Wie erwartet hat die EZB am Donnerstag die Leitzinsen gesenkt, zum dritten Mal in diesem Jahr. Denn der «Disinflationsprozess» sei auf gutem Weg, betonte EZB-Chefin Christine Lagarde mehrmals. Gemeint ist damit der Rückgang der Inflationsrate, die zuletzt noch 1,8 Prozent betrug, aber wegen sogenannter Basiseffekte bald leicht steigen dürfte.

Der massgebliche Einlagensatz, zu dem die Banken überschüssige Liquidität bei der Zentralbank parkieren können, beträgt nun noch 3,25 Prozent. 

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Die globale Zinswende nach unten gewinnt damit weiter an Kontur. Im September hat die US-Notenbank einen ersten Schritt vollzogen, die SNB leitete die Trendumkehr schon im März ein. Weltweit wurden im September 26 und im laufenden Monat rund 10 Zinssenkungen gezählt.

Wie die Grafik zeigt, hat der Zinsmarkt diese Entwicklung schon länger vorweggenommen.

Dort, wo die Investorinnen und Investoren mit dem Kauf oder dem Verkauf von sicheren Anleihen ihre Erwartungen bezüglich der Konjunktur ausdrücken, ist die Inflation schon länger kein grosses Thema mehr. Die risikolosen Marktzinsen, hier dargestellt als die Renditen fünfjähriger Staatsanleihen, haben bereits letztes Jahr den Zenit erreicht. Seither gehen sie zurück.

Sie zeigen, wo der Markt das Niveau der Kurzfristzinsen in fünf Jahren erwartet, abzüglich einer Unsicherheitsprämie. Für die Schweiz heisst das: Die Zinsinvestoren rechnen mit Zinssenkungen bis auf 0,25 Prozent. In der Euro-Zone sind per 2029 Zinsen von rund 2 Prozent eingepreist. 

Die Zinserwartungen richten sich nach den Konjunkturerwartungen. Fallende Marktzinsen bedeuten, dass die Bond-Trader und Investorinnen schwächeres Wachstum und weniger Inflation erwarten.

Allerdings gibt es auch einen Rückkopplungseffekt: Wenn die Marktzinsen deutlich sinken, stimuliert das die Wirtschaft, und die Zentralbanken müssen aufpassen, dass sie es mit den Zinssenkungen nicht übertreiben.

Solche Bedenken werden derzeit aber eher in Bezug auf die USA geäussert, wo die Wirtschaft brummt und Rezessionsängste verflogen sind. Und es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass man verfrüht über den Sieg über die Inflation gejubelt hat. Zu Beginn der 1970er-Jahre etwa zog die Teuerung plötzlich wieder an und zwang die Notenbank zur Kurskorrektur.  

In der Euro-Zone und besonders in Deutschland zeigen die Konjunkturfrühindikatoren jedoch so klar nach unten, dass ein Wiederaufflackern der Inflation ein kleines Risiko ist. Deshalb gilt eine weitere Zinssenkung im Dezember so gut wie sicher.

Doch auch bei 3 Prozent Einlagenzinsen wäre die Euro-Geldpolitik immer noch restriktiv. Denn der neutrale Zins, bei dem die Konjunktur und Inflationsdynamik weder stimuliert noch gebremst werden, liegt gemäss Schätzungen bei 2 Prozent. 

Die SNB ist da schon weiter: Der neutrale – oder natürliche – langfristige Gleichgewichtszins liegt bei geschätzten 1 Prozent – also da, wo der Leitzins jetzt ist.