» aufgegeben. 1996 startete sie eine Seminarreihe mit dem Titel «Frauen & Finanzen», und seither betätigt sie sich als Referentin und Beraterin speziell für Anlegerinnen. Im Jahr 2010 gründete Platow das Schweizer Frauen-Fonds-Forum (FFF). Sie ist überzeugt: «Frauen dürfen die Geldanlage nicht ausblenden. Und Männer müssen Frauen an die Pfründe lassen.»
Wäre «Lehman Sisters» insolvent?
Mit dieser Ansicht steht Platow nicht allein. Christine Lagarde, die heutige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), sagte im Jahr 2010, die Finanzkrise hätte ganz anders ausgesehen, wenn es statt der «Lehman Brothers» die «Lehman Sisters» gegeben hätte. Damals war Lagarde noch französische Finanzministerin. Die globale Finanzkrise wütete, hatte die Aktienmärkte weltweit zum Einsturz gebracht und zahlreiche Existenzen zerstört – auch, weil männliche Börsenhändler in ihrer Gier nach Gewinnen zu viel gewagt hatten.
Lagarde traf mit ihrem Ausspruch einen Nerv. Denn die Finanzbranche – nicht nur in der Schweiz – ist nach wie vor eine Männerdomäne. Weltweit liegt der Frauenanteil in den Chefetagen der Finanzunternehmen bei 13 Prozent, zeigt eine Studie der Managementberatung Oliver Wyman aus dem Jahr 2014. Die Schweiz liegt mit einer Quote von 6 Prozent unter 19 untersuchten Ländern auf dem 18. Platz. Weniger Chefinnen in den Geldhäusern gibt es nur in Japan. Und nicht nur auf professioneller Ebene, auch im Privaten kümmern sich immer noch weitaus weniger Frauen als Männer um die familieneigenen Finanzen.
Testosteron kostet Rendite
Dabei können Frauen auf dem Börsenparkett ebenso gut bestehen wie Männer – oder sogar besser. Denn sie investieren anders als Männer, sie sind weniger risikofreudig. Dafür agieren weibliche Anleger mit mehr Weitsicht, sie sind auf Nachhaltigkeit bedacht. Männliche Investoren hingegen neigen tendenziell eher zum Spekulieren und gehen beim Investieren höhere Risiken ein, um im Wettbewerb gegen andere Marktteilnehmer zu gewinnen.
Erkenntnisse aus der Forschung bestätigen all das immer wieder. So zeigt etwa eine Studie des Imperial College London aus dem vergangenen Jahr, dass die Männlichkeitshormone Cortisol und Testosteron finanzielle Entscheidungen von Börsenhändlern negativ beeinflussen können. Und die US-Ökonomen Brad Barber und Terrance Odean wiesen bereits im Jahr 2001 nach, dass Männer wesentlich öfter exzessiv handeln als Frauen – und dadurch an der Börse schlechtere Ergebnisse erzielen. Denn, wer viel handelt, zahlt auch viele Gebühren. Das kostet unter dem Strich Rendite.
Professionelle Investorinnen sind keine Durchschnittsfrauen
Diese Erkenntnisse stimmen allerdings nur für Privatanleger. Es ist ein grosser Unterschied, ob man sich das Anlageverhalten professioneller Investoren oder jenes von Kleinanlegern anschaut, sagt Alexandra Niessen-Ruenzi, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.
Die Ökonomin hat sich ausgiebig mit geschlechtsspezifischen Unterschieden an den Finanzmärkten befasst und sich dabei auch die Unterschiede im Anlageverhalten von Männern und Frauen angesehen. «Bei professionellen Investoren lässt sich kein geschlechtsspezifischer Unterschied bei der Anlagestrategie oder bei der Risikoneigung feststellen», sagt Niessen-Ruenzi. Das sei nicht überraschend, schliesslich sei in der Finanzbranche und speziell im Fondsmanagement nicht die sogenannte Durchschnittsfrau tätig. Vielmehr seien typische Charaktereigenschaften für den Job vorhanden.
Risiko richtet sich nach dem Produkt
Das bestätigt auch Birgitte Olsen, Fondsmanagerin der Schweizer Investmentgesellschaft Bellevue Asset Management. «Frauen in der Finanzbranche müssen von einem bestimmten Schlag sein», meint sie. Sie müssten sich verkaufen können, proaktiv handeln und wissen, wie man durchkommt. «Es gibt auch aggressive Frauen auf dem Börsenparkett» so Olsen.
Die These vom risikofreudigeren männlichen Investor mag sie nicht bestätigen. «Ich habe allerdings den Eindruck, dass Frauen verantwortungsbewusster mit Kapital umgehen als Männer.» Wie ein Fondsmanager investiere, hänge aber ohnehin vom verwalteten Produkt ab – Hedge-Fund-Manager etwa müssten naturgemäss höhere Risiken eingehen als Long-only-Investoren.
Die Mischung macht's
Als Fondsmanagerin arbeitet Olsen mit zwei Männern im Team zusammen. «Das funktioniert sehr gut», sagt sie. Sie hält es nicht für einen Nachteil, als Frau in der Finanzbranche einer Minderheit anzugehören. Diskriminiert habe sie sich nie gefühlt, sagt Olsen. Vielmehr könne es sogar von Vorteil sein, eine von wenigen Frauen in der Branche zu sein. Für manche Investoren sei es sogar ein Kaufargument, wenn ein Fonds von einer Frau verwaltet werde.
Die Wahrheit über das Anlageverhalten von Männern und Frauen liegt vermutlich in der Mitte. Fakt ist: Auf der professionellen Ebene sind gemischte Teams Mangelware – und weibliche Privatanlegerinnen haben oft immer noch zu wenig Selbstvertrauen, um sich auf eigene Faust mit ihrer Geldanlage zu beschäftigen.
Finanzwissen lehren
Dabei ist das Potenzial gross. «Wie viel Finanzwissen haben Frauen?» fragte im Jahr 2014 eine internationale Studie, erstellt von der Weltbank, der Ratingagentur Standard & Poor's und der George Washington University im US-amerikanischen Washington, D.C. Demnach hinken Frauen den Männern in den Industrieländern in puncto Finanzwissen weit hinterher. Das gilt auch für die Schweiz.
Indes kann vieles angeschoben werden – oder wurde schon angeschoben: In den USA etwa versuchen Initiativen wie «Invest in Girls», Mädchen für Finanzen zu begeistern. Inzwischen lernen Schülerinnen an 16 Highschools in sechs Bundesstaaten der USA die Grundlagen der Finanzwirtschaft, insgesamt haben mehr als 2000 Mädchen an diesem Programm teilgenommen. In Deutschland gibt es seit Ende des Jahres 2014 das Netzwerk «Fondsfrauen», ins Leben gerufen von Anne Connelly, der ehemaligen Deutschland-Chefin der Fondsratingagentur Morningstar. Im Januar fand erstmals ein «Fondsfrauen Gipfel» in Mannheim statt. Langfristig soll es auch einen Fondsfrauen-Ableger in der Schweiz geben.
Mädchen für Finanzen begeistern
In Island wiederum haben sich schon im Jahr 2007 zwei Frauen aus Reykjavík ihre Überzeugung zunutze gemacht, dass Frauen die besseren Anleger sind. Kurz vor der Finanzkrise gründeten Kristin Petursdottir und Halla Tomasdottir, beide schon seit Jahren in der Finanzbranche tätig, ihr eigenes Unternehmen. Mit «Audur Capital» wollten sie gezielt weibliche Werte in den Investmentprozess integrieren.
Petursdottir und Tomasdottir folgten ihrem Bauchgefühl, investierten in langfristige Projekte mit gesellschaftlicher und ökologischer Bedeutung. Sie legten unter anderem auch einen Fonds auf, der speziell nur in Unternehmen mit weiblichen Chefs investierte. Mit ihrem Konzept hatten die beiden Finanz-Frauen durchschlagenden Erfolg: Audur Capital hat als eines von wenigen isländischen Investmentunternehmen die Krise überlebt – und konnte sogar im Jahr 2008, auf dem Höhepunkt der Krise, Gewinne verbuchen.
Dieser Text erschien im «Millionär», dem Anlegermagazin der «Handelszeitung». Die «Handelszeitung», am Kiosk oder mit Abo bequem jede Woche im Briefkasten.